Omega Male in Schwierigkeiten: Joaquin Phoenix

»Beau Is Afraid« von Ari Aster

Ari Aster schickt Joaquin Phoenix auf einen wahnwitzigen Trip, auf dem der Weg das Ziel ist

»Beau Is on a Guilt Trip« wäre der treffendere Titel für Ari Asters Nachfolger seines Hits »Midsommar« — mit guilt trip bezeichnet man im Englischen ein Schuldgefühl, das einem meist von einem anderen Menschen ungerechtfertigt aufgeladen wird. Die erste Einstellung zeigt die Geburt des Titelantihelden aus dessen Subjektive; und schon hier lässt sich erahnen, dass Beaus Mutter mit ihrer überbordenden Sorge um ihr einziges Kind nicht unbedingt einen posi­tiven Einfluss auf dessen Leben ausüben wird. Diese Ahnung wird gleich darauf nach einem Zeitsprung bestätigt: Der erwachsene Beau sitzt beim Psychiater, der sich gütig lächelnd das Wort ­»guilt« in sein Notizheft schreibt, als Beau — offensichtlich mit schlechtem Gewissen — berichtet, seine Mutter schon lange nicht besucht zu haben.

Joaquin Phoenix spielt Beau mit herunterhängenden Schultern und ausdruckslosem Gesicht, vielleicht halb sediert von den Psychopharmaka, die er gegen seine Angststörungen schluckt. Mit seiner nur noch mit grauem Pflaum bedeckten Halbglatze, seinen buschigen schwarzen Augenbrauen und den prominenten Tränensäcken verströmt er die mitleiderweckende Aura eines Omega Male.

Wobei schnell deutlich wird, dass Angst eine sehr verständliche Reaktion ist auf die Welt, in der Beau lebt. Auf dem Heimweg von seiner Therapiestunde kommt er an einem Flohmarkt vorbei. Er kauft eine kleine Marienstatue als Mitbringsel für seine Mutter, die er am nächsten Tag endlich besuchen will. Irritierend ist eine halbverweste Leiche, die auf dem Bürgersteig liegt, ohne dass sich jemand um sie kümmern würde. Noch unheimlicher wird es vor dem Haus, in dem Beau wohnt. Mit einem Sprint kann er gerade noch vor einem voll tätowierten und gepiercten halbnackten Mann die Haustür hinter sich zuschlagen, der ihm auf den Fersen ist. Aus dem Fenster seines runtergekommenen Apartments kann Beau eine ganze Schar von verwahrlosten Obdachlosen, schwer psychisch Gestörten und offensichtlich Kriminellen beobachten, die dort Tag und Nacht herumlungern.

In der Folge funktioniert »Beau Is Afraid« nach einem Alptraum-Muster, das viele Menschen kennen, darin rücken immer neu auftauchende Hindernisse ein Ziel, das erreicht werden will, in scheinbar immer weitere Ferne. Auf Beau bezogen bedeutet das: Der Versuch, seine Mutter zu besuchen, um ihr am Todestag seines Vaters beizustehen, wird durch immer weiter eskalierende Kata­strophen immer wieder verhindert — während sich Beaus Schuld­gefühle ins Unermessliche steigern. Die Odyssee, auf die Regisseur und Drehbuchautor Ari Aster seinen Protagonisten schickt, nachdem es ihm einmal gelungen ist, sein Haus — mit Mühe — zu verlassen, ist in ihrer wahnwitzigen Imaginationskraft die Stärke des Films. Wobei eine seltsame Spannung besteht, zwischen der Absurdität und Originalität der Situ­ationen, in die Beau gerät, und der gleichzeitigen Vorhersehbarkeit, dass sie immer im Schlimmsten enden werden. Das macht den Film gleichzeitig faszinierend und enervierend. Dabei bleibt die psychologische Dimension letztlich banal, dass der Kern von Beaus Problemen seine dominante Mutter ist, ist ja von Anfang an klar. Positiv formuliert: Der Weg ist das Ziel auf diesem guilt trip.

Man kann diesen dreistündigen mäandernden Film als monomanische Selbstbefriedigung ­eines Regisseurs sehen, dem ein Korrektiv fehlte. Man kann ihn aber auch schätzen als ein Gegenbild zum aktuellen Hollywood, das fast nur noch auf Welten, Figuren und Geschichten mit bereits vorhandenen Fangruppen setzt — eine andere Form von Exzess. Während in den ähnlich langen Marvel, DC- oder »Star Wars«-Filmen nur noch eine formatierte Kreativität möglich ist, feiern »Beau Is Afraid«, aber auch Oscargewinner »Everything Everywhere All at Once« oder der unterbewertete »Under the Silver Lake« von David Robert Mitchell die Freiheit menschlicher Imagination, dippen immer nur kurz in unterschiedlichste Welten. Damit bieten sie ebenfalls einen Gegenentwurf zur Erzähleffizienz des klassischen Hollywoodkinos als auch zum Achtsamkeits-Minimalismus des auf Festivals so beliebten Slow Cinema.

Die Erfolge von »Everything Everywhere All at Once« wird »Beau Is Afraid« allerdings nicht wiederholen, dafür ist Asters Film zu hoffnungslos depressiv geraten. 

USA 2023, R: Ari Aster, D: Joaquin Phoenix, Parker Posey, Nathan Lane, 179 Min. Start: 11.5.