Grün als Gemeinschaftsaufgabe

Parks und Freiflächen sind besonders wichtig, um Köln an den Klimawandel anzu­passen. Gleichzeitig müssen Wohnungen und Schulen gebaut werden. Nun hat der Stadtrat den »Masterplan Stadtgrün« beschlossen, um ­Freiflächen zu ­erhalten und sogar auszubauen. Doch die eigentliche Arbeit steht noch an

Beton oder Bäume? Wohnraum oder Grünflächen? Hitzeinsel oder Frischluftschneise: Wenn über Stadtentwicklung gesprochen wird, stehen sich Bauen und der Erhalt von Grünflächen oft als unversöhnliche Interessen gegen­über, auch in Köln. In Rondorf und Blumenberg entstehen neue Wohngebiete auf landwirtschaftlichen Flächen. In Bilderstöckchen hat eine Containerschule samt Parkplatz den Nordpark geschrumpft. Das neue Historische Archiv am Eifelwall entstand an einer Stelle, die sonst wohl Teil der Grüngürtels geworden wäre. Wo Flächen knapp sind, wird ihre Nutzung oft als Nullsummenspiel dargestellt.

Inzwischen trifft Wachstumsdynamik nicht nur auf knappe Flächen, sondern auch auf die spürbaren Auswirkungen der Klimakrise. Vor diesem Hintergrund hat der Rat der Stadt im März den »Masterplan Stadtgrün« beschlossen, das Ergebnis von zwei Jahren Verwaltungsarbeit. Er soll helfen, urbane Freiflächen zu erhalten, und zeigen, wo künftig mehr Grün nötig und möglich ist. Schutz und Entwicklung der biologischen Vielfalt, Grünflächengerechtigkeit, Anpassung an den Klimawandel und natür­licher Klimaschutz — so sind die Ziele im Text formuliert.

Neun Karten zeigen dazu die Lage von Grünflächen und ihre Funktionen, Naherholungsgebiete, Frischluftschneisen, Kaltluftentstehungsgebiete und Wasserflächen. Sie alle werden einer der drei Kategorien »Immergrün« (darunter die geschützten Grüngürtel und Naturschutzgebiete), »Zukunftsgrün« und »Potenzialgrün« zugeordnet. Am Ende steht ein Leitbild, das sich wie ein Netz über die Stadt legt.

Überraschend deutlich ist im Masterplan auch dargestellt, welche Grünflächen derzeit nicht dauerhaft vor Bebau­ung geschützt sind: Auf der abschließenden Karte leuchten orange, blau und gelb schraffiert jene Grün­flächen, auf denen andere Nutzungen rechtlich grundsätzlich möglich wären. In manchen Fällen stammen diese Festsetzungen von längst aufgegebenen Vorhaben, wie der Stadtautobahn auf dem Inneren Grüngürtel, dem Niehler Teilstück des Gürtels oder Erweiterungen rings um das »Niehler Ei«, den großen Kreisverkehr im Norden. Anderswo sind die Konflikte das Ergebnis der fieberhaften Suche nach Bauland der vergangenen Jahre. Im Beschlusstext ist der Auftrag festgehalten, schützenswerte Wälder, ­Felder, Wiesen und Brachen »zu sichern«, sie also in die rechtsverbindlichen Pläne aufzunehmen.


Bauflächen ent­stehen, auch wenn man sich nicht um sie kümmert. Frei­flä­chen verschwinden, wenn man sich nicht um sie kümmert
Fritz Schumacher, 1932

Die Stadtentwicklung wird sich angesichts der Klimakrise verändern. Vertrocknete Straßenbäume, Rekordtemperaturen in dicht bebauten Quartieren, überflutete Straßen und Keller durch Starkregen: »Starke Urbanisierung bei gleichzeitiger Klimakrise — das ruft eine ganz neue Dringlichkeit hervor«, sagt Ursula Stein, Stadtplanerin und Honorarprofessorin an der Universität Kassel. Sie hat am Strategiepapier »Kölner Perspektiven 2030« mitgewirkt und war am Prozess zur Entwicklung des Äußeren Grüngürtels beteiligt. Wie kann ein unverbindlicher Plan helfen, das Stadtgrün zu schützen?

Mehr als früher komme es heute auf eine »gepflegte Diskussionskultur« in der Stadtgesellschaft an, sagt Ursula Stein. Ein Masterplan für das Stadtgrün, wie ihn auch andere Kommunen erarbeitet haben — die Kölner Stadtverwaltung nennt Wien als Vorbild —, könne Grundlage für rationale Abwägungen und Kompromisse sein. Dass das kein Selbstläufer ist, haben die Debatten im Rat und die Reaktionen der Interessengruppen gezeigt. Vor einem »Stillstand« in der Wohnungspolitik wurde gewarnt. Die Natur­schützer vermissten einen sofortigen Schutz für sämtliches Stadtgrün, um zu verhindern, dass »Investor:innen Kasse machen«.

Für Fritz Schumacher, der in den 1920er und 1930er Jahren die Grüngürtel erdachte, stand bereits fest, dass Grünflächen besonders geschützt werden müssen. Sie brächten die schwierigsten Aufgaben mit sich, schrieb er 1932: »Bauflächen entstehen, auch wenn man sich nicht um sie kümmert; Freiflächen verschwinden, wenn man sich nicht um sie kümmert.« Was einmal bebaut worden sei, könne nie wieder zur Grünfläche werden.

Die auf dem heutigen Großmarktgelände geplante Parkstadt Süd oder der Mülheimer Süden zeigen indes, dass in neuen Quartieren sowohl Wohnraum als auch Grünflächen anstelle von versiegelten Gewerbelandschaften entstehen können. Im Wiener »Leitbild Grünräume« sind solche Flächen kenntlich gemacht.

Nach dem Ratsbeschluss in Köln steht die eigentliche Arbeit noch bevor. Welche Grünflächen gesichert, erweitert oder verändert werden, sollen im nächsten Schritt die Bezirksvertreter diskutieren. Das heißt: Abwägung im Einzelfall. Der Masterplan Stadtgrün wird nicht zentral umgesetzt, sondern als Gemeinschaftsaufgabe formuliert — für Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft, zu lösen im Rathaus, in den Bezirken und vermutlich auch bei jeder Bürgerbeteiligung, wenn es um größere Bauvorhaben geht. Eine Aufgabe, von der letztlich der Erhalt einer lebenswerten Stadt abhängt.

Grünflächen sind besonders wichtig, um die Stadt an den Klimawandel anzupassen. Anja Bierwirth, die den Forschungsbereich Stadtwandel am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie leitet, mahnt, dass Deutschland vom selbst gesetzten Ziel für den Verbrauch von Flächen »ganz weit entfernt sei«. 2050 soll »Netto-Null« erreicht sein, der Punkt, an dem die bebaute Fläche nicht mehr wächst. Hilfreich wären laut Bierwerth ein Moratorium und wirksame Unterstützung für Kommunen, um das zu erreichen. Bislang stünden aber vor allem Ziele für den Wohnungsbau im Vordergrund.

Bierwirth sagt, dass »Stadtentwicklung neu erlernt« werden müsse. »Wir haben das über die Jahrzehnte nach dem Prinzip gemacht: Ich nehme eine Wiese und baue die voll. Jetzt müssen wir im Bestand umbauen. Und das ist viel anstrengender«, sagt sie. Es sei grundsätzlich mög­lich, Baulücken zu füllen, einstöckige Supermärkte durch Wohn- und Gewerbeblöcke zu ersetzen oder Büros zu Wohnraum umzubauen, und damit die Nachfrage zu bedienen. Argumente, die Wohnraum gegen den Erhalt von Grünflächen ausspielen, lässt Anja Bierwirth nicht gelten: »Neubaugebiete lösen nicht zwangsläufig Probleme wie den Mangel an bezahlbarem Wohnraum.« Sie rät dringend, die Pläne und Konzepte für Wohnungsbau, Mobilität, Gewerbe und Grünflächen zu verschränken. Am Verkehr zeige sich beispielsweise deutlich, warum neue Baugebiete massiv zur Versiegelung beitragen. Wird der Bestand umgebaut, ist die Infrastruktur schon vorhanden. Nicht zuletzt richtet sich Anja Bierwirths Rat an die Verwaltung: Der Masterplan Stadtgrün kann als gemeinsame Grund­lage für die Zusammenarbeit der Ämter verstanden werden. »Niemand darf seine Perspektive absolut setzen«, sagt auch die Planungsprofessorin Ursula Stein. Verständigung sei die wesentliche Funktion eines solchen Plans, der deshalb auch nicht rechtlich bindend sein könne. »Er ist letztlich eine Vereinbarung der Stadt mit sich selbst«, sagt Stein.