Ein Königreich für einen Abend im heimischen Studio: James Ellis Ford

Den Tod mitdenken

Der Londoner Produzent James Ellis Ford war ein Senkrechtstarter des New Rave. Heute gibt er im Studio den Moderator zwischen passiv-aggressiven Superstars (Depeche Mode!)

Wir schreiben den Sommer 2006, New Rave ist der Sound der Stunde. Die Kids und Künstler:innen tragen Neon und die Tracks von Acts wie Klaxons, Justice und Digitalism bouncen, aufgelegt von DJs wie Erol Alkan und 2many DJs, schrill aus den Boxen. Mit fantastischer Dringlichkeit rütteln  sie an den Tänzer:innen. In kaum einem dieser Sets fehlten Simian Mobile Disco, einst als Indieband gestartet und dann zum aus James Ellis Ford und Jas Shaw bestehenden DJ- und Produzentenduo geschrumpft. Ihr größter Hit »We are your Friends« ist einer ­jener unkaputtbaren Tracks, der selbst nach dem Ende der Hype-Saison noch bis heute auf den Sticks der DJs seinen Stammplatz behalten hat. Gerne wird er in den frühen Morgenstunden aufgelegt, wenn die Sonne hinter den verhängten Clubfenstern ihr Werk beginnt: Als klanglich-ekstatische Versicherung, dass hier in der Zwischenwelt aus Nacht und Tag alle vom gleichen Tribe der Freund:­innen sind.

Nach einem Jahrzehnt, das vom quasi pausenlosen Auflegen weltweit geprägt war, setzte allerdings zunehmend die Clubmüdigkeit bei Ford ein. Hinzu kam, dass sein Partner Jas Shaw leider seit einigen Jahren an AL Amylosis erkrankt ist und das Haus aufgrund der Organ-Gewebe-Krankheit nicht mehr verlassen kann. Seitdem arbeitet Ford primär als Produzent für Künstler:innen wie Arctic Monkeys, Mumford & Sons, Florence and the Machine, Foals — und nun bereits zum zweiten Mal auch für Depeche Mode.

»Depeche Mode gehörten fast schon zum Establishment, gegen das ich als Teenager rebellierte«, erinnert sich James Ellis Ford lachend zu Beginn unseres Gesprächs an seinen Erstkontakt mit der Band. Ich erwische ihn in seinem Home Studio auf dem Dachboden seines Londoner Hauses. Im Anschluss an unser Gespräch steht eine Session mit einem sehr bekannten britischen Musiker an, dessen Name er aber noch nicht verraten darf: Über die Zusammenarbeit mit Depeche Mode hingegen kann er problemlos aus dem Nähkästchen reden. Ford legt direkt los, dass die ­Arbeit an »Spirit«, dem ersten ­gemeinsamen Album, »kein ­einfacher Produktionsprozess« gewesen sein.

Die Band hatte zu diesem Zeitpunkt ihrer Karriere ein verrückt großes System um sich herum etabliert. »Es waren immer zehn bis fünfzehn Leute im Studio«, ­erinnert er sich kopfschüttelnd. »Der Tontechniker, die drei von der Band, die Managements von Andy Fletcher, Martin Gore und Dave Gahan, der Studioassistent, der Programmierer, Dave brachte auch noch seinen eigenen Tontechniker mit und dann ich noch. Offen gesagt, die Stimmung war damals wirklich schlecht. Es hat keinen Spaß gemacht, die Platte zu produzieren. Die Spannungen innerhalb der Band waren zu groß, es gab eine Menge passiv-­aggressiver Feindseligkeit.«

Auch die Arbeit an »Memento Mori« stand zunächst unter keinem guten Stern nach dem tragischen Tod von Depeche Mode Gründungsmitglied Andy Fletcher am 26. Mai vergangenen Jahres. Ford ging davon aus, dass »Memento Mori« (zumindest vorläufig) nicht verwirklicht würde, »aber dadurch, dass Dave und Martin in ­einer Art Schock- und Trauerzustand waren und es noch immer sind, wollten sie sofort weitermachen.« Zumal das Album bereits in Demo-Form komplett vorlag — inklusiver der plötzlich tragisch aufgeladenen Songs »Angels« und »Ghosts« sowie des über ­allem schwebenden Albumtitels »Memento Mori«.

»Manchmal liegt etwas in der Luft und wir spüren es«, versucht Ford das Unerklärliche zu erklären. »Diese spezielle Stimmung hat sich auf den Arbeitsprozess ausgewirkt, der diesmal sehr viel intimer angelegt war«. Außer Martin Gore,  Dave Gahan und Ford war nur noch die Soundtechnikerin Marta Salogni mit anwesend — der ganze Tross, der »Spirit« zu einer so unangenehmen Erfahrung gemacht hatte, musste draußen bleiben. Zudem entschieden sich die beiden verbliebenen Depeche Mode Mitglieder dazu, das Album komplett in Gores Studio in seinem Haus in Montecito bei Santa Barbara auf­zunehmen. »Ein wunderschöner, entspannter Ort«, so Ford.

»Der Tod von Andy hat die Stimmung total verändert, alle gingen diesmal sehr zärtlich miteinander um. Martin und Dave verstanden sich prächtig, sie waren wie lange verloren gegangene Brüder. Wir haben sehr viel gearbeitet, aber auch ausufernde Mittagspausen eingelegt, bei denen Geschichten und Erinnerungen über Andy ausgetauscht wurden.«

So hart es klingt, es bedarf manchmal eines tragischen Ereignisses, um den Reset-Knopf zu finden, führt Ford aus. «Wenn man mit der eigenen Sterblichkeit und der Sterblichkeit eines engen Freundes konfrontiert wird, bekommt man eine neue Perspektive und muss sich nicht mehr um Dinge sorgen, die man vorher ­vielleicht für wichtig hielt.«

Wie er denn generell die Rolle von Andy Fletcher in Depeche Mode wahrgenommen habe, will ich wissen. »Ich erinnere mich an Andy als sehr geselligen Menschen. Sowohl Martin als auch Dave sind heute abstinent, sie hatten in der Vergangenheit ihre Drogen- und Alkoholprobleme, deswegen sind sie nicht mehr so gesellig, gehen zwar manchmal zum Abendessen mit, aber nicht oft in die Bar. Andy war derjenige, der jeden Abend Hof hielt.«


Wenn ich wirklich Glück habe, komme ich in die Zone, in der die Zeit verschwindet — und ich lebe nur noch in dem Moment
James Ellis Ford

Deswegen dachte Ford auch lange Zeit, dass Andy Fletcher der soziale Kitt zwischen den zerstrittenen Dave Gahan und Martin Gore gewesen sei, aber nach den Erfahrungen beim diesmaligen Aufnahmeprozess hat er dieses Bild korrigiert: »Er hat einerseits zwischen ihnen vermittelt, sie andererseits aber auch ein bisschen auf Abstand gehalten. Wahrscheinlich nicht absichtlich. Es fühlte sich an, als wäre Fletch Martins Sprachrohr, denn Martin ist sehr konfliktscheu. Dave fand das ziemlich frustrierend«, erzählt Ford. »Ohne Fletch gab es keine Barriere mehr zwischen ihnen und sie mussten miteinander reden, wahrscheinlich zum ersten Mal seit Jahren.«

Mit dem verblüffenden Ergebnis, dass Martin Gore und Dave Gahan nach sehr langer Zeit wieder gemeinsam an Songs geschrieben haben. Selbst die finale Aus­wahl der Stücke für das ­Album, sonst gemeinhin der große Streitmoment, sollte diesmal entspannt vonstatten gehen. »Daniel Miller, der von Anfang an mit Depeche Mode zusammenarbeitet, besuchte uns im Studio«, erzählt Ford. »Wir haben zusammen die verschiedenen Optionen durchgesprochen. Bei neun oder zehn Tracks waren sich alle einig, die restlichen wurden durch geheime Abstimmung unter uns fünfen bestimmt. Es lief alles reibungslos.«

Nur wenige Wochen nach »Memento Mori« erscheint Anfang Mai »The Hum« auf dem britischen Label Warp Records. Es ist  das Solo­debüt von James Ellis Ford. »Ich habe eine ganze Festplatte mit Skizzen, da lag die Idee nah, damit mal etwas zu machen«, kommentiert Ford meinen fragenden Blick, wie das denn noch in seinen engen Terminkalender gepasst habe. »Ich habe, wann immer sich die Zeit anbot, dran gearbeitet. Das geht mit dem Heimstudio super gut, ich kann mich immer mal für einen Abend dorthin schleichen.« »The Hum«, »Das Summen«, klingt idiosynkratisch persönlicher. Ford vereint hier Einflüsse von Westcoast-Folk-Pop und elektronischer Musik mit krautrockigen und manchmal sogar progrockigen Momenten.

»Ehrlich gesagt habe ich auf meiner Festplatte einen ganzen Haufen dröhnender Sachen, ganz viele Sachen mit Gesang und auch viele seltsame, soundtrackartige Morricone-Sachen oder so David-Axelrod-Geschichten«, gewährt Ford unverstellte Einblicke in ­seinen Umgang mit dem eigenen Klangarchiv. »Ich habe mir einfach ein paar Teile herausgepickt, ­etwas von jedem Zeug — aber ich hätte auch ein Album mit nur ­einem Genre machen können.«

Ich will von Ford wissen, ob er sich trotz seiner berufsmäßigen Arbeit an Musik denn noch in der Musik wie ein Teenager verlieren könne? »Ehrlich gesagt, das ist ­etwas, das ich jeden Tag suche. Wenn ich wirklich Glück habe, komme ich ein bisschen in die Zone, in der die Zeit verschwindet und ich lebe nur noch in dem Moment. Abends nehme ich mir oft meine Zeit, gehe nach oben und spiele — während meine Frau einen Krimi schaut — mit meinem Tonbandgerät, mache lieber irgendwelche seltsamen Loops, die vielleicht nie jemand hören wird. Es ist meditativ, es ist fast wie ein Computerspiel. Manchmal wird es aufgenommen, manchmal nicht, ich mache es nicht für meinen Job, ich mache es zu meiner Unterhaltung.«

Das klingt so, als ob der Song »I Never Wanted Anything« auf seinem Album autobiographisch geprägt sei? »Ich bin ziemlich ­einfach gestrickt«, führt Ford ­sympathisch lachend aus. »Ich lebe sehr im Moment, es fällt mir schwer, ein paar Stunden, eine Woche oder gar ein Jahr voraus­zudenken. Ich stolpere einfach so durchs Leben und genieße den Augenblick. Deshalb kann ich auch immer noch stundenlang mit meinem Vierspur-Kassettenplayer rumspielen.«

James Ellis Ford
Der Londoner Produzent gehörte mit seiner Band Simian Mobile Disco zu den prägendsten Künstler:innen der New Rave Ära der Nuller Jahre. Dieser Tage erscheinen nun zeitgleich sein Solo­debüt-Album »The Hum« sowie mit »Memento Mori« bereits das zweite von ihm als Produzent verantwortete Album mit Depeche Mode. Unser Autor besuchte Ford via Zoom in seinem ­Londoner Studio.