Nachdenken über sich selbst: Janning Trumann; © Patrick Essex

In alle Ewigkeit

Der Kölner Posaunist Janning Trumann hat sich auf die Suche nach dem begeben, was ihn als

Improvisationskünstler auszeichnet

Vor gut zehn Jahren zeigte sich schon einmal Janning Trumanns besonderer Sinn für ungewöhnliche Besetzunggrößen. Zwei Mal Bass, zwei Mal Schlagzeug plus ­Piano und Posaune ergaben in der Summe zwar ein Sextett, waren aber als Doppel-Trio mit Namen MAKKRO angelegt. Das ungewöhnliche Besetzungskonzept provozierte ein Umdenken der sechs Musiker: die im Jazz üblichen Strukturen und Formen mussten aufgebrochen werden, um den veränderten improvisatorischen Anforderungen und ästhetischen Kontexten gerecht werden zu können.

Im Sommer 2018 begann ­Trumann mit der Komposition für ein neues Projekt, das jetzt auf der Doppel-CD »Fundaments we share« zu hören ist. Als schlagzeugloses Oktett mit fünf Blech- und Holzblasinstrumenten, Vibrafon, Kontrabass und Kirchenorgel sollte es erneut nicht alltäglich besetzt sein. Von Anfang an war dem 1990 geborenen Posaunisten, der über Hamburg nach Köln kam, um Jazzposaune an der Hochschule für Musik und Tanz zu studieren, klar, dass Kirchenorgel und Posaune zwar im Fokus stehen, er aber diese Kombination in seine schlagzeuglose Band integriert haben will. Die Posaune ist hier Teil der fünfköpfigen Bläsergruppe, während die Kirchenorgel von dort eine Brücke zum Vibrafon und Kontrabass schlägt.

Im US-amerikanischen Jazz ebenso wie in der improvisierten Musik Europas ist das Oktett eher ungebräuchlich. Dabei ist die Acht eine gleichermaßen magische wie mystische Ziffer, wie der Berliner Musikjournalist Wolf Kampmann in den Liner-Notes zu Trumanns Album anmerkt: »Anders als alle anderen Ziffern von Eins bis Neun hat sie keine offenen Enden, kann niemals von sich selbst abgelenkt werden und ist somit eine Allegorie auf die absolute Vollkommenheit des schöpferischen Universums.« Legt man die Acht auf die Seite, bekommt man das Zeichen für Unendlichkeit — und ist beim Titel des Stücks »Wem Zeit wie Ewigkeit«, das als zehnteilige Suite auf der zweiten CD von Trumanns Oktett-Album zu hören ist.

Vor fünf Jahren begann Trumann also mit dem Schreiben von »Wem Zeit wie Ewigkeit«. Weil er diese Suite in der Georgs-Kirche seiner Heimatgemeinde in Barum unweit von Lüneburg komponiert hat, ist es einerseits ein Stück sakrale Musik. Andererseits stellt es aber auch Trumanns Auseinandersetzung mit dem gleichnamigen Gedicht Ernst Barlachs dar, das der Bildhauer 1927 aus Anlass des Erstgusses seiner Skulptur »Der Schwebende« schrieb. Es nimmt  Bezug auf den Ausspruch »Wem Zeit wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, der ist befreit von allem Leid« des Theosophen und Mystikers Jakob Böhme aus dem frühen 17. Jahrhundert.


Erst hinterher ist mir klar geworden, dass das Komponieren ein Nachdenken über mich gewesen ist — in dieser Kirche in ­meiner Heimat Barum.
Janning Trumann

»Ich fand das Thema Barlach und seine Skulptur ›Der Schwebende‹ sehr spannend«, erläutert Trumann. »Daraufhin habe ich mich mit Barlachs Arbeitsweise und Ästhetik beschäftigt und einige Charakteristika seiner Werke auf meine Art und Weise vertont.« Zudem war das Komponieren für den Posaunisten eine Beschäftigung mit seiner eigenen Familie und Herkunft. »Ja, es ist es auch eine Auseinandersetzung mit mir selbst gewesen«, betont Trumann: »Mit all dem, womit ich aufgewachsen und groß geworden bin. Das war mir in dem Moment, als ich die Stücke komponierte, noch gar nicht bewusst. Erst hinterher ist mir klar geworden, dass das Komponieren ein Nachdenken über mich gewesen ist — in dieser Kirche in meiner Heimat Barum.«

Anders dagegen beim titelgebenden Stück: »Der Kontrast ­zwischen der Freiheit von ‚Fundaments We Share’ und ,Wem Zeit wie Ewigkeit’, bei dem ich ja alle Musiker fest an die Hand genommen habe, ist mir wichtig gewesen«, sagt Trumann. Zwar ist »Fundaments We Share« ebenfalls in einer Kirche, der Kölner Agnes-Kirche, aufgenommen worden, dennoch unterscheidet es sich grundlegend von »Wem Zeit wie Ewigkeit«. »In Kirchen weiß man ja nie, ob es zwei, vier oder acht Sekunden Nachhall gibt«, so Trumann. »Mein Leitfaden für ,Wem Zeit wie Ewigkeit« sind schlichte Melodie-Fragmente, die ich weiterentwickelt und durchgeführt habe. Für ,Fundaments We Share’ habe ich aber nur kurze Skizzen geschrieben, die auf eine einzige Seite passen. Alle Musiker hatten die gleichen Noten vor sich, es gab für niemanden eine extra Stimme. Ich wollte Musik haben, die jedes Mal anders klingt, egal, wo wir sie spielen.« 

Tonträger: Janning Trumann, ­»Fundaments We Share« (erschienen auf Tangible Music)

tangiblemusic.bandcamp.com

Offenlegung: Unser Musikredakteur Felix Klopotek hat mit Trumann zwei Videos über die Arbeit an »Fundaments We Share« gedreht (beide auf Youtube zu finden).