Mit wacher Klarheit: James Baldwin (1969) Foto: Wikimedia Commons

»Blues für Mister Charlie«

1964 wurde ein Stück von James Baldwin aufgeführt, ein sozialkritischer Kommentar, auch heute erschreckend aktuell

Es kommt kein Mister Charlie vor, in diesem Stück in drei Akten, ­uraufgeführt 1964 in New York. James Baldwin hatte es geschrieben, in Erinnerung an den kurze Zeit zuvor getöteten Bürgerrechts­aktivisten Medgar Evers und an Emmett Till, einen 14-jährigen Schwarzen, der 1955 in Mississippi ermordet worden war. Doch als ihn nur wenige Wochen nach der Premiere des Theaterstückes der Spiegel interviewte, zeigte Redakteur Wilfried Ahrens keinerlei Interesse am literarischen Schaffen seines Gegenübers. »In Harlem werden Waffen gehortet« lautete die reißerische Überschrift des Interviews, das sich weitgehend um die Frage drehte, wann die Unruhen in den USA eskalieren würden. Ob der Journalist überhaupt davon wusste, dass 30 teils sehr prominente Unterschriften sich kollektiv zum Stück »Blues für Mister Charlie« bekannten, darunter Marlon Brando, Tennessee Williams, Harry Belafonte und Sidney Poitier?

Im Stück, wie auch in der ­Realität, wird der Mörder freigesprochen. Das Verfahren führt nicht der Richter (er kommt kein einziges Mal zu Wort), sondern der vorverurteilende Staatsanwalt, Zeug*innen werden nicht vernommen. Wie bereits im Fall Emmett Till entsteht das Bild, das Opfer habe den späteren Täter provoziert und seine Frau beleidigt. Fazit im Gerichtsverfahren: Mildernde Umstände für den Mörder. Und wer ist nun Mister Charlie, für den Baldwin den Blues singt? Gleich am Ende des ersten Aktes löst Baldwin das ­Rätsel, wenn er eine seiner Figuren, nämlich den Schwarzen Pfarrer, sagen lässt: »Sie sind Mister Charlie. Alle Weißen sind Mister Charlie.«

James Baldwin hatte als Aktivist und Schriftsteller einen klugen, eigensinnigen Blick auf die Gegenwart, in der er lebte — und so sind seine Aussagen auch heute noch erschreckend aktuell. In »Blues für Mister Charlie« verhandelt er die Fragen um Identität, Privilegien und den Kampf und Gleichberechtigung mit einer so wachen Klarheit, dass sie Jahrzehnte später noch immer Gültigkeit haben. Etwa wenn er seine Figur Parnell sagen lässt: »Es geht nicht darum, daran festzuhalten — diese Dinge, diese Privilegien sind Teil von einem, sind das, was man ist. Sie stecken einem in den Knochen.« Gerade aus diesem Grund sollte James Baldwin und sein »Blues für Mister Charlie« erneut auf die Bühne kommen.