Afrofuturismus mit »Bikutsi 3000«: Blick Bassy, einer der innovativsten Künstler Kameruns, © Kgomotso Neto Press

Tanz als Waffe

Das Africologne-Festival 2023 beschäftigt sich mit kolonialem Erbe, Neo-Kolonialismus und Widerstand aus künstlerischer Perspektive

»Ich fordere uns alle auf, unsere Vorstellungen von Kunst über Bord zu werfen und in den Reichtum eines solchen Ortes zu investieren«, sagte Christoph Schlingensief über das Operndorf. In Burkina Faso, dem Binnenstaat im inneren Westafrika, initiierte der Künstler 2010 ein Projekt, das Menschen zusammen bringen sollte: ein Dorf, in dem sie sich kreativ verwirklichen können und in dem vor allem neue, differenzierte »Afrikabilder« entstehen sollen, um sich stereotypen Darstellungen zu widersetzen. Nur ein halbes Jahr nach der Grundsteinlegung verstarb der sehr ­besondere Künstler viel zu früh, das Operndorf gibt es aber auch heute noch. Und 2010, genauer: am 7. Februar, dem Vorabend der Grundsteinlegung, trafen dort zwei ­Theatermacher aufeinander — eine Begegnung, die fortwirkt.

Wo Menschen miteinander aushandeln, wie eine Geschichte erzählt wird, da entsteht wirkliche Nähe und Kenntnis. Davon waren Gerhardt Haag und Etienne Minoungou überzeugt, als sie sich damals in Burkina Faso kennenlernten. Innerhalb weniger Tage entwickelten sie — Haag war Leiter des Kölner Theaters im Bauturm,  Minoungou Leiter des Theaterfestivals »Récréâtrales« in Burkina ­Fasos Hauptstadt Ouagadougou — Ideen für eine künstlerische Zusammenarbeit. Ein langfristiger, auf Nachhaltigkeit ausgelegter Austausch, über die Grenzen der Kontinente hinweg. Schon ein Jahr später fand in Köln das erste Africologne-Festival statt, in mehreren Spielstätten zeigten Künstler*innen aus Burkina Faso ihre Produktionen. Ein Mammutprojekt, immerhin fiel die erste Festivalausgabe in eine Zeit, in der die politische Lage im Land erneut ­angespannt war: Unzufrieden über die Politik des seit 1987 amtierenden Präsidenten Blaise Compaoré kam es dort zu Unruhen, das Militär schoss mit scharfer Munition, mehrere Menschen starben.


Das Africologne-Festival hat sich in Köln etabliert und es ist, wie Kerstin Ortmeier erzählt, »das bundesweit einzige Theater­festival mit ­ausschließlich ­afrikanischem Fokus

Zwölf Jahre sind seitdem vergangen. Das Africologne-Festival hat sich in Köln etabliert und es ist, wie Kerstin Ortmeier, künstlerische Leitung und Festivaldirektorin, im Gespräch erzählt, »das bundesweit einzige Theaterfestival mit ausschließlich afrikanischem Fokus«. Da gibt es noch das Kenako Festival in Berlin und das Afrika-Festival in Würzburg, bei beiden liegt der Schwerpunkt aber nicht auf den Darstellenden Künsten. »Auch außerhalb der Spielzeit ist das Festival deswegen zu einer Art Plattform geworden«, sagt Ortmeier. »Wir bekommen viele Anfragen und bringen Künstler*innen, ihr Schaffen und Wissen zusammen.« Als sie gemeinsam mit Festivaldirektor Gerhardt Haag 2021 das Festival pandemiebedingt weitgehend ins Netz verlegen musste, wurden die beiden vom Kölner Kulturrat ausgezeichnet: als »Kulturmanager*innen des Jahres«. Für Kerstin Ortmeier hatte die hybride Version damals auch positive Folgen: »Über den Live-Stream im Netz konnten wir Menschen auf der ganzen Welt erreichen. Das war schon berührend zu sehen, dass auf verschiedenen Kontinenten der Erde unser Publikum gleichzeitig zugeschaltet war.«

Und nun, 2023, wieder in ­Präsenz — allerdings mit einer ­weiteren Besonderheit: An der ­Universität zu Köln wird zeitgleich eine umfangreiche afrikawissenschaftliche Tagung, die »9. European Conference on African ­Studies« stattfinden, mit rund 250 Fachsitzungen, Panels, Round ­tables und Podiumsdiskussionen. Die Schwarzen Communitys und die Stadt Köln haben das zum Anlass genommen und ein Programm mit dem Titel »African Future — ­ All around« entwickelt. Mehr als 70 Kooperationspartner*innen beteiligen sich, um gemeinsam »die Komplexität, Vielschichtigkeit und Kreativität des modernen Afrikas und seiner Diaspora zu beleuchten«, wie es in der Ankündigung heißt.

Auch das Africologne-Festival, das gemeinsam mit der Konferenz am 1. Juni im Depot 1 des Kölner Schauspiels eröffnet wird. Die kenianische Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owour wird hier ihren Vortrag »Inscribing African Futures — from the Continent to the Galaxies« halten. Anschließend zeigt der aus Südafrika stammende Regisseur Brett Bailey seine Musiktheaterproduktion »Samson« über einen jungen Mann, der die Wut der Unterdrückten mit terroristischen Anschlägen kanalisiert, schließlich von Delilah, einer feindlichen Agentin, ­erzogen und rituell kastriert wird, und dessen brutale Bestrafung durch die Behörden ihn schließlich in einen mörderischen Akt der Verwüstung treibt. Regisseur Brett Bailey selbst sagt über das Stück: »Meine Interpretation bringt die biblische Geschichte ins 21. Jahrhundert und stellt sie in den Kontext meiner Beschäftigung mit Migration, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, ­Nationalismus, Aufstand und kolonialer und neoliberaler Politik.«

Nach hartem Stoff klingt das, passt sich aber ein in die beiden weiteren Schwerpunkte, die das diesjährige Africologne-Festival unter anderem mit seinen Gastspielen trägt: »Resistance« und »Restitution«. Aus Kamerun kommt der Künstler Blick Bassy mit einer afrofuturistischen Erzählung über die Königin von Nkolmesseng, die einen Widerstand anführt, um den Kontinent von Kolonialismus und allen ­Formen des Imperialismus zu befreien. Ihre Armee, die aus Frauen ­besteht, hat eine einzige Waffe: den Tanz. »Bikutsi 3000« heißt die Produktion. Es ist ein feministisches Manifest, basierend auf der Tradition des Bikutsi, einer traditionellen kamerunischen Musik und einem Tanz, den die Beti-Frauen zur Schmerzlinderung praktizieren. Im Orangerie Theater steht der ugandische ­Dramatiker Kagayi Ngobi auf der Bühne mit »For my Negativity« über Korruption und fragile Demokratien, dessen Aufführung der Medienrat in Uganda im vergangenen Jahr durch Drohungen zu verhindern versuchte. In der Tanzperformance »Opéra du ­villageois« lässt Zora Snake aus Kamerun die Kraft und Macht der Maske — rund um die Debatten über die Rückgabe von Kulturgütern — auferstehen, in Verbindung mit dem Körper als Träger des ­Widerstands. Schauspieler Aristide Tarnagda bringt, basierend auf Mohamed Mbougar Sarrs Roman »Terre Ceinte«, die Geschichte über den Widerstand gegen die ­islamistische Herrschaft in der ­fiktiven sudanesischen Stadt Kalep auf die Bühne, die ausbricht, nachdem zwei Jugendliche hin­gerichtet wurden.

Mit zahlreichen, künstlerisch sehr besonderen Gastspielen bespielt das Festival die Stadt also, ergänzt von weiteren Inszenierungen, Lesungen und Gesprächen — für Festivaldirektor Gerhardt Haag ein Spiel-Raum, in dem die afrikanische Community in Köln sichtbar werden kann. »Für mich gilt es mit diesem ­Festival auch sie und ihre Arbeit in der Stadt zu würdigen.«

Termine: africologne-festival.de/programm