Herz, Kopf, Seele — und Perücke der Partyreihe: Alex »Queer Mum« Reitinger

Der umsorgende Gastgeber

»Queer. Straight. Not Sure. Rock’n’Roll«: Die Partyreihe Backstage Diaries feiert 16. Geburtstag

»Eigentlich feiern wir gar nicht im Juni unseren Geburtstag, sondern erst im Oktober«, klärt Alex Reitinger ganz am Anfang unseres Gesprächs auf. Zwar habe die erste Backstage Diaries im Juni 2007 stattgefunden, aber so richtig los sei es erst im Oktober des gleichen Jahres gegangen, als man auf den monatlichen Turnus umgestellt habe.

Alex ist Herz, Kopf und Seele der Partyreihe, die einen festen Platz im Kölner Nachtleben hat, auch weil er sein eigenes Ego in den Hintergrund verfrachtet und Entscheidungen immer im Einklang mit dem Publikum fällt. Denn der charismatische und sympathische Partymacher mit dem bayerischen-oberpfälzischen Zungenschlag macht vieles anders — und deswegen so gut.

Überraschend ist etwa, dass Alex nicht in Köln wohnt. Nachdem er 2000 nach Köln gezogen war und während dieser Zeit bei der Dreiklang-Party im Artheater aufgelegt hatte, ging es 2006 nach Berlin. Eigentlich »nur kurz für’s Studium«, doch bis heute wohnt er in der Bundeshauptstadt. Dennoch entschied er sich 2007 die Backstage Diaries ins Leben zu ­rufen. Dem Spagat zwischen den Städten gewinnt er bis heute ­etwas ab: »Ich steige in mein Auto, fahre gemütlich nach Köln und nach der Party schlafe ich bei einer Freundin. Sonntags fahre ich dann wieder gemütlich zurück.«

Gemächlichkeit, die legt er wohlgemerkt nur beim Autofahren an den Tag; in der Nacht, bei seiner Party, da heizt er dem ­Publikum so gut wie möglich ein. Denn als Queer Mum — einer der besten DJ-Namen aller Zeiten — lässt er es knallen. Mit Perücke und in voller Montur ist Alex eine Rampensau, die Pop-Bretter und Mitsing-Charts spielt.

Obwohl er gut und gerne feiert, ist er kein sorg- oder achtloser Veranstalter. Ganz im Gegenteil: Er überlässt wenig dem Zufall. Flyer, Werbung, Social Media — macht er alles selbst. Ebenso Booking und Administration. Noch die Türsteher nimmt er genau ­unter die Lupe, alle sind solide gebrieft: Partys für nicht-straighte Menschen müssen Schutzraum sein und sich auch so anfühlen. Sein Credo: »Wenn es ein Problem gibt: Mir kann man zu jeder Uhrzeit schreiben. Ich bin für alle Gäste immer da!« Gerade für jene Gäste in Drag, die sich außerhalb des Clubs vielleicht den ein oder anderen Blick gefallen lassen müssen, sind die Backstage-Diaries-Partys ein Ort, um sie selbst zu sein. Ohne Vorurteile, unter Gleichen.

Für Alex ist es wichtig, dass es nicht nur um Party-Sound geht, Showelemente gehören für ihn genauso dazu: »Bei mir gibt es Drag-Acts, weil sie einfach dazu gehören. Es gibt so viele gute Künstler*innen! Da kann man sich auch mal ein Bier holen, zur Ruhe kommen, den Acts bei der Per­formance zuschauen und danach nochmal richtig loslegen.«

Das hat viel mit der Geschichte der Party zu tun und der Motivation seines Machers: »Lange Zeit gab es nur Schwulen- und Gay-Partys, auch welche für Lesben. Aber da habe ich mich selbst nie wohlgefühlt. Es gab meistens nur ein Milieu: Männer in Harness. Ich wollte aber sowohl Muskelmänner als auch feine Boys. Dazu Lesben und Bisexuelle.« Zur Backstage sollten alle kommen, betont Alex. Er meine das nämlich ernst: »Queer. Straight. Not Sure. Rock’n’Roll«! Da gehe es aber eher um die Attitüde. Musikalisch gibt es anderes als »Rock«: Er selbst legt am liebsten Charts, Pop und Indie auf, daneben gibt es einen Floor mit House und Techno: »Das ist meinem Freundeskreis geschuldet. Die einen mögen meine Musik, die anderen wollen lieber elektronische Klänge hören.« Um seinen Freundeskreis herum, sei die Party gebaut worden. Da strahlt er wieder durch: der umsorgende Gastgeber.

Die Mischung mit den beiden Floors, die könne man nur im Artheater so umsetzen. Damit platziert sich Alex und die Backstage eben nicht ins Epizentrum der Nicht-hetero-nicht-cis-Szene ­zwischen Waidmarkt und Schaafenstraße. Wird in diesem Zu­sammenhang das Ausgehviertel ­Ehrenfeld zum Standortnachteil? »Es ist für mich nicht der Fokus, da zu sein, wo die anderen Queer-Sachen stattfinden.« Begonnen ­haben die erste Backstage Diaries 2007 in der Werkstatt am Grünen Weg, nach ein paar Partys ging es in den benachbarten Sensor Club. Als dieser abgerissen wurde, zog Alex mit der Reihe ins Artheater, wo die Party seitdem elf Mal im Jahr stattfindet, nur im Juli ist ­Sommerpause: »Wir haben früher während des CSDs aufgemacht, aber das macht keinen Sinn. CSD ist nur einmal im Jahr und die Backstage Diaries dafür in jedem anderen Monat.«

Alex mag Ehrenfeld und seine Offenheit: »Ehrlich gesagt, ist für mich Ehrenfeld der heißeste Scheiß. Die ganzen Clubs, Bars und Restaurants — ganz Köln kommt hier zum Feiern hin.« Und ganz Köln ist backstage eingeladen: »Ich mache eine Party für alle. Aber ich schaue auch auf die richtige Mischung.« In seinem Team gibt es als Minderheit auch eine Hetero-Person; bei den Bookings schaue er darauf, dass die Party das Publikum repräsentiere: »Queer, Trans, Schwul, Non-Binär, Lesbisch, whatever.« So könne man denn auch eingrenzen: Party für alle, aber es soll nicht wie bei den straighten Partys laufen.

Man merkt, dass es hier eine gewisse Vorsicht gegenüber dem Aufbrechen solcher Grenzen gibt. Für Alex hat das aber weniger mit einer generellen Abgrenzung oder gar Aversion zu tun, er möchte bloß den Schutzraum garantieren. Demnach seien »Normalos« willkommen, sagt er mit einem Grinsen. Sie werden nicht als Fremdkörper oder problematische Charaktere per se verstanden; viele, die einfach nur zum Feiern ins Artheater kämen, würden dann aber schnell wieder gehen wollen und nach ihrem ­Eintritt fragen, »in einer Mischung aus Verschämtheit und Verstohlenheit«. Das passiere mindestens zehnmal jeden Abend. Dass die so schnell gehen, sei aber ihr eigenes Pech, denn auch Heteros haben Spaß auf der Party: »Manchmal knutscht ein Hetero-Paar am Ende des Abends im Vorraum. Das ist doch schön!« Außerdem sei die Party bei Frauen beliebt, die in Ruhe feiern gehen könnten, ohne ständig angegraben zu werden.

Das Publikum und seine Diversität gebe ihm recht — hier fühle sich heute jedermensch willkommen. Anfänglich habe es etwas ­gedauert, bis man die Communitys der trans Frauen und trans Männer überzeugt hatte: Mit gezielter Werbung und einigem Engagement hat er aber auch ihnen beweisen können, dass es ihm ernst ist mit der »Party für Alle«, in der man ­ungestört feiern könne. So blickt Alex zuversichtlich auf die nächsten Jahre. Garantieren könne man zwar nichts, aber das Ziel sei klar: »Wir feiern bis zum Umfallen!«

Sa 10.6., Backstage Diaries mit HGR.Hintergrundrauschen und Robin Elyza, Artheater, 23 Uhr