Beständig postmodern: Tom McCarthy

Daten, Daten, Daten

Tom McCarthy zeigt in seinem neuen Roman die schöpferischen Grenzen von Big Data

Alles bewegt sich, »alles fließt« — in Tom McCarthys neuem Roman wird Heraklits Formel zum Diktum einer spektakulären Odyssee durch die Geschichte der Bewegungserfassung. Gewohnt visionär erzählt der britische Schriftsteller und Künstler in »Der Dreh von Inkarnation« vom Mensch-Sein in einer datenregulierten Welt. Wie in seinen vorherigen Romanen orientiert sich McCarthy auch in seinem neuen Buch an der postmodernen Theorie.

»Die Dinge stehen in Verbindung mit anderen Dingen, die mit anderen Dingen in Verbindung stehen«, heißt es im Prolog des Romans. Ausgehend von einer Welt in Bewegung, erscheinen alle Körper und Ereignisse rhizomatisch miteinander verwoben. Aus diesem Geflecht an Informationen will das Motion-Capture-Studio Pantarey einzelne Bewegungsabläufe digitalisieren und verarbeiten. »Alles ist Information. Sie wird ununterbrochen gespürt, aufgezeichnet, gespeichert und untersucht. Die ganze Welt ist ein Archiv.« Durch Bewegungsübertragungen aus allen Lebensbereichen schöpft das Unternehmen aus einem riesigen Datenpool für seine Auftrag­­­­geber:in­nen. Doch zur Umsetzung einer Raumschiffzerstörung für den Sci-Fi-Film »Inkarnation« stoßen die Mitwirkenden an ihre Grenzen. Die Lichtspurtechnik der bereits verstorbenen Ingenieurin und Psychologin Lillian Gilbreth soll das Problem lösen.

Durch ihre Erfassung von Arbeitsvorgängen mit Lichtspuren gilt Lillian Gilbreth als Pionierin der Bewegungsforschung. Im Roman führt eine fehlende Schachtel aus ihrem Archiv den Pantarey-Mitarbeiter Marc Phocan auf eine globale Suche nach dem Geheimnis dieser Schachtel 808, die »alles verändert«. Geschickt spannt McCarthy einen Bogen zwischen den verschiedenen Handlungssträngen — von der Weltraumsaga im Stil von Star Wars über die am Filmset perfekt berechnete und doch vermurkste Liebesszene bis hin zur untergegangenen Wissenschaftswelt der Sowjetunion — nur, um festzustellen: Am Ende ist natürlich alles anders als erwartet.

»Der Dreh von Inkarnation« wirft einen skurrilen sowie scharfsinnigen Blick auf die Realität unserer datenhungrigen Welt. Wünscht man sich an manchen Stellen konkretere Erklärungen zu den vielen Spezialbegriffen, die die Lesbarkeit des Romans zuweilen bremsen, ist McCarthys Erzählung dadurch aber auch genau das: ein nachwirkendes Roman­experiment.

stadtrevue präsentiert
Lesung: Sa 3.6., Buchhandlung Bittner, 19.30 Uhr
Verlosung > Tageskalender erste Seite

Tom McCarthy: »Der Dreh von Inkarnation«,
Suhrkamp, 445 Seiten, 25 Euro