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Wonnig neigt sich das Jahr in Köln, der Medienmetropole des Westens, denn im Großen wie im Kleinen wurde sie zuletzt gepriesen. Zunächst Schauplatz New York: Die Geschichtsdoku »Das Drama von Dresden« der Kölner Produktionsfirma Broadview.tv wurde mit einem International Emmy bedacht, dem führenden Preis für edle TV-Produkte weltweit. Dann leuchtete, wie schon kurz berichtet, im November der »Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen« am Rhein. Die Auszeichnung der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche ging an den WDR, genauer an die Autoren der investigativen Fernsehdoku »Milliarden-Monopoly«: Ingolf Gritschneder und Georg Wellmann waren den verschwiegenen Geschäften der Oppenheim-Esch-Holding in Köln nachgegangen und hatten ein System freigelegt, von dem Kritiker behaupten, dass es den Investoren konkurrenzlose Renditen auf Kosten des Steuerzahlers ermöglicht. Nach Ausstrahlung rückte die Staatsanwaltschaft aus und ermittelt seitdem, auch gegen die Stadtspitze. Und dann ging noch die Generalabsolution über den Ticker: Köln gehöre überhaupt zu Europas Besten in Sachen Produktivität und Infrastruktur, behauptet eine europaweite Vergleichsstudie der HypoVereinsbank. Gemeinsam mit Helsinki, London und Amsterdam sei Köln »ein Vorbild für deutsche Metropolen im Standortwettbewerb«.

Emmy, Leuchtturm und Europacup! Nach jahrelangen Big-Brother-Spasmen und monopolistischem Zeitungsmuff, zuletzt dann mattem RTL-Abglanz und Viva-Abgang jetzt mal wieder eine andere Tonart. Re-imagine!, flüstert management-modisch der Zeitgeist. Denn egal ob Stadt, Firma oder gern auch ganz privat: Glaubt man dem Management-Popen Tom Peters, so kann in diesen chaotischen Zeiten künftig nur mit Spitzenleistungen reüssieren, wer sich neu erfindet, und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder. Talent, so der US-Amerikaner, ist die wichtigste Ressource der Zukunft, die ihr Potenzial freisetzen, bürokratische Hindernisse für radikale Neuentwürfe beseitigen und – dem Visionär ist nix zu schwer – WOW-Effekte produzieren müsse. Ja, so reden die da, mit fetten, roten Ausrufezeichen auf kunterbunten Seiten, und man spürt gleich die Unzulänglichkeit der eigenen bescheidenen Vorsätze fürs neue Jahr.

Mit solchen war auch die neue RTL-Chefin Anke Schäferkordt im September angetreten, und lässt nun prompt die ersten WOW-Effekte folgen. Zuvor hatte der Sender nicht nur wirtschaftlich Federn lassen müssen, sondern verbaselte verlässlich auch fast alle Programmtrends von Telenovela bis Impro-Show. In ihrer offenen, verbindlichen Art scheint die Ex-Vox-Chefin bisher den richtigen Ton zu treffen, aber auch unangenehme Hausaufgaben sind zu verrichten: 300 Stellen sollen angeblich gestrichen werden, und so richtete die neue Chefin, gestählt im Bertelsmann-Controlling, als erstes mal eine Stelle für Prozessmanagement ein. Bei der hauseigenen Werbeagentur RTL Creation wurde eine ganze Managementebene abgeschafft, dann Anfang Dezember bei RTL der Programmdirektor. Vor allem hier hatte es zuletzt Re-imaginationsstau gegeben: Hundertfach ließ man Produzenten auf deren Kosten neue Formate pilotieren, doch verloren sich Entscheidungen meist in abteilungshierarchischen Scharmützeln. So konnte das nicht weitergehen, man ist schließlich nicht beim WDR. Ab sofort berichten alle Programmbereiche direkt an Schäferkordt. Die Zukunft gehört Frauen in Chefsesseln, sagt auch Herr Peters. Interaktiver, kooperativer, selbstbestimmter, flexibler und weniger rangbewusst – ihre Stärken korrespondieren mit den Führungserfordernissen der New Economy. 2006 kann kommen.