Wendekreis des Schafes

Die Möglichkeiten der Nutzung von Tieren für biomedizinische Zwecke scheinen grenzenlos zu sein – sowohl in technischer wie auch in ethischer Hinsicht. Doch was sind die Folgen? Marko Belser sprach mit der Soziologin und Tierethikerin Birgit Mütherich.

Der Beschluss des britischen Parlaments, menschliche Embryonen bis zum Alter von 14 Tagen zum Klonen freizugeben, führte zu heftigen Kontroversen. Die Genmanipulation von Tieren scheint dagegen drei Jahre nach der Geburt des Klonschafs Dolly von der öffentlichen Meinung akzeptiert zu werden. Täuscht der Eindruck, dass die ethische Debatte ausschließlich um den Menschen kreist?

Nein, der täuscht leider überhaupt nicht. Den tierethischen Ansatz hat es zwar immer gegeben und es gibt ihn heute verstärkt, nur findet diese Diskussion – abgesehen von der Arbeit tierrechtspolitischer Organisationen – international fast ausschließlich im akademischen Bereich statt und wird kaum von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Erst wenn menschliche Belange direkt betroffen sind, so wie bei der Debatte um die Verwertung embryonaler Stammzellen, dann ist der öffentliche Aufschrei groß. Doch der problematische Ursprung wird dabei nicht gesehen. Aus biologischer Sicht sind die Übergänge vom Menschen zu anderen Säugetieren fließend. Das führt dazu, dass an anderen Säugetieren all das praktiziert wird, was bei Menschen Anwendung finden soll – und dann haben wir den Prozess, bei dem es wie in der Reproduktionsmedizin stark um Kommerzialisierung geht.

Wo liegen die Wurzeln dieses anthropozentrischen Weltbildes?

Hier lassen sich besonders zwei Strömungen ausmachen, die die abendländische Kultur zutiefst geprägt haben. Zum Einen das Christentum, das auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen verweist. Danach besitzt nur der Mensch eine Seele, andere Lebewesen werden als seelenlose Materie und Werkzeuge des Menschen gesehen. Ähnlich wurde auch in der Antike argumentiert: Alles was nach menschlichem Maßstab nicht »vernünftig« ist, ist minderwertig. Dieses Denken hat sich über das Mittelalter und die Neuzeit – hier ist besonder Descartes zu nennen – bis heute erhalten. Zwar gab es sowohl in der Antike, mit Pythagoras, als auch im Christentum, mit Franz von Assisi, Positionen, die die Tiere als Verwandte oder Mitgeschöpfe des Menschen sahen, doch konnten sich diese »egalitären« Konzepte bis heute nicht gegenüber der den Herrschaftsinteressen entsprechenden, hierarchiebezogenen Position durchsetzen.

Tierliches Leiden wird immerhin mit hochrangigen medizinischen Zielen für die menschliche Gesundheit legitimiert.

Den Begriff »menschlich« sollte man in diesem Zusammenhang etwas genauer beleuchten. Die Forschungsförderung gibt hauptsächlich Geld für die Erforschung von Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herzerkrankungen aus, also für typische Gebrechen der westlichen Industrienationen, und nicht für Malaria oder Cholera.

Doch von der Xenotransplantation oder dem Gene Pharming (s. Glossar) könnten auch Menschen aus den Entwicklungsländern profitieren.

Abgesehen davon, dass Tiere keine Ersatzteillager sind, ist hier auch generell Vorsicht geboten. Nicht alles, was uns von der medizinischen Forschung als verheißungsvoll angepriesen wird, ist dies tatsächlich. Das zeigt sich besonders gut am Beispiel der Xenotransplantation, die mehr Risiken als Chancen beinhaltet. Eine Gefahr besteht unter anderem darin, dass Viren Artengrenzen überspringen, dass sich also Retroviren anderer Tierarten im menschlichen Organismus ausbreiten und dort mutieren können – man denke an Probleme wie Aids oder BSE.

Gibt es denn Alternativverfahren, die die Vernutzung von Tieren verzichtbar machen?

Ja, die gibt es zweifellos. Beispielsweise im Bereich der Züchtung von Zellkulturen, die sich gut für pharmazeutische und toxikologische Versuche eignen. Tierversuche könnten durch in-vitro- und Computersimulations-Methoden abgelöst werden. Mittlerweile gibt es sogar Versuche, aus Zellkulturen menschliche Organe herzustellen.

Die Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen schließen Sie dabei aus?

Natürlich.

Der tierethische Ansatz steht also nicht zwangsläufig dem medizinischen Fortschritt im Wege?

Überhaupt nicht. Denn im Gegensatz zur Xenotransplantation oder zum Gene Pharming – Verfahren, die auf einer konservativen Medizin mit Gewaltgrundlage basieren, also einer Medizin, die aus der Gewaltanwendung gegenüber Tieren erwächst und auch viele Risiken für Menschen beinhaltet –, sind Forschungsmethoden, die mit Bakterien, Zellkulturen oder interaktiven Simulationsprogrammen arbeiten, wirklich als innovativ zu bezeichnen.

Benutzt die Pharmaindustrie den therapeutischen Fortschritt somit nur als Vorwand für die Nutzung von Tieren?

Einerseits ja, andererseits gehen die Tierversuche für pharmazeutische Anwendungen zurück. Dagegen steigt die Zahl der Tiere, die für Grundlagenforschung und Gentechnik »verbraucht« werden. Und bei der Grundlagenforschung kann man nun gar nicht von einem therapeutischen Nutzen sprechen. Man experimentiert hier erst mal ins Blaue hinein, ohne direkte Zwecksetzung.

Wenn diese alternativen Methoden schon existieren, stellt sich natürlich die Frage, warum die Wissenschaft so sehr an Tierversuchen festhält?

Hier ist ein starker Beharrungsmechanismus innerhalb der Forschung auszumachen. Dem zu Folge ist es unnötig etwas zu verändern, an das man gewöhnt ist und das bisher angeblich geklappt hat. Hinzu kommt vor allen Dingen, dass sich die Forschung zunehmend marktwirtschaftlichen Zwängen ausliefert. Der Motor des »Turbokapitalismus« rotiert auch in der Wissenschaft und führt hier in einen verschärften, weil globalen Wettbewerb, in dem die Innovationszyklen für Produkte extrem verkürzt werden. Für die Umstellung auf neue Methoden nimmt man sich keine Zeit, vor allem nicht in den hochdynamischen Bio- und Gentechnologien.

Warum greift die Politik nicht korrigierend ein? Einerseits warnt sie vor einem »ethischen Dammbruch«, der durch das Klonen von Tieren droht, andererseits verbietet sie es auch nicht ausdrücklich.

Die Politik auf nationaler Ebene erscheint hier leider fast handlungsunfähig und wenn es um Tiere geht auch relativ handlungsunwillig. Aber insgesamt hat die nationale Gesetzgebung auch immer weniger Chancen in einer globalisierten Wirtschaft. Ist beispielsweise einem der zahlreichen Start-ups im biotechnologischen Sektor die Gesetzeslage in Deutschland zu feinmaschig, droht man eben damit, nach Großbritannien oder in die USA zu gehen.

Es sind also internationale Organisationen wie die UNO oder die EU gefragt?

Dass man auch auf diesen Ebenen relativ hilflos gegenüber der Macht wirtschaftlicher Interessen agiert, zeigt sich am Beispiel der Patente auf Leben. Im September 1999 wurde die Patentierung tierlicher Lebewesen und menschlicher Organe vom Europarat verboten. Doch genau solche Patente wurden noch im selben Jahr vom Europäischen Patentamt in München genehmigt.

Hat der ethische Damm gegen die Übertragung von Methoden aus der Tierforschung auf Menschen also schon zu brechen begonnen?

Ganz genau, und nicht nur in diesem Fall. Das Verfahren der Geschlechtsbestimmung von Embryos mittels Ultraschall stammt auch aus der Tierforschung und sorgt jetzt, in Indien etwa, für schreckliche Konsequenzen. Aus der frühzeitigen Erkennung des Geschlechts folgt die massenhafte Abtreibung von weiblichen Embryos.

Welche Forderungen stellen Sie in Anbetracht solcher Tatsachen – auch aus tierethischer Sicht?

Zum Einen die Forderung nach mehr Transparenz und einer echten Kontrolle im wissenschaftlichen Bereich durch parlamentarische Gremien und die Einbeziehung kritischer WissenschaftlerInnen und Nichtregierungsorganisationen. Tierethische Fragen beziehen sich jedoch nicht nur auf die Wissenschaft, sondern auf den gesamten gesellschaftlichen Bereich. Daher muss man die Frage stellen, warum eine Gesellschaft wie unsere, die meint, ein gewisses Zivilisationsniveau erreicht zu haben und die technologisch nicht darauf angewiesen wäre, es trotzdem nötig hat, Millionen Tiere zu quälen und zu töten.

Ist das nicht ein bisschen illusorisch?

Dies klingt zugegebenermaßen vielleicht noch ein wenig illusorisch. Doch ähnlich illusorisch klang einmal die Forderung nach der Abschaf-fung der Sklaverei oder die nach dem Wahlrecht für Frauen. Natürlich geht es nicht um ein Wahlrecht für Tiere, aber es geht um das fundamentale Grundrecht auf Leben und körperlich-seelische Unversehrtheit.



Glossar

Kerntransfer: das Klonen mit Hilfe der Übertragung eines Zellkerns in eine Eizelle. Kerntransfer ermöglicht im Unterschied zu anderen Klonverfahren zielgenaueste genetische Veränderungen und deren Weitergabe an die kommende Generation. Die Chancen geklonter Embryos lebend und ohne Schäden geboren zu werden, sind beim kerntransferbasierten Klonen zwar höher als bei anderen Klonverfahren, aber immer noch sehr gering.

Gene Pharming: die Erzeugung von Medikamenten durch transgene Säugetiere. In Milchdrüsen sollen nennenswerte Mengen pharmokologisch wirksamer Stoffe erzeugt und durch Melken gewonnen werden. Das effizienteste Verfahren ist die sogenannte Dolly-Methode: ein menschliches Gen wird in fötale Schafsgewebezellen eingeschleust, mit Hilfe der manipulierten Zellkerne werden identische Lämmer geklont (kerntransferbasiertes Klonen), die den gewünschten Wirkstoff produzieren.

Tiermodelle: medizinische Versuche an transgenen Tieren. Zum einen wird versucht menschliche Krankheiten wie Schlaganfall oder Krebs an Tiermodellen nachzustellen, zum anderen soll der Wirkungsvergleich von Medikanten durch den Einsatz identischer Tiere optimiert werden. Die Herstellung von Krankheitsmodellen an Großtieren ist bislang am wenigsten vorangeschritten.

Zellkulturen: Züchtung von Geweben unter Laborbedingungen für Vergiftungs- oder Medikamententests oder als Ersatzgewebe. Im Frühjahr gelangen bspw. Heilungsversuche der Huntington-Krankheit in Zellkulturen. Werden Zellkulturen auf eine bestimmte Anwendung hin bio- oder gentechnisch manipuliert, spricht man von Tissue Engineering. Beispiele: Künstlicher Knorpel, Stammzelltherapien.

Xenotransplantation: Übertragung tierischen Gewebes oder tierlicher Organe auf den Menschen. Anwendungshindernisse sind die Abstoßungsreaktion des menschlichen Organismus auf fremdes Gewebe und die Gefahr der Übertragung tierlicher Krankheitserreger. Zur Züchtung von menschlichen Organen in Tieren müssten, um ungewollte Nebenwirkungen zu vermeiden, vielfach transgene Tiere geklont werden.


Literatur:

Die Problematik der Mensch-Tier-Beziehung in der Soziologie. Birgit Mütherich, LIT-Verlag 2001, 256 S., 39,80 DM.
Das maßgeschneiderte Tier. Klonen in Biomedizin und Tierzucht. Christoph Revermann/Leonhard Hennen, Ed. Sigma 2001, 242 S., 44 DM.