»Ich mag unfertiges Theater«

Interview mit Karin Beier, die ab 2007 Kölner Schauspielintendantin werden soll

Man könnte es die kölsche Lösung nennen, wenn Karin Beier, 39, im Herbst 2007 neue Schauspielintendantin wird. Beier ist in Köln geboren, ging als Schülerin ins Schauspielhaus Jürgen Flimms, hat an der Kölner Uni Shakespeare inszeniert und unter Günter Krämer gearbeitet. Beier ist die Wunschkandidatin von Kulturdezernent Georg Quander, der bereits die Zustimmung der Kulturpolitik eingeholt hat. Die Entscheidung dürfte Ende Januar also den Rat passieren. Zum Zeitpunkt des Interviews waren finanzielle und strukturelle Details des Fünfjahresvertrags noch nicht ausgehandelt. Beier machte insbesondere in den späten 90ern mit multilingualen Shakespeare-Inszenierungen von sich Reden.
Sie ist Hausregisseurin am Wiener Burgtheater.

StadtRevue: Was reizt Sie an der Kölner Intendantenaufgabe?

Karin Beier: Der Gedanke, dass man eine Art künstlerisches Gesamtkunstwerk schaffen kann. Dass man hofft, bestimmen zu können, wie das Profil eines Theaters aussehen soll. Dazu kommt die Vorstellung, Menschen zu engagieren, die man im besten Falle sowohl künstlerisch als auch menschlich sehr mag. Die um sich zu versammeln, ist eine Traumvorstellung.

Wie soll das Profil aussehen?

Köln ist eine Migrantenstadt. Der Ausländeranteil ist sehr hoch. Ich finde, darauf muss man sich einlassen. Mein Traum wäre das, was ich ein international-deutsches Ensemble nenne. Ich hätte gern ein Ensemble, in dem alle deutschsprachig sind, aber aus verschiedenen Kulturkreisen abstammen. Das knüpft an meine multilingualen Shakespeare-Inszenierungen an, ist aber neu, wenn man sich vorstellt, urdeutsche Texte wie »Die Nibelungen« oder einen Kleist mit so einer Gruppe zu machen. Ich glaube, man kann auf eine sinnliche Weise viel in Schwingung bringen, wenn das Ensemble etwas Gesellschaftliches, aber eben auch Köln-spezifisches widerspiegelt.

Welche Facetten des Theaters betrifft diese Idee?

Neben dem Ensemble betrifft das die Auswahl der Regisseure und natürlich die Themen, also die Stücke. Es wäre schön, dieses Theater an Fragen nach Lebensräumen, Toleranz, Integration, Errungenschaften der europäischen Idee, Verbarrikadieren vor europäischen Ideen usw. anzubinden. Je älter ich werde, desto moralischer werde ich. Man selbst, und das Theater zumal, hat eine Verantwortung. Ich glaube, dass Theater politisch sein sollte. Politisch natürlich in einem Sinne, der geprägt ist durch unsere Zeit, die eine des Relativierens ist.

Welche Regisseure sollen bei der Umsetzung helfen?

Ich kann zur Zeit noch keine Namen nennen. Mein Traum wäre aber, zwei Hausregisseure zu haben, die sich an Köln binden. Das ist aber auch eine Frage, des mir zur Verfügung stehenden Geldes.

Werden Sie Regie, Dramaturgie und Ensemble
vollständig erneuern?


Über das Ensemble möchte ich keinen Stab brechen, weil ich es nicht kenne. Aber wenn es einen Intendantenwechsel gibt, ist eine große Erneuerung normal. Ich glaube, ein Haus wird geprägt von Schauspielern. Erst einmal kommen die Schauspieler, dann lange nichts. Der unmittelbare sinnliche Eindruck eines Top-Schauspielers prägt einen Abend entscheidend.

Dazu passt, dass Sie als Regisseurin gelten, die eher das Spielerische und Schauspielerische am Theater betont als ein starkes Konzept.

Das stimmt nicht ganz. Es gibt Schubladen, die wurden gemacht als ich 26 oder 27 Jahre alt war. Grundsätzlich: spielerisch und Schauspieler-bezogen, ja. Es gibt aber Abende von mir, die sind extrem konzeptionell. Nicht in der Spielform, aber in der Lesart. Ein Beispiel ist mein »Richard III.«
in Bochum.

Welche Theaterformen schätzen sie momentan?

Ich mag unfertige Arbeiten, die über das Raue eine besondere Verbindung zur Realität aufbauen. Insgesamt hoffe ich, dass das Haus eine gewisse Modernität erhält. Ich kann allerdings nicht alle Regisseure holen, die ich momentan knallig finde. Da würden die Kölner rückwärts vom Stuhl fallen.

Das Publikum hier ist so konservativ?

Ich finde es wirklich schwierig. Ich glaube, in dieser Stadt funktioniert das, was ich kulinarisches Theater nenne. Das darf man nicht gleichsetzten mit anbiedernd und leicht verdaulich. Kulinarisch heißt: schwitzen, lebendig sein, rau sein. Ich glaube, das Theater in Köln muss sinnlich sein. Ein zu sprödes intellektuelles Theater sollte sparsam dosiert werden, zumindest am Anfang.

Wie steht es mit Postdramatik à la She She Pop oder Rimini-Protokoll?

Solche Formen können mit Sicherheit Zugang haben. Sie sind aber nicht zwangsweise modern. Ich will mich nicht zum Sklaven machen, das Theater neu zu erfinden. An den meisten großen Häusern heißt es momentan: Hauptsache jung. Das ist nicht unbedingt gut.

In welchem Verhältnis werden Gegenwartsdramatik und klassische Texte stehen?

Ich würde sehr gerne eine Autorenwerkstatt einführen. Autoren aus der Region, am besten verschiedener Nationalitäten, sollen einen Monat lang an einem Text arbeiten, der dann von Hausregisseuren und Regieassistenten vorgestellt wird. Ansonsten bin ich der Auffassung: Keine Uraufführungen auf Biegen und Brechen. Was Klassiker angeht: natürlich. Es kommt darauf an, wer sie inszeniert, so dass sie – schreckliches Wort – gesellschaftlich relevant werden.

Unter Marc Günthers Intendanz fehlen Diskursveranstaltungen von Format. Nur zuletzt schien sich das zu ändern durch die Initiative von Navid Kermani.

Kermani interessiert mich als Denker sehr. Seine Interessen passen sehr gut zu meinen. Ich würde gerne mit ihm zusammenarbeiten. Er ist moralisch, aber auf eine sinnliche Weise.