Maximal gesättigt

Pearls and Brass erfinden den Rock nicht neu, dankenswerterweise

Was setzt diese Musik voraus? Z.B. ein großes Land mit föderaler Struktur, in dem keine Hauptstadt oder Megacity (kulturell, politisch, ökonomisch) dominiert. Ein Land mit sehr unterschiedlichen provinziellen Gegenden. Hinterwäldlertum, Weltabgeschiedenheit, Platz für schier endlose Langeweile. Es ist unmöglich, sich eine Band wie Pearls and Brass in England oder gar Frankreich vorzustellen.

Warm und knödelig, statt angekränkelt

Pearls and Brass machen Heavy/ Rock, sehr satt, straight, auch detailverliebt. Sie spielen ausschließlich Midtempo-Nummern. Nichts mit NuMetal, nichts mit Stoner Rock, noch nicht mal mit Grunge (wir erinnern uns noch...) hat diese Musik zu tun. Nicht im geringsten angekränkelt von irgendwelchen neumodischen Stilarten der Popmusik. Eine Gitarre, ein Bass, ein Schlagzeug, warmer, knödeliger, leicht weggetretener Gesang im Duett mit warmen und knödeligen Gitarrensoli.
Die Burschen heißen Randy Huth, Joel Winter, Josh Martin. Noch nie gehört? Macht nichts, die sind Mitte Zwanzig, spielen seit über zehn Jahren zusammen, haben jetzt ihren zweiten Longplayer draußen, »The Indian Tower« (der erste mit Europa-Vertrieb) – und kommen aus Nazareth, Pennsylvania. Hinterwäldlertum, Weltabgeschiedenheit, Platz für schier endlose Langeweile.

Heavy Rock

Natürlich gibt es Role Models für diese Musik, Cream, Black Sabbath, Led Zepplin, Grand Funk Railroad, Sir Lord Baltimore. Hauptsächlich also früher und frühester britischer Heavy Metal gepaart mit amerikanischem Blues Rock. Sich zu solchen Vorbildern zu bekennen, bedeutet auch in den aufgekratzteren Gegenden der Popwelt, London, Berlin, New York, Tokyo, kein Risiko mehr. Man kann ja aus allem etwas hippes, queeres, camp-mäßiges machen. Das funktioniert aber mit dem Trio aus Pennsylvania nicht. Für die ist Heavy Rock ganz einfach das Material, das – warum auch immer – ihnen in ihrem zutiefst provinziellen Umfeld am nahesten lag und dessen sie sich hingebungsvoll bedienen (so wie in einigen Gegenden Bayerns junge Menschen wohl immer noch irgendwas Handgezupftes als erstes in ihrer musikalischen Erziehung lernen).

Es lebe die Provinz

Mit Pearls and Brass hält ein Modell der Beständigkeit und der Konzentration in die europäische Rockwelt Einzug, das strukturell den drei- bis viermal durchdachten Britpoppern und Electroclashern und Neopunks überlegen ist. Weil Pearls and Brass auf alle Theatralik, allen Geständniszwang, alle Was-kostet-die-Welt-Rhetorik verzichten, ohne machohaft borniert rüberzukommen. Ihre Musik ist ein Lob der Provinz. »Indian Tower« sei allen Menschen mit selbst induzierter Berlin-Melancholie ans kranke Herz gelegt.

Tonträger: Pearls and Brass, »The Indian Tower« (Drag City/Rough Trade),
erscheint am 30. Januar