Ort als Schicksal

Die »European Kunsthalle« bleibt beweglich und streitbar: Label neuer Denkansätze oder Kunstinstitution in Gründung?

Einige der Kölner Kulturschaffenden sind sauer: Der Gründungsdirektor der »European Kunsthalle«, der noch im werden begriffenen Kunstinstitution, übernahm ab Neujahr die Leitung des »Witte de With – Center for Contemporary Art« in Rotterdam. Wird der Tausendsassa Nikolaus Schafhausen, der in Teams regelmäßig an mehreren Orten kuratiert, seine Arbeit in Köln nicht vernachlässigen? Dagegen plädieren die Fürsprecher: Schafhausen schöpfe aus dem Vollen und werde seine vielfältigen Kontakte für Köln fruchtbar machen.

Benutzeroberfläche Stadt

Parallel zur Kölner Berufung im Frühjahr 2005 leitete Schafhausen bis 31.12.2005 zusätzlich mit halbem Vertrag den Frankfurter Kunstverein, den er seit 1999 erfolgreich führte. Wie jetzt in Köln nahm er sich auch dort wenige Monate Zeit und begann dann mit Gesprächen, Vorträgen und Performances. Damals nannte sich das Programm »Benutzeroberfläche Stadt«. Schafhausen ging es darum »herauszufinden, was für eine andere Publikumsstruktur man mit solchen Veranstaltungen, u.a. mit Musikern, Clubbetreibern, die aus der lokalen Kunstszene kommen, erreicht.«

Under construction

Ähnliches will er nun in Köln mit seinem Team und internationalen Gästen ausloten. Den gesamten März wird an verschiedenen Kulturorten der Stadt täglich unter dem Titel »under construction« über »mögliche Modelle von Kunsthallen«, »Kunst ohne Ort« etc. gestritten. Zugesagt haben Barbara Steiner, die in Leipzig zwei widersprüchliche Ausstellungsarchitekturen neben einander bespielt, und Dirk Luckow, der sein Kieler Kunsthallenprogramm mit der Sammlung vereint. Zum European-Kunsthalle-Aufbauprogramm kommen »Manifesta«-Kuratoren, wie der Amsterdamer Ole Bouman oder der Frankfurter Florian Waldvogel, der 2004 ein dreimonatiges Projekt »zu einer autonomen Zone städtischen Handelns« definierte, »in der künstlerische Aktivitäten, urbaner Diskurs und Jugendkultur aufeinander treffen«.
Außerdem werden der Niederländische Kunst-/Wirtschaftsoziologe Olav Velthuis, Aaron Betsky vom Niederländischen Institut für Architektur und der in New York und Paris lebende Künstler Matthieu Laurette erwartet, sowie die Autorin Nina Möntmann, die in Hamburg und Helsinki lebt und über den sozialen Raum in der zeitgenössischen Kunst arbeitet. Als Rheinlandexperte wird Martin Stankowski sprechen, der als »Kölner Journalist, Geschichtenerzähler und alternativer Stadtführer« firmiert.

European Kunsthalle: ein Rechercheprojekt

Theoretisch und praktisch soll es um »Entertainment« gehen, um »Public Space«, »Bürgergesellschaft im Wandel« und »die Ausstellung als Instrument der Aufklärung«, oder um »Powerless Structures«. Nach diesem Veranstaltungsmarathon wird man genauer wissen, was in den letzten Monaten angebahnt und bislang nur auf zwei Podiumsdiskussionen formuliert wurde.
Sein Rotterdamer Programm beginnt Schafhausen im Frühsommer 2006. Mit welchen tatsächlichen Auswirkungen er gegenwärtig seine Aufmerksamkeit aufteilt, bleibt abzuwarten. Um die angekündigte Einrichtung und Finanzierung einer Stiftungsprofessu an der Kölner Uni, die die Kunstgeschichtsschreibung nach 1945 gesamteuropäisch erarbeiten soll, wird er sich selbst kümmern. Der langjährigen Mitarbeiterin Vanessa Joan Müller vertraute er im Herbst die wissenschaftliche Leitung der European Kunsthalle an, als eines »Rechercheprojektes«, wie sie es nennt. Pragmatischer Weise – und wohl nicht ohne leise Selbstironie – übernahm die Neukölnerin mit drei Mitarbeiterinnen diejenigen Büroräume im Städtischen Kulturamt, die bis zu deren Scheitern für die Europäische Kulturhauptstadtbewerbung genutzt wurden.

Zwischen Stabilität und Instabilität

Im Spätherbst begann auch der international agierende Architekt Nikolaus Hirsch mit seinen Kollegen Markus Miessen und Philipp Misselwitz ein zweijähriges Forschungsvorhaben: »Dieses Dilemma zwischen Stabilität und Instabilität (oder dem, was einst Non-Plan genannt wurde) ist Ausgangspunkt für die Studie »Spaces of Production« als integralem Bestandteil der European Kunsthalle.«
Für diese Art der Befragung öffentlicher Kultureinrichtungen gibt es bis jetzt kein Geld aus NRW oder Köln, aber der Bundeskulturstiftung ist dieses Programm der European Kunsthalle immerhin die ersten 100.000 Euro wert: Solche Fragen betreffen sehr viele Kulturbetriebe, nicht nur in diesem Land.

Köln als unser aller Schicksal?

Eine erste Ausstellung soll allerdings schon im Herbst 2006 eröffnen! Zu wünschen wären weitere situative Interventionen, die die Erwartungen an Kunst mit deren Selbstverständnis produktiv konfrontieren. Schließlich sind in Köln offene Baustellen zu bespielen. Die städtische »Kunsthalle« im geplanten Museumszentrum am Neumarkt ist offiziell nicht begraben. Für diese werden derzeit nur unter der Hand interessante Ideen gehandelt, wie die einer experimentierfreudigen »Kunsthalle für Freie KuratorInnen«. Auf der Homepage der European Kunsthalle geben unter »Frage des Tages« lokale wie internationale Kulturschaffende fachkundige Einschätzungen zu Sinn und Unsinn einer neuen Kunsteinrichtung ab.
Köln als unser aller Schicksal? Wie die im Frühjahr 2005 erschienenen CDs belegen, lief der Dichter Rolf Dieter Brinkmann bereits 1973 fluchend mit dem Tonbandgerät durch Köln: »Verdammte, verfluchte, scheiß Realität!«


European Kunsthalle

Das Projekt wurde initiiert von der Initiative Josef-Haubrich-Forum/Das Loch e.V. (im Vorstand: Rosemarie Trockel, Kasper König, Marcel Odenbach u.a., www.das-loch.net). Im Juni 2005 übernahm Nikolaus Schafhausen die zweijährige Gründungsdirektion.
Kontakt: Postfach 10 11 16,
50451 Köln, Tel. 56 96 140,
www.eukunsthalle.com

Veranstaltungen

»Peripherie als Chance«: Talk mit Maria Hlavajova (Utrecht) u. Aneta
Szylak (Danzig): 2.2., 19:30 Uhr, Studio SK-Stiftung Kultur, Im Mediapark 7
»under construction«: täglich ab 1.3., Programm: www.eukunsthalle.com