Persephones Melancholie

Die Kölner Journalistin Ingrid Strobl erzählt in ihrem Roman »Ende der Nacht« eine 68er-Biografie

Wie war das Ende der 60er Jahre in Swinging London, als Kunst, Musik, Lifestyle, fernöstliche Spiritualität und alle verfügbaren Drogen eine explosive Allianz eingingen und die lebenshungrigen Antispießer in ihren Bann zogen? Literatur ist prädestiniert, neben Historie das spezifische Lebensgefühl und den Geschmack einer bestimmten Zeit zu vermitteln. Die 1952 geborene Kölner Jounalistin Ingrid Strobl versucht dies in ihrem neuen Roman »Ende der Nacht« – und sie hat eine kluge Erzählkonstruktion gewählt, um Nähe und Abstand zu wahren.

Sommer 1968: London, Hippies, Realismus

Während ihre politisierte Freundin Lotta in München demonstriert, wird die Protagonistin Anna als 17-jährige Austauschschülerin im Sommer 1968 von der Euphorie der neuen Londoner Hippiekultur mitgerissen. Sie zieht in eine Kommune am Hampstead Heath, tingelt durch Portobello, Galerien in Chelsea, Pubs in der Kings Road und Szenepartys, raucht ihre ersten Joints, wirft Trips. Sie findet kein Ende und merkt dies erst, als sie als zugedröhnter Heroinjunkie längst die Kontrolle über ihr Leben verloren hat: »Realistisch ist nur die Gier nach einem neuen Schuss«.

Persephone, Göttin der Unterwelt

Dreißig Jahre später führt Anna mit ihrem Freund Ben ein geordnetes Leben als Übersetzerin in Köln, bis die Lektüre der alten Briefe an Lotta die Vergangenheit zurückholt. Der jugendlichen Naivität wird so die reflektierende, aber niemals abgeklärte Perspektive der 53-Jährigen zur Seite gestellt, die sich erneut fragt: Was ist diese unheilbare dunkle Sehnsucht, die einen in Drogen, in spirituelle Grenzerfahrung wie zur Kunst treiben kann? Das Bild für diese Ambivalenz ist Persephone, unfreiwillig-freiwillige Göttin der Unterwelt und Wanderin zwischen den Welten, die Anna auf einer Darstellung Rosettis bis in die Kölner Wohnung begleitet hat.

Leises Buch für Nachgeborene

Nein, wir erfahren in »Ende der Nacht« nichts weltbewegend Neues über »1968« oder über Drogen, aber selten wurde so unprätentiös davon erzählt. Strobl vermeidet die abschreckende Moral wie den romantisierenden Szenereport. Wenn sie jene drogengesättigten Songzeilen von Morrison, Lou Reed, Velvet Underground, Marianne Faithfull oder den Stones zitiert, die eine ganze Generation mitgesummt hat, vermittelt sie die Faszination dieser Musik und entmytifiziert sie gleichzeitig: Sie sind Kunst wie Ausdruck tödlicher, hässlicher Sucht.
Es ist die gelassene (Erzähl-)Haltung, die dieses leise Buch für »Nachgeborene« sympathisch macht. Auch Strobls Generation tut sich ja sonst nicht leicht mit der ehrlichen Selbsterkundung im Erzählen von Biografien.

Ingrid Strobl: Ende der Nacht. Orlanda Verlag, Berlin 2005, 203 S., 17,50 Euro.