Schweinebauch und Katzenfutter

An den wiederkehrenden Fleischskandalen sind auch die Verbraucher schuld, meint Yvonne Greiner

Zum Jahreswechsel ist das »Gammelfleisch« aus den Schlagzeilen weitgehend verschwunden. In den Kühltheken der Supermärkte und Metzgereien, in den Imbissbuden und Billigrestaurants aber wird es wieder auftauchen. Ob umetikettiertes Hackfleisch oder mit Wasser und Bindemittel aufgepumpte Putenbrüste – die nächste Enthüllung krimineller Machenschaften im Handel mit Lebensmitteln kommt bestimmt und mit ihr die kurzfristige öffentliche Empörung.

»Bodenlose Sauerei«

Allein im Rheinland waren Ende letzten Jahres mehr als zwanzig Tonnen verdorbene Fleisch- und Wurstwaren aufgetaucht, bei einem Gelsenkirchener Großhändler waren es sechzig Tonnen. Das Fleisch kam aus Schleswig-Holstein und Spanien, beliefert hat der Händler die ganze Bundesrepublik. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) nennt das sinnigerweise eine »bodenlose Sauerei«, und den Verbraucher graust’s! Angewidert verbannt er die inkriminierten Nahrungsmittel vom Speiseplan, schimpft auf die Politiker, die nichts tun, und auf die Profitgier der Händler, die mit verdorbener Ware noch Geld verdienen wollen. Und nach kurzer Zeit ist alles vergessen. Natürlich hat er Recht, der Verbraucher, mit seinem Ekel. Doch statt ritualisiertem Entsetzen ist es an der Zeit, dass wir aufhören, uns als Opfer zu stilisieren, die Produzenten und Händlern hilflos ausgeliefert sind.

Konsum: unverändert

Der bislang größte Fleischskandal in der Geschichte der BRD vor inzwischen fünf Jahren veränderte zwar Politik und Verbraucherschutz nachhaltig, eine durchschlagende Veränderung des Konsums jedoch blieb aus. Wir erinnern uns: Im November 2000 tauchte BSE auch in deutschen landwirtschaftlichen Betrieben auf. Zwei MinisterInnen (Andrea Fischer von den Grünen und Karl-Heinz Funke von der SPD) mussten kurz drauf zurücktreten, das Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wurde neu gegründet, Chefin wurde Renate Künast (Grüne). Kompetent und durchsetzungsfähig hat sie sich mit den großen Lobbys wie dem konservativen Bauernverband angelegt, für eine nachhaltige Landwirtschaft gestritten, hat sich Ärger mit den EU-Kollegen eingehandelt und sich für den Verbraucherschutz stark gemacht. Und was taten die Verbraucher selbst? Im Winter 2000 – die Angst vor BSE hatte einen Höhepunkt erreicht – wurde in deutschen Haushalten nur noch halb so viel Fleisch gegessen, im Sommer drauf waren die Ernährungsgewohnheiten bereits wieder beim Alten.

Erdbeeren im Januar

Wer sich über »Gammelfleisch« aufregt, sollte nicht nur über die da oben schimpfen, die die Lebensmittelkonzerne und ihre Zulieferer nicht im Griff haben, sondern sollte mal einen Blick in seinen Kühlschrank, Speiseplan, Kochtopf und in die Haushaltskasse werfen. Und sich ein paar Fragen stellen: Wieviel Geld bin ich bereit für Lebensmittel auszugeben? Ist das der Posten, an dem ich am ehesten spare? Warum kaufe ich bei Billig-Discountern? Warum interessiere ich mich nicht dafür, wo und wie das, was ich esse, produziert wird? Warum kaufe ich im Januar Erdbeeren?
Denn wer es wissen will, weiß es schon lange: Einwandfreie, nachhaltig produzierte und wohlschmeckende Nahrungs- und Genussmittel sind nicht für Schnäppchenpreise zu haben. Und das gilt nicht nur für Fleisch und Wurst, das gilt auch für Milch und Käse, Brot und Gemüse, Säfte und Weine. Der Glykol-Wein-Skandal in den 80er Jahren hat das genauso gezeigt wie die jährlichen Warnungen vor dem Verzehr pestizidverseuchter Tafeltrauben oder Paprikaschoten aus konventionellem Anbau. Diese Informationen sind frei zugänglich, das Wissen über Produktion, Verarbeitung und Qualität von Lebensmitteln ist kein Geheimwissen.
Gerade billiges Fleisch war in den letzten Jahren mehr als einmal in den Schlagzeilen: Tierquälerische Massenhaltung unter hygienisch bedenklichen Umständen, die Verabreichung von Antiobiotika und anderen Medikamenten – das ist der Preis, den man dafür zahlt, dass »der Premium-Schweinebauch gelegentlich preisgünstiger ist als Katzenfutter«, wie der Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food, Manfred Kriener, treffend bemerkte. Und man muss keine versierte Ökonomin sein, um überschlagen zu können, dass etwas faul ist, wenn ein tiefgefrorenes Hähnchen einen Kilopreis von 1,99 Euro hat. Das Tier musste schließlich – bevor es in der Kühltheke des Supermarktes landete – aufgezogen und gefüttert werden, geschlachtet, gerupft und ausgenommen.

Aktive Konsumenten

Wer seine Schnäppchenjägermentalität im Supermarkt auslebt, dreht willentlich an der Preisspirale, die den Einzelhandel, seine Zulieferer und die Produzenten in die Knie zwingt. Er nimmt, nebenbei bemerkt, mit seiner Geiz-ist-geil-Mentalität auch billigend in Kauf, dass Konzerne wie Lidl ihre Belegschaft mit Niedrigstlöhnen und miserabelsten Arbeitsbedingungen knechten. Auch die Personalkosten finden sich in den Preisen der Lebensmittel wieder.
Wer es sich also leisten kann und nicht in Armut lebt, muss nicht die billigsten aller billigen Nahrungsmittel kaufen. Wer es dennoch tut, verwirkt als aktiver Konsument sein Recht, sich zu empören über die mindere Qualität dessen, was er auf seinem Teller vorfindet.