Björn Bicker will’s wissen: »Was glaubt Ihr denn«? Foto: Andrea Huber

Beten im Supermarkt

Für Urban Prayers öffnen Religionsgemeinschaf­ten im Ruhrgebiet ihre Gebetsräume für die Kunst

Ein Jahr lang hat Autor und Dramaturg Björn Bicker für das Projekt »Urban Prayers« recherchiert und Interviews mit Glaubensgemeinschaften in Duisburg, Dortmund oder Bochum geführt. Gezeigt wird die Arbeit in verschiedenen Gotteshäusern im Rahmen der Ruhrtriennale. Es inszeniert Intendant Johan Simons.

 

 

Herr Bicker, wer sind die Urban Prayers? Ich habe viele Gespräche mit Christen, Hindus, Muslimen geführt: Wie sehen die Gläubigen ihre Rolle in einer säkularen Gesellschaft? Wie sieht ihr Alltag aus?

 

Aus diesen vielen Stimmen ist der Text entstanden. Er spiegelt in gewisser Weise meine Recherche wider, die Erlebnisse, die ich hatte.

 

 

Statt Religion auf die Bühne zu holen, holen Sie das Theater in die Gebetshäuser: die Moschee, die Synagoge, den Hindi-Tempel.

 

Theater spricht nicht eine Einladung aus und sagt: Kommt zu uns, dann dürft ihr unsere Sachen sehen. Wir haben uns bewusst mit den Leuten vor Ort, den Gläubigen, verbunden. Zudem sollen Orte der Begegnung geschaffen werden. 

 

 

Was heißt das?

 

Wenn ich das Thema behandle, wie kommen Muslime bei uns vor, wie gehen sie mit islamophoben Tendenzen um, dann lässt das in einer Moschee, in der gleichzeitig Gemeindemitglieder die Aufführung anschauen, eine andere Reibung entstehen. Sie betrifft es ganz persönlich. Durch jeden neuen Ort, obwohl der Kern der Aufführung gleich bleibt, entsteht so ein neues Erlebnis. Wobei die Inszenierung zunächst schlicht daherkommt. Eher als szenische Lesung, fast konzertant. Dann werden Beiträge aus den Gemeinden eingebunden. Etwa eine Koranrezitation oder Tanz.

 

 

Ähneln sich Gebetshaus und Theaterbühne?

 

Wenn man aus katholischer Perspektive spricht, sind die Rituale im Theater und in der Kirche eng verknüpft. Es geht um die Inszenierung, Gemeinschaft etc... In anderen Glaubensgemeinschaften geht es weniger um Darstellung. Letztlich kann man jeden Ort zum Theater erklären. Oder zur Kirche. Wir sind im House of Solution in Mülheim zu Gast: eine große, afrikanische Freikirche, untergebracht in einem ehemaligen Supermarkt. Neben dem Altarraum steht noch der alte Pfandflaschen-Automat. An der Decke hängen Plastikfrüchte. Es entsteht also ein Dreifachort: Kirche, Theater, Supermarkt. Das erzählt etwas über die Situation, in der wir uns befinden. Warum müssen in Deutschland Glaubensgemeinschaften, die nicht christlich sind, eigentlich Orte recyclen? Warum ist ihnen nicht erlaubt, neue zu schaffen?

 

 

Urban Prayers Ruhr, A: Björn Bicker, R: Johan Simons, 28.8.-18.9., verschiedene Spielorte

ruhrtriennale.de