40 Jahre StadtRevue – Teil 2

 

 

»In der StadtRevue waren alle unglaublich nett und klug und engagiert«

 


Navid Kermani ist Schriftsteller und Orientalist. 2015 bekam er für sein Werk den Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Im September erscheint sein neuer Roman »Sozusagen Paris«.

 

 

Herr Kermani, wie haben Sie die 80er Jahre in Köln erlebt?

 


Ich bin erst 1988 zum Studium nach Köln gekommen. Ich war mit allem Mög-lichen beschäftigt und viel auf Reisen, deswegen habe ich Köln am Anfang gar nicht so spezifisch erlebt. 

 

 

Was haben Sie als Student hier gemacht?

 


Ich war in der Fachschaft aktiv, zwischendurch auch mal in der Autonomen Szene unterwegs, habe viele Kneipen und die Clubs kennengelernt. In der Weißhausstraße gab es ein besetztes Haus, in dem ich öfter war, weil Freunde von mir da wohnten. Aber das habe ich eher
als Zaungast erlebt. 

 

 

Haben Sie damals schon Wegbegleiter getroffen, die prägend waren?

 


Ja, natürlich; mit vielen Freunden von damals bin ich immer noch zusammen, ob nun Guy Helminger, mit dem ich den Literarischen Salon veranstalte, die ganzen Leute aus dem »Durst«, übrigens auch mit Bernd Imgrund, der damals Redakteur bei der StadtRevue war. Kennengelernt haben wir uns beim Fußballspielen, glaube ich, oder im »Durst«. Durch Bernd habe ich auch die StadtRevue kennengelernt. Das war mein erster Kontakt zu einer politischen Szene in Köln. 

 

 

Köln ist eine multikulturelle Stadt. Wie haben Sie das erlebt?

 


Ich kam aus dem ziemlich monokulturellen Siegen und in Köln war toll, dass es so vielfältig war. Man konnte Musik aus aller Welt hören, etwa auf den Yalla- und Humba-Parties. Da gab es Samba-Bands, kubanische Musik und Raï-Musik, die in Köln entstanden ist, Hiphop in etlichen Sprachen. Diese neue multikulturelle Wirklichkeit hatte noch nicht den etablierten Gestus von heute. Ich war plötzlich in einer Stadt, in der die ganze Welt zu Hause schien 

 

 

Sind Sie direkt an den Eigelstein gezogen?

 


Ja, das war ein Zufall, und dann bin ich dort hängen geblieben. Ich mag es dort sehr: die Kombination von alten Kölschläden, die Entwicklung vom Gastarbeiter-Viertel hin zur türkischen Mittelschicht, diese Internetcafés, die vielen verschiedenen Gesichter, Sprachen, Farben, Gerüche. Und es ist einfach nicht geleckt, nirgends. In keinem anderen Stadtviertel in Köln ist die Welt so abgebildet wie am Eigelstein. Für mich als Beobachter ist das spannend, wenn auch nicht immer angenehm, erst recht nicht, als wir dann irgendwann Kinder hatten. Die Drogen, die Wettbüros, seit ein paar Jahren die Straßenkriminalität, die mehr als nur nervt. Und dennoch, wenn ich irgendetwas mit Zuhause verbinde, dann die paar Meter links und rechts von unserer Wohnung, zwischen Weidengasse und Rhein. Gerade weil ich viel auf Reisen bin, mag ich es sehr, an einen Ort zurückzukommen, an dem alles ganz nah und die Welt vor der Tür ist. Die Kinder lieben den Eigelstein übrigens auch sehr, das ist hier für sie ihr Dorf. Als wir vor ein paar Jahren überlegten, in ein etwas ruhigeres Viertel zu ziehen, waren sie komplett dagegen. 

 

 

In welchen Kneipen trifft man Sie dort?

 


In der gleichen, in der ich als Zwanzigjähriger stand. Meine Tochter hatte vor ein paar Wochen Abi-Ball, danach fanden wir uns im »Durst« wieder, und da war noch ein Vater, der auf dem gleichen Abi-Ball war. Als unsere Kinder in den Kindergarten kamen, standen wir abends an dieser Theke, und jetzt stehen wir immer noch hier (lacht). Und das Wundersame ist: Es gibt immer noch Zwanzigjährige, die hierhin kommen und für die wir das Inventar sind, das früher andere für uns waren. So spät wie damals bin ich allerdings nicht mehr unterwegs, das muß ich schon zugeben, ich muß ja wegen der Kinder morgens immer früh raus.

 

 

Ist Köln ein guter Ort zum Schreiben?

 


Ja. Ich habe drei Jahre in Berlin gelebt und bin bewusst zurückgekommen. Berlin fehlt die Geschichte, das Uralte und Gewachsene, und man trifft ständig andere Literaten. Als Schriftsteller ist man eher ein einsamer Mensch. Zu viele Kontakte sind da schlecht, und zu viele Literatenkontakte noch schlechter.

 

 

Es gibt Gerüchte, Sie hätten in der StadtRevue ein Praktikum gemacht. Stimmt das?

 


Ein Praktikum habe ich nicht gemacht, aber zu Beginn meines Studiums eine Reihe von Artikeln für das Politik- und Kulturressort geschrieben, auch mal eine Ausgabe mitbetreut. Das lief über Bernd, aber auch die anderen Redakteure, alle nur ein paar Jahre älter als ich, waren unglaublich nett und klug und engagiert — die Zeit hat mich auch wirklich ein bißchen geprägt. Vorher hatte ich ja nur für die Lokalzeitung in Siegen geschrieben, und jetzt plötzlich war ich unter Leuten, die ebenfalls noch jung waren und politisch ähnlich dachten. 

 

Lesen Sie die StadtRevue immer noch?

 


Dadurch, dass ich kein Abonnement habe, verpasse ich sie manchmal. Aber ich lese sie immer noch viel und fühle mich ihr immer noch sehr verbunden. Mit vielen Leuten von damals bin ich auch noch in Kontakt.

 

 

Sie schalten sich mittlerweile häufiger in Kölner Debatten ein. Warum?

 


Ich war lange Jahre auf die Welt ausgerichtet und interessierte mich nicht so sehr für meine unmittelbare Umgebung. Irgendwann merkte ich, dass der Ort an dem ich bin, auch wichtig ist, und dass man sich dafür verantwortlich zeigen sollte.

 

 

Was stört Sie an dieser Stadt?

 


Man hat viele Dinge über Jahre schleifen lassen. Der Archiv-einsturz war ein Trauma, weil dort etwas zusammengebrochen ist, mit dem man nicht sorgsam umgegangen ist. Das hat sich bei der Oper und vielen anderen Ereignissen wiederholt. Einerseits bin ich froh, dass Köln nicht so aufgemotzt ist wie andere Städte. Aber es gibt dieses Heimatgedüddel, wie toll Köln sei — faktisch kümmert man sich aber nicht um die eigene Stadt. Die Stadtverwaltung spiegelt da nur, wie die Menschen mit der eigenen Stadt umgehen.

 

Interview: Anja Albert / Christian Werthschulte 

 

 

 

Eine Zeitschrift für uns

 

Ingrid Strobl ist freie Autorin für Hörfunk und Fernsehen und schreibt Sachbücher und Romane. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit frauen-spezifischen Themen

 

1969 war für mich ein Jahr mit vielen »Das-Erste-Mals«: Ich lebte das erste Mal für längere Zeit in London. Ich wohnte zum ersten Mal in einer Kommune. Ich war zum ersten Mal auf einem Stones-Konzert (im Hyde Park). Ich las zum ersten Mal ein »Stadtmagazin« — Time Out — und verkaufte es dann auf der Straße, um meinen Aufenthalt zu finanzieren. 

 

 

So etwas wie Time Out hatte es zuvor nicht gegeben. Nirgendwo. Eine Wochenzeitschrift, die politisch links war, über entsprechende politische Aktionen berichtete und auf mehreren Seiten darüber informierte, in welchem Club gerade wer spielte, an welchem Off-Off-Theater welche Truppe auftrat, welches Buch man lesen und welchen Film man unbedingt sehen musste. Time Out war Swinging London, Undergroundkultur und Politmagazin in einem. Sie war Ausdruck unserer anderen Welt, die mit dem Mainstream, dem Vietnamkrieg, der Kultur der Eliten nichts zu tun hatte. Und sie war etwas, das es auf dem Kontinent nicht gab.

 

 

Bis 1973 in München die erste Ausgabe des Blatt erschien. Das Blatt war dezidierter links und anarchistisch als Time Out, aber vom Prinzip her verwandt: Gegenöffentlichkeit schaffen und dokumentieren plus Veranstaltungstipps. Und da waren auch noch die begnadeten Cartoons von Seyfried. Und die praktischen Tipps zum Cannabis-Anbau... Kein München-Besuch, ohne mir das Blatt zu kaufen. 

 

 

Bloß in Wien, da, wo ich damals lebte, gab es nichts dergleichen. Das Neue Forum war politisch links und intellektuell anregend. Aber diese Blatt-Mischung aus Politik und Leben bekam es nicht hin. Wollte es auch nicht. Erst 1977 erschien der erste Falter, »geboren« aus der Besetzung des Schlachthofgeländes, und nach kürzester Zeit die Zeitschrift für alle in Wien, die links, alternativ, avantgardistisch oder einfach auch nur an Kultur jenseits des Burgtheaters, der Philharmonie und der großen Museen interessiert waren. 

 

 

1979 kam ich nach Köln, netterweise gab es da bereits die StadtRevue, und ich war froh, dass ich nun auch in dieser Stadt einen auf meine Interessen zugeschnittenen Wegweiser hatte. Danke, StadtRevue! Und danke Time Out, Blatt und Falter. Ihr habt mir das Leben erleichtert. 

 

 

 

 

»Die StadtRevue ist eine gute Schule«

 

Birgit Schulz arbeitet als Dokumentarfilmregisseurin und -produzentin. Für ihren Film »Die Änwälte« über die Lebenswege von Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Horst Mahler gewann sie unter anderem zwei Grimme-Preise. 

 

 

Du warst von 1987 bis 1991 Kulturredakteurin der StadtRevue. Wie bist du zum Journalismus gekommen?

 

Ich habe Germanistik, Biologie und Philosophie in Bonn studiert. Eigentlich auf Lehramt. Aber mir war schon während des Studiums klar, dass ich nicht Lehrerin werden würde. Dann habe ich noch eine Ausbildung gemacht zur Fotografin und direkt nach dem Studium angefangen, Artikel zu schreiben und Fotos zu machen.

 

Der damals noch völlig normale Quereinstieg also.

 


Genau (lacht). Angefangen habe ich beim Kölner Stadt-Anzeiger in der Euskirchener Lokalredaktion. Ich habe über Karnickelzüchter berichtet und alles, was dazugehört. Dann habe ich mich auf die Stellenanzeige in der StadtRevue beworben.

 

Erinnerst du dich noch daran, was zu der Zeit die wichtigen Themen in der StadtRevue und in Köln waren?

 


Damals lief gerade der Prozess gegen Ingrid Strobl. Ich war vorher nur an Kultur interessiert gewesen und nicht an Politik. Der Prozess und die Arbeit bei der StadtRevue haben mich politisiert. 

 

 

Kannst du erklären, worum es in dem Prozess ging?

 


Strobl war Autorin der StadtRevue. Ein Wecker, den sie in Köln bei Wempe gekauft hatte, wurde später als Zündungselement für einen Anschlag auf das Lufthansa-Haus benutzt. Wir hatten regelmäßig das Bundeskriminalamt zu Besuch, das die Redaktion auf den Kopf gestellt hat. Und weil die StadtRevue Strobls Anwalt kannte, hatten wir Einblick in die Prozessakten. Das war für mich ein Aha-Erlebnis, weil darin in einer unglaublich hanebüchenen Art und Weise argumentiert wurde. Es gab auch eine taz-Journalistin, die Prozessberichterstattung gemacht hat. Hinterher hat sich herausgestellt, dass jahrelang verdeckt gegen sie ermittelt wurde. Durch solche Dinge wurde mir bewusst, was in diesem Staat alles möglich ist. Das hätte ich vorher nie geglaubt.

 

 

Als du nach vier Jahren von der StadtRevue weggegangen bist, wurde gerade von der Politik der Strukturwandel in NRW hin zum Medienland vorangebracht. Filmstiftung, Medienforum, KHM, Mediapark — alle diese Gründungen fallen in die Zeit vor 25 Jahren. Retrospektiv wirkt das wie der perfekte Moment, um sich als Filmemacherin selbstständig zu machen.

 


So habe ich das damals überhaupt nicht wahrgenommen. Als ich wegging, hatte ich gerade mit kleinen Beiträgen für TV-Kulturmagazine und »Frau TV« angefangen. Für mich war wichtig, wieder frei zu arbeiten. Ich bin niemand, der lange in einem System arbeiten kann, obwohl die StadtRevue-Zeit super war. Danach musste ich mich erst mal im Sender nach vorne arbeiten, weil ich gar keine spezielle Ausbildung als Filmemacherin und keine Kontakte hatte.

 

Die Gründung deiner eigenen Produktionsfirma Bildersturm kam dann recht schnell.

 


1993 haben wir die Firma zu viert gegründet. Wir sind da total blauäugig rein und hatten überhaupt keine Ahnung von GmbH und solchen Dingen. In den ersten Wochen haben wir Kameraequipment auf Kredit gekauft, um dann festzustellen, was man alles können muss, um es zu bedienen, was das steuerlich heißt und so weiter. Die anderen drei Jungs sind nach ein paar Jahren wieder ausgestiegen.

 

War so ein Schritt damals einfacher?

 


Ich würde nicht sagen, dass es damals so einfach war. Wir haben es halt einfach gemacht. Es ging immer darum, selbstständig zu sein und möglichst frei von Zwängen zu arbeiten. Die Situation auf dem Markt hat sich seitdem aber verschlechtert. Die Budgets für Dokumentarfilme werden tendenziell niedriger. Als wir die ersten größeren Filme machten, habe ich dabei immer nur mit einer Redaktion zusammengearbeitet. Heute müssen wir bei jedem Thema zwei, drei Partner suchen und Förderung beantragen. Das bedeutet eine Finanzierungszeit von eineinhalb Jahren pro langem Film. Man muss sich um diese Dinge viel mehr kümmern als zu Beginn.

 

Das heißt, für die eigene Arbeit als Filmemacherin bleibt kaum noch Zeit?

 


Im vergangenen Jahr habe ich noch zwei lange Filme als Regisseurin gedreht. Dieses Jahr habe ich mir zum ersten Mal verordnet, keinen zu machen, um mich als Produzentin intensiver um die anderen Produktionen kümmern zu können. Das ist schon komisch.

 

 

Die Reibungsverluste werden größer. Genau.

 

Es passiert auch immer öfter, dass Redakteure sagen: »Wir machen den Film«, und eine Woche später: »Es geht doch nicht, ich hatte noch mal ein Budget-Gespräch«. Mittlerweile muss manchmal auch ich bereits zugesagte Projekte zurückziehen, weil ich merke, dass wir viel zu wenig Geld dafür haben. Bildersturm hat für mich nie bedeutet, dass ich reich werde. Dokumentarfilm war immer ein Bereich, in dem du nicht so viel Geld verdienen konntest. Aber es hat sich bislang die Waage gehalten, weil es einfach ein toller Beruf ist.

 


Einige der Autoren und Filmemacher, mit denen du heute zusammenarbeitest, waren früher auch bei der StadtRevue, wie zum Beispiel Karin Jurschick oder Peter Scharf. Ist das Zufall?

 


Die StadtRevue ist eine gute Schule. Die Leute, die da rauskommen, sind unglaublich selbstständig. Als ich Redakteurin wurde, war ich Ende zwanzig und hatte Verantwortung für einen Riesenbereich. Du wirst ins kalte Wasser geworfen und musst schwimmen. Aber wenn du Schwimmen gelernt hast, was soll dann noch passieren? Als Studentin war ich eher schüchtern und in mich gekehrt. Nach der StadtRevue hatte ich keine Angst mehr, diese Firma hier aufzumachen.

 

 

Interview: Sven von Reden