40 Jahre StadtRevue – Teil 4

In der Kontroverse zur Höchstform

 

 

Karola Fings ist Historikerin. Seit 2001 arbeitet sie als wissenschaftliche Angestellte im NS-Dokumenta-tionszentrum der Stadt Köln, wo sie seit 2003 stellvertretende Direktorin ist.

 

Am 25. April 1990 arbeitete ich in den Räumen der StadtRevue, genauer gesagt, in dem großen Büro der Grafik. Es war schon spät am Abend, das Radio lief. Plötzlich kam die Meldung, dass soeben in der Mülheimer Stadthalle eine Frau eine Messerattacke auf Oskar Lafontaine verübt hatte. Ich weiß nicht, warum ich mich so genau an die Szenerie erinnere. Vielleicht einfach deshalb, weil Jan Krauthäuser und ich weiter sortierten, ausmaßen, schnitten und klebten, während im Radio über die zwei Stunden währende Operation Lafontaines berichtet wurde. Alles musste unbedingt an diesem Abend fertig werden. 

 

Dabei haben Jan, der damals freier, gelegentlicher oder vorübergehender Mitarbeiter der StadtRevue war, und ich, eine Gelegenheitsschreiberin, noch nicht einmal für das nächste Heft gearbeitet, sondern durften die Infrastruktur nutzen, um ein eigenes Projekt fertigzustellen: die Ausstellung »Nur wenige kamen zurück. Sinti und Roma im Nationalsozialismus«, die drei Wochen später, am 15. Mai, eröffnet werden sollte. So knapp war das damals.

 

Dies ist nicht nur eine besondere, sondern auch eine typische Erinnerung an die etwa zehn Jahre, in denen ich immer mal wieder für die StadtRevue schrieb: Sie machte Projekte mit großer Selbstverständlichkeit möglich und gab schwierigen Themen einen Raum. Mein erster Beitrag — noch auf der Schreibmaschine getippt — war vielleicht eine halbe Spalte lang und handelte von der Giftmülldeponie in Leverkusen, das muss 1988 gewesen sein. Als Geschichtsstudentin konzentrierte ich mich bald auf den Nationalsozialismus und dabei vor allem auf die Aspekte, die bis weit in die 90er Jahre hi-nein weitgehend tabuisiert waren: die Verfolgung der Sinti und Roma sowie der fortwährende Rassismus gegenüber dieser Minderheit, Zwangsarbeit, verweigerte Entschädigung und die ausgebliebene Aufarbeitung der NS-Zeit in Unternehmen und Behörden.

 

Als Autorin kann ich in der Rückschau sagen: Gerade bei kontroversen Themen lief die StadtRevue zu Höchstform auf. War sie als Monatsmagazin in aktueller Berichterstattung zumeist im Hintertreffen gegenüber einer Kölner Tageszeitung, die auf ihren Seiten grundsätzlich nie den Namen StadtRevue druckte, so spielte sie hier alle ihre Stärken aus. Sie räumte großzügig Seiten frei oder machte gleich einen Schwerpunkt, in dem sie historische Darstellung, aktuelle stadt- oder weltpolitische Bezüge und Meinungen in auch heute noch lesenswerter Art und Weise miteinander verband. Und es war egal, mit wem in der Stadt man es sich mit seinem Text gerade oder wieder einmal verscherzte. Diese Artikel hätten sonst nie geschrieben werden können. Sie durften länger sein, als es in jeder anderen Zeitung möglich gewesen wäre, und journalistischer, als es historische Zeitschriften erlaubt hätten. Den ersten wissenschaftlichen Beitrag über das nationalsozialistische Zwangslager für Sinti und Roma in Köln, der je erschienen ist, druckte die StadtRevue im Februar 1989. Auch meine Artikel über Ford (»An allen Fronten bewährt«), die Kölnische Zeitung im Nationalsozialismus (»Eine Geige im Orchester der Nation«) oder die Porträts im Polizeipräsidium (»Geehrte Henker. Hosses Ahnengalerie«) wären andernorts nie untergekommen.

 

Die StadtRevue markiert für mich außerdem den Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter. Auf die Schreibmaschine folgte 1990 ein 286-er Computer mit einem ein Megabyte großen Arbeitsspeicher. Die Artikel wurden erst auf einer 5,25-Zoll-, dann auf einer 3,5-Zoll-Diskette per Post verschickt oder gar persönlich überreicht. Als E-Mails aufkamen, hatte ich keine Zeit mehr, Artikel für die StadtRevue zu schreiben. Deshalb erhielt ich auch keine Belegexemplare mehr und musste ein Abo bestellen. Das habe ich bis heute.

 

 

 

 

Ein Forum für unzensierte Nachrichten

 

 

Reiner Michalke ist künstlerischer Leiter des moers festival und des Konzertprogramms im Kölner Stadtgarten.

 

 

Ich war 19 Jahre alt, als die StadtRevue zum ersten Mal gedruckt wurde, und 21, als darin mein erster Artikel erschien. Wir hatten gerade die »Initiative Kölner Jazz Haus« gegründet, um »die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Kölner Jazzmusikern zu verbessern«. Die Stadt-Revue war die wichtigste Adresse, um dieses Anliegen — über Flugblätter hinaus — unserer Zielgruppe zu vermitteln. Heute muss ich da-rüber schmunzeln, wenn ich lese, was wir uns damals so alles vorgenommen haben, und ein wenig stolz darauf sein, dass wir doch einiges davon erreicht haben.

 

1978 begann eine sehr spannende Zeit für mich. Die Wirkung des Aufbruchs der 68er-Generation und des behaupteten »Marschs durch die Institutionen« ließ auf sich warten. Es entstanden »alternative« Bewegungen, so genannte Bürgerinitiativen, die zum Ziel hatten, den eigenen Lebensraum selbst zu gestalten. 1979, noch ein Jahr vor der bundesweiten Gründung der Grünen, schaffte die »Kölner Alternative« bei den Kommunalwahlen auf Anhieb den Sprung in die Bezirksvertretung Innenstadt. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass 35 Jahre später ein Grüner hier einstimmig zum Bezirksbürgermeister gewählt wird, hätte ich ihn ins Reich der Träume verwiesen.

 

Köln war damals — zumindest in der Selbstwahrnehmung — eine Hochburg der Bürgerinitiativen. Während es in anderen Städten immer wieder heftige Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht gab, war man/frau in Köln mit sich selbst beschäftigt. Ich erinnere mich noch gut an den Titel unserer ersten EP mit der Gruppe »No Nett« aus dem Jahr 1981: » ... und Köln pennt«. Das war eine Anspielung auf den damals berühmten Claim »Züri brännt« der »Opernhauskrawalle« in Zürich. 

 

Aber auch in Köln gab es mit dem Kampf um die ehemalige Schokoladenfabrik »Stollwerck« eine Gegenbewegung, die fast in Unruhen geendet wäre, wenn Köln nicht Köln wäre. Das »Stollwerck« wurde ein bedeutender Teil der Kölner Stadtgeschichte. Für die StadtRevue war dies ein Glücksfall, denn sie konnte doch Monat für Monat beweisen, wie wertvoll sie als unabhängiges Forum für Köln war.

 

Aus der Nachbetrachtung gesehen war es immer eher die Künstlerschaft und weniger die politischen Szenen, die in Köln vom Bürgerprotest »profitiert« haben. Das liegt natürlich auch am Hang des Kölners zum Entertainment — so auch auf dem besetzten Stollwerck-Gelände. Hier gab es zwar die vielbestaunte »Musterwohnung«, aber für wirkliche Anziehungskraft sorgten der zur Miete logierende Circus Roncalli mit dem Musikdirektor Frank Köllges alias Adam Noidlt, das gegen den Willen der Stadtverwaltung hier produzierende städtische Theater unter dem Intendanten Jürgen Flimm, die vielen Konzerte in der Maschinenhalle und die für Köln so lebensnotwendigen Aktionen des Galeristen Ingo Kümmel, der ebenso unvergessen ist wie Heinrich Pachl, der gemeinsam mit Richard Rogler als »Wahrer Anton« regelmäßig im »Palazzo Schoko« auftrat. Auch wir haben hier große Konzerte veranstaltet, etwa 1982 »Die Tage Neuer Temperamente« mit mehreren tausend Besuchern.

 

Für all diese Aktivitäten war die StadtRevue das Forum, das sich auch über die In-Group hinaus an ein größeres Publikum wandte und der Ort für unzensierte Nachrichten und Ankündigungen war. Das alles war geschützt von einem vom Kölner Zeitungsmarkt unabhängigen Drucker, der in dieser prädigitalen Zeit die wichtigste Ressource zur Informationsverbreitung zur Verfügung stellte: bedrucktes Papier.

 

Ich habe die StadtRevue nie als investi-gatives Blatt wahrgenommen — im Gegensatz zum Kölner Volksblatt, das zwischen 1974 und 1999 erschien. Natürlich ist es als Monats-magazin nicht möglich, auf Ballhöhe mit der tagespolitischen Entwicklung zu sein. Aber das Netz eröffnet hier der StadtRevue neue Möglichkeiten. Ich bin davon überzeugt, dass es für alternativen Qualitätsjournalismus auch im kommunalen Raum eine ausreichende Nachfrage gibt. 

 

 

In diesem Sinne gratuliere ich der Stadt-Revue von ganzem Herzen, dass sie auf ihrem langen und erfolgreichen Weg nie ihren unabhängigen Geist verloren hat und vier Jahrzehnte lang zu den Guten gehörte.