Naturalismus heute

Marius von Mayenburg zählt zu den interessantesten jüngeren Stückeschreibern in Deutschland – auch wenn sein »Eldorado« am Kölner Schauspiel missrät

»Was mir auf jeden Fall wichtig ist«, hat Marius von Mayenburg mal gesagt, »ist, dass die Figuren im Konflikt mit sich selbst liegen, und dass daraus der Grundkonflikt entsteht. Dass nicht äußere Konstellationen zum Konflikt führen, sondern innere Widersprüche.« Zumindest was sein Stück »Eldorado« angeht, muss man diesem Statement widersprechen.
»Eldorado« wurde Ende 2004 an der Berliner Schaubühne, wo Mayenburg als Hausautor und Dramaturg arbeitet, uraufgeführt und erlebte jetzt seine Kölner Premiere in der Schlosserei. Der übereifrige Immobilienspekulant Anton verdirbt es sich mit seinem Chef Aschenbrenner, weil er, wohl für den Abschluss von Risikogeschäften, dessen Unterschrift fälscht. Er wird gefeuert und versucht verzweifelt wieder ins Geschäft zu kommen, indem er sich bei Aschenbrenner mit einem äußerst riskanten Deal anbiedert: Anton hat ein großes Grundstück mitten in einer Krisenregion verkauft – an seine Schwiegermutter und ihren jungen Liebhaber. Gegenüber seiner Frau Thekla, einer an ihrem Beruf verzweifelnden Konzertpianistin, will Anton den großen Macker, den erfolgreichen Geschäftsmann raushängen lassen. Sie haben sich ein großes Haus gekauft, ein Kind ist unterwegs, das kostet alles Geld.

Katharsis zwischen Sex und Selbstmord

Die Blase platzt, als die Situation im Krisengebiet unkontrollierbar wird, das Grundstück verloren geht, Aschenbrenner Selbstmord begeht, die Schwiegermutter ihr Geld wiederhaben will und Thekla auch noch eine Affäre Antons mit ihrer neurotischen Schülerin Manuela vermutet. Die Katharsis stellt sich ein, als der zwischen diesen Konfliktlinien zerriebene Anton sich erhängt.
Natürlich kann man diese Handlung rein auf innere Motivationen reduzieren, aber man täte ihr Gewalt an. Es sind ja sehr handfeste, überhaupt nicht psychologische Konstellationen, die Anton in sein Verderben führen: die Aussicht auf große Gewinne in einer vom Krieg überrollten Gegend; die soziale Verpflichtung, ein dem Beruf angemessenes großspuriges Leben zu führen. Ein anderes Statement von Mayenburg passt schon besser zu »Eldorado«: »Zeigen, was passiert, wenn man Konflikte bis zum Ende durchführt.«
Mayenburg, 33 Jahre alt, ist seit etwa acht Jahren, seit der Uraufführung seines furiosen Stücks »Feuergesicht«, in dem Pubertätskrämpfe und die existenzialistische Rebellion bürgerlicher Kids kurzgeschlossen werden, einer der meistgespielten unter den jüngeren deutschen Dramatikern.
Das hat zwei Gründe: Zum einen beschreibt Mayenburg drastische Konflikte, in denen das Politische und Soziale zwar präsent ist, aber die Hintergrundtapete abgibt für den Stellungskrieg der Figuren. Mayenburg distanziert sich von den angeblich überpolitisierten 70er Jahren. Das kommt halt gut an: »Da ging es darum, durch Theater die konkreten politischen Verhältnisse zu verändern und von der Bühne herab die Schuldigen zu benennen. Ich denke, in diese Richtung geht es nicht weiter«, meint er in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel.
Zum anderen sind seine Stücke sehr inszenierungsfreundlich: Sie sind in einem positiven Sinne flach – positiv deshalb, weil sie dem Regisseur viel Freiheit lassen, seine eigenen Schwerpunkte zu setzen. Mayenburg liefert eine Folie, über die Darsteller, Regisseur, Bühnenbildner etc. ihre eigenen legen sollen. Er ist keine Autorenpersönlichkeit, sondern ein handwerklich virtuoser Textlieferant. Das unterscheidet ihn von seinen Kollegen Roland Schimmelpfennig, dem Märchenerzähler und Schwarzromantiker, und Fritz Kater, dem post-proletarischen Raubein.

Naturalismus wird als Schwank für Bürohengste inszeniert

Dennoch hat Mayenburg ein spezifisches Profil entwickelt: Er landet wieder beim Naturalismus, jenem Genre, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert entstand, als das Selbstbewusstsein der Bürger durch die ersten Weltwirtschaftskrisen gründlich erschüttert wurde. Dieses erschütterte Selbstbewusstsein zeigt sich in »Eldorado« am abgründigsten durch einen schönen Kunstgriff: Das Krisengebiet, in das Antons Schwiegermutter investieren soll, ist eine zerstörte Stadt, die unverkennbar die Züge Berlins – und Bagdads aufweist.
Die Kölner Inszenierung durch den Regisseur Christoph Frick entscheidet sich für Krawall, Klamauk und stumpfes Vor-Sich-Hinstarren. Mayenburgs Naturalismus wird in Richtung Schwank gedeutet – ein Schwank allerdings nicht für Proleten, sondern für Bürohengste und Großbürger, das kommt dann wie Millowitsch auf Koks. Wo der Text Möglichkeiten für die sensible Selbstbefragung der ursprünglich so selbstherrlichen Figuren gibt, wird in der Inszenierung lautstark darüber hinweg geblökt, und es werden eigenartige Kunststückchen dargeboten, etwa eine Kopulationsszene zwischen der Schwiegermutter und ihrem Liebhaber, die nur noch bürgerlichen Selbsthass zum Ausdruck bringt. Oder: Aschenbrenner hat eine betonierte Frisur, Anton hat die gleiche betonierte Frisur, und als am Ende sein Sohn auf die Bühne kommt, hat der – die gleiche betonierte Haarpracht. Und seien sie noch so verrutscht: Diese Perücken verweisen nicht auf eine kaputte soziale Existenz, sondern einzig auf betonierte Frisuren.
Vielleicht ist es so: Wo die einst legendären »Umstände« in Verruf gekommen sind, und nur noch die Gier, das Ringen um Fassung und die Verzweifelung der Figuren im Vordergrund stehen sollen, werden die Akteure von den äußeren Konflikten abgenabelt. Sie kreisen dann, zunehmend wunderlich werdend, um sich selbst.

»Eldorado« von Marius von Mayenburg,
R: Christoph Frick, Schlosserei, 24.2., 14., 16., 20.3., 20 Uhr.