Tanzt krasse Beziehungskiste

Reut Shemesh überzeugt in »Before Morning« mit einer starken Choreografie versteckter Einsamkeiten

»Glaubst du an mich?«»Was weiß ich! Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe. Wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab — wir sind sehr einsam.« Die Antwort stammt von Georg Büchner, der sie seinem Danton in den Mund legt. Das neue Duett, das die Kölner Choreografin Reut Shemesh für ihre beiden tanzenden Kollegen Marion Dieterle und Florian Patschovsky geschaffen hat, erinnert an den berühmten Ausspruch. Nur rütteln die beiden Figuren, ein Er und eine Sie, in der Choreografie noch an der Vergeblichkeit. Immer mal wieder stehen sie einander gegenüber und arbeiten mit wellen-dem Körper und schiebenden, schaufelnden Armen an einer gemeinsamen Woge. So als wollten sie mit aller Kraft etwas zwischen ihnen aufwühlen oder in Gang -halten.

 

»Before Morning« schiebt die Zweisamkeit in nächtliche Gefilde, in denen die Vernunft schläft und Menschen sich verwandeln. Wenn Patschovski die Arme ausbreitet, an deren Enden die Hände flattern, wird er zum Vogel. Steht Marion Dieterle mit Armen wie starren horizontalen Linien da, wird sie zum Zeichen, zum Buchstaben. Ihre Vereinigung, animalisch und abstrakt, gebiert einen seltsamen Sirenengesang aus einer einzigen, hundertmal herausgestoßenen Silbe aus zwei aufgerissenen Mündern. Ob es endlose Klage oder Kondensat einer unsäglichen Lust ist? Vielleicht beides. Die zwei Wesen scheinen sich ständig der Existenz des Anderen vergewissern zu müssen: Sie hauen einander klatschend, drücken sich, setzen sich auf den anderen oder umklammern ihn zu fest, propellern die Arme zu schnell. Einer spiegelt sich im anderen oder verliert ihn ganz aus dem Blick. Diese Nacht »Vor dem Morgen« ist rau und ruppig. Sie kämpft gegen Ungeheuer, welche die Träumer selbst sind. So wachsen dicke Häute. 

 

Damit hat Reut Shemesh etwas geschaffen, das sich jenseits allen Naturalismus und der schon hundertmal gesehenen Liebes-und-Trennungs-Duette behauptet. Schon einmal hatte sie für Patschovsky und seinen Kollegen von Overhead Project, Tim Behren, choreografiert, eine märchenhaft surreale Brüdergeschichte: »The boy who cries wolf«. Inzwischen ist sie künstlerisch weitergegangen. Manches in »Before Morning« wirkt noch versuchshaft, etwa der Einbau gesprochener Texte, aber die Wucht und die Verrücktheit dieser Zweierkiste überzeugen.

 

 

»Before Morning«, C: Reut Shemesh, 7., 8.10., Ehrenfeldstudio, 20.30 Uhr