Blick von der neuen Freitreppe am Rheinboulevard

Deutz: Freiheit und Freizeit

Leben in Deutz: der große Strom und eine kleine, aber geschichtsträchtige Einkaufsmeile

Deutzer Freizeit: Das Rheinufer und ein Geheimtipp im Nirgendwo

Die Schäl Sigg hat es besser: Den Dom im Blick, und abends sogar im Sonnenuntergang. Die neue Freitreppe zwischen Deutzer und Hohenzollernbrücke bietet 10.000 Sitzplätze für dieses Schauspiel, das vor allem Auswärtige anzieht. Weniger Beton, dafür mehr Grün gibt es links und rechts dieser Inszenierung. Der Rheinpark ist ein Prachtstück unter den Kölner Parkanlagen, dazu hat bei­getragen, dass hier 1957 und 1971 die Bundesgartenschau stattfand. Sonstige Attraktionen: für Kinder ein ordent­licher Spielplatz und die lustige Bimmelbahn, dazu der Tanzbrunnen für Remmidemmi-Events. Wildromantisch dagegen die Poller Wiesen im Süden, vor dem alten ­Deutzer Hafen. Hier ist nichts kommerziell erschlossen, und es zeigen sich die Vorteile, wenn stadtplanerisch nichts passiert: Wiese, Wasser — und Richtung Poll ein paar Fußball- und Tennisplätze. Das war’s, und das reicht auch. Bitte nie ändern! All das sind keine Geheimtipps, aber einen gibt jetzt noch: Der Pyramidenpark am Beginn der Deutz-Kalker Straße bietet keinen Rheinblick, aber eine schöne Aussicht auf das kleinteilige Deutzer Kuddelmuddel ringsherum.

Was aber liegt zwischen den Schönheiten am Rhein? Ein unwirtlicher illegaler Parkplatz mit Postkarten-Panorama. Die Deutzer Werft ist eine ungestaltete Betonfläche. Wer von Süden nach Deutz fährt, staunt über die stadt­gestalterische Ignoranz, die sich hier präsentiert. Eigentlich sollte im Zuge des Rheinboulevards auch hier etwas Neues, Schönes, Nützliches entstehen. »Wenn fünf Autos da stehen, werden Knöllchen verteilt«, sagt Detlev Lang von der Deutzer Bürgervereinigung. »Wenn fünfzig da sind, passiert gar nichts.« Wie viele in Deutz fordert Lang, hier mehr Sportmöglichkeiten zu schaffen, bislang gibt es nur zwei Basketballkörbe. Auch Gastronomie wäre denkbar, das kleine Stelzen-Häuschen ist im Gespräch,es gehört den Kölner Schaustellern, die hier die Kirmes ­veranstalten. Gerade eben haben die Grünen in der Bezirksvertretung Innenstadt einen Dringlichkeitsantrag gestellt: Die Deutzer Werft soll nicht mehr Parkplatz sein. Immerhin. (Bernd Wilberg) 



Flair wie im Rhein-Sieg-Kreis: Die Deutzer Freiheit

Autobahnzubringer, Messe und Eisenbahnlinien versperren den Deutzern den Weg zu den Nachbarvierteln. Allerdings war es früher noch schlimmer. Ein Bahndamm der Bergisch-Märkischen Eisenbahn schnitt den Ort zeitweise komplett vom Rheinufer ab. Die Anwohner mussten einen Viadukt über die Deutzer Freiheit überqueren, um per Schiffbrücke nach Köln zu gelangen. Die Bahndämme und Überführungen wur­den Anfang des 20. Jahrhunderts zwar wieder abgerissen — doch 1914 wurde es mit dem Bau der Hängebrücke an der Stelle der heutigen Deutzer Brücke wieder ungemütlich. Die Brückenauffahrt baute man den Anwohnern der Deutzer Freiheit gnadenlos vor die Fenster, bis schließlich alle Häuser vom Rhein bis zur Mindener Straße abgerissen wurden, um die Brückenrampe zu verbreitern. Heute beginnt die Deutzer Freiheit mit der Nummer 47, und aus der einsti­gen Prachtstraße mit Kino und noblen Hotels ist eine Einkaufsstraße mit dem Flair einer Kleinstadt im Rhein-Sieg-Kreis geworden. »Die intakteste Ein­kaufs­­straße Kölns, fast kein Leerstand«, sagt Bezirksbürgermeister Andreas Hupke von den Grünen. Das findet auch Michael Musto, der für die CDU in der Bezirksvertretung sitzt. Er wünscht aber für die Autofahrer noch eine Brötchen-Taste, was die Grünen ableh­nen. Mittags, wenn die Angestellten auf der Suche nach Essen aus ihren Bürotürmen kommen, gibt es jetzt schon kein Durchkommen mehr. Die alten Deutzer treffen sich in der Bäckerei Hütten, die jüngeren im Café Saint Louis und beobachten die Nachbarschaft. Hat ja auch was, diese Insellage. (Anne Meyer)



Gentrifizierung isst nicht hier: Ausgehen in Deutz

Da können noch so viele Messebesucher hier eintrudeln, auf die Kneipen und Restaurants hat das kaum Auswirkungen. Wo ist die mondäne Deutzer Cocktailbar, wo das kühl designte Weinlokal mit 0,1-Gläsern zu acht Euro? Gastronomisch hat die Gentrifizierung kaum Spuren hinterlassen, sieht man von dem bisschen Italo-Frontcooking eines Filialisten in den Constantinhöfen ab. Ein paar Meter weiter kredenzt das urige Café Especial am Ottoplatz Tex-Mex-Küche wie in den 80ern — und hat ein hübsches Sonnenplätzchen vor der Tür, auf man seinen überbackenen Mais-Hack-Bohnen-Auflauf verspeisen kann. Auch das ironische Sowjet-Lokal HoteLux am Von-Sandt-Platz konserviert eine Gastro-Mode, die längst passé ist. Zeitlos die Kölschkneipen: Das Lommerzheim an der Siegesstraße war lange Aushängeschild für zünftigen Kölsch-Abusus und dicke Koteletts auf der Schäl Sick. Der Nachfolger der Legende versucht dessen Ruf zu vergolden, SUVs aus dem Umland zeigen, dass es klappt. Als Alternative gibt’s das »Brauhaus ohne Namen« an der Mathildenstraße, und gleich nebenan findet man dann doch noch die urbane Gemütlichkeit Ehrenfelder Prägung, quasi die freundliche Fratze der Gentrifizierung: die lauschige Villa Mathilde. Doch, es gibt auch Verluste zu beklagen: Das angenehm schrullige Café Kram am Gotenring / Ecke Schaurtestraße ist einem Laden mit Nahrungsergänzungsmitteln für Kraft­sportler gewichen. »So ein Eiweißladen halt, aber immerhin keine Kette, sondern inhabergeführt«, tröstet sich Christoph Illigens, Veedelschronist und Initiator von »Deutz Dialog«. (Bernd Wilberg)



Wie im Gemischtwarenladen: Kunst in Deutz

In Deutz gibt’s keine Kunst, aber viel Gerümpel. Das stellte die Wiener Künstlergruppe »Wochenklausur« fest, als sie Ende 2013 vier Wochen lang in einem Container in der Lorenzstraße hauste. Zu Füßen der »Düxer Bock« genannten Bronzeskulptur von Gerhard Marcks (1889-1981) — ein Kunstobjekt hatte man also doch noch gefunden — führten sie auf Einladung des Kölner Kunstbeirats ihre Strichliste: 725 Poller und 140 Kurzparkzonen-Schilder allein in dem kleinen Quartier zwischen Deutzer Freiheit und Arnoldstraße sowie Siegburger Straße und Gotenring. »Wie im niederösterreichischen Gemischtwarenladen«, fand die Künstlergruppe, und machte mit Anwohnern Vorschläge zur Verschönerung des Viertels. Gerümpel weg, Hochbeete neu bepflanzen, Bänke aufstellen, vielleicht ein Café in einem leer stehenden Ladenlokal eröffnen. Keine hoch­trabenden Pläne also, doch umgesetzt hat die Stadtverwaltung davon nichts. »Obwohl, es gibt jetzt noch mehr Poller, an die man sein Fahrrad anschließen kann«, sagt Christoph Illigens. Der Illustrator ist einer der Anwohner, die mit den Künstlern Ideen sammelten. Auch wenn die Stadt nichts tut, gehen jetzt immerhin einige Deutzer ans Werk. Es gibt Patenschaften für die Beete, rund um die Adolphstraße  haben Anwohner kleine Bänke vors Haus gestellt, und ab und zu wird eine Laterne bestrickt. Illigens hat außerdem den »Deutz Dialog« gegründet, der Bürger und Vereine vernetzen und »nachbarschaftliche Begegnungen« schaffen will. Sie planen auch den »Tag des guten Lebens«, der 2017 in Deutz stattfinden soll. Mal sehen, wie viele Poller es bis dahin in Deutz sind. (Text: Anne Meyer)