Watchdog

Frau Merkel hatte es zur Jahreswende eindrucksvoll vorgemacht: Nach vorne solle es gehen, nicht zurück. Auf unsere Stärken sollten wir uns besinnen, Schwächen dagegen ausmerzen. Gut ist eben besser, da soll es hingehen, schlecht dagegen eher nicht, ist eben auch nicht so gut … Auch in der Vergangenheit waren Neujahrsansprachen nie ein Füllhorn scharfsinniger Visionen, aber in diesem Jahr übertraf die neue Regierungschefin alles zuletzt Dargebotene an Hülsenhaftigkeit und Allgemeinplatzdichte. Diesem Zeitgeist, sich medial mal fest zu kneifen und vor allem anderen erstmal bedingungslos selbst zu vergewissern, ist nun auch der hiesige WDR gefolgt und hat sich öffentlich neue Programmleitlinien verordnet, die bereits am 1. Februar in Kraft getreten sind. Man muss das hier mal sagen, damit auch jeder weiß, warum das Programm seitdem kaum wiederzuerkennen ist: Jung soll es sein, so tönt es aus dem feschen Strategiepapier, unabhängig und ausgewogen sowieso, vielfältig und neutral, und, bitteschön, von hoher Qualität. Das schöne NRW soll eine gewichtige Rolle im Programm spielen, und nicht das Allgäu. Mit Verlaub: Der WDR ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt, und derartige Versprechen wirken doch eher so, als nähme sich ein Psychiater vor, seinen Patienten künftig zuzuhören. Und auch identitätspolitisch wird jetzt alles noch komplizierter. Gerade hatten wir uns daran gewöhnt, Deutschland zu sein, da leitliniert nun der WDR: Wir alle sind der WDR. Deutschland, Papst, WDR, und ein bisschen Privatleben soll es ja auch noch sein, es wird langsam unübersichtlich. Von Systemen sind wir durchzogen, sagte schon Niklas Luhmann, und so verblasst nun endlich die individuelle Ich-Erfahrung zur vagen Erinnerungsspur zugunsten von Bundesadler, Kruzifix und Käpt’n Blaubär.

Thomas Kemper hingegen ist vor allem Sauerland, Wandern, Walter Benjamin, Pfeife schmökern, Kunst und, als neuer Medienstaatssekretär in der Rüttgers-Regierung, natürlich ganz, ganz viel NRW. So war es zu vernehmen bei einer Veranstaltung der Kölner Journalistenvereinigung Ende Januar, wo Kemper sich und die aktuelle NRW-Medienstrategie vorstellte. Das war mal fällig. Jedes Medien-Engagement des Landes solle geprüft werden, hieß es bei Rüttgers Amtsantritt noch forsch, danach aber war alles Schweigen. Und so war zum Journalistentreff manch einer vor allem gekommen, um zu sehen, ob es Kemper wirklich gibt. »Es ist besser, schweigend für einen Dummkopf gehalten zu werden, als den Mund aufzumachen und es zu beweisen«, sagt ein chinesisches Sprichwort, und tatsächlich diente das Schweigen wohl vor allem dem Verbergen der Schattenseiten. Von 45 auf 25 Mio. Euro seien die Ausgaben der NRW-Regierung für Medien im letzten Jahr gesunken, so Kemper: Filmstiftung NRW, Internationale Filmschule Köln und das Medienforum NRW sind die großen Brocken, der Rest ging in die Breitbandförderung, große Sprünge seien nicht zu erwarten, eher noch weitere Reduktion. Der Bürgerfunk sei oft eine Zumutung, so Kemper, outete sich nebenbei als Nichtkenner des Landespressegesetzes und pries sich schließlich selbst als »service-orientierte Kampfmaschine«, die westfälisch-ruhig im Hintergrund wirke. Wie lange dieses veronkelte Westfalentum von Bodenständig- und Bockigkeitsriten wohl noch Charme versprüht? Viele meinen, bis vorgestern, und überhaupt: Hallo? Hat hier vielleicht mal einer eine Idee, ganz zu schweigen von einer richtigen Strategie für das neue CDU-geführte Medienland NRW? Überzeugende Medienpolitik jedenfalls geht anders. Auch in anderen Teilen der neuen NRW-Regierung wird derzeit gewitzelt: »Wir üben noch«. Ja sicher, nur: Wie lange noch?