Pascal Siemens (links) und Jonathan Briefs, Foto: Dörthe Boxberg

Das Reker-Fan-Buch

Jonathan Briefs und Pascal Siemens waren Teil von Henriette Rekers Wahlkampfteam. Jetzt haben sie ein Buch über die Oberbürgermeisterin geschrieben.

Herr Briefs, Herr Siemens, als Henriette Reker einen Tag vor der OB-Wahl lebensgefährlich verletzt wurde, waren Sie beide dabei. Sie, Herr Siemens, sind ebenfalls schwer verletzt worden. Hätten Sie beide das Buch auch ohne das Attentat geschrieben?

 

Jonathan Briefs Umgekehrt. Vorher hatte Frau Reker uns gesagt, wir können das Buch gern angehen, nach dem Attentat dachten wir eher, die Finger davon zu lassen. Es trotzdem zu tun, diese Entscheidung hat Frau Reker uns überlassen.

 

Pascal Siemens Eigentlich wäre ich am Tag des Attentats im Büro gewesen. Ich bin aber zur Veranstaltung gefahren, weil ein Kapitel im Buch die letzten 48 Stunden vor der Wahl beschreiben sollte. Wir haben alle irrsinniges Glück gehabt. Es geht heute allen gut.

 

Wenn nicht das Attentat, was war dann der Antrieb für das Buch?

 

Siemens Uns war klar, dass es ein ungewöhnlicher Wahlkampf würde. Erstmals bewarb sich eine Frau um das Amt, erstmals arbeiteten Parteien zusammen, die bislang eher gegeneinander gearbeitet hatten, insbesondere die FDP und die Grünen. Diese Momente wollten wir festhalten. 

 

Briefs Die Widerstände, nur weil eine Frau ihren Weg geht, fand ich ungeheuer spannend: Intrigen, Kampagnen ... 

 

Das Buch ist aus einer Fan-Perspektive geschrieben. Es ist parteiisch.

 

Briefs Nein, es ist unsere Perspektive als Mitarbeiter. Die fanden wir angemessen. Mich mit dem Thema SPD noch mal auseinanderzusetzen, hatte ich keine Lust.

 

Aber die SPD nimmt im Buch doch großen Raum ein.

 

Briefs Ja, aber aus unserer subjektiven Sicht. Wir wollten nicht noch mal mit denen über den Wahlkampf diskutieren. Im Buch gibt es eine Dokumentation, in dem sich die Geschichte der SPD selbst erzählt, da muss man nur Fakten aufführen. 

 

Sie haben nicht nur ein Pro-Reker-Buch geschrieben, sondern auch ein Anti-Ott-Buch.

 

Briefs Moment! Wir haben beschrieben, wie der SPD-Kandidat Jochen Ott Wahlkampf gemacht hat. Und wir zählen in der Dokumentation Dinge auf, die er und die SPD getan haben, das sind aber nur viereinhalb Seiten von 185!

 

Sie lassen sich über die Wahlplakate von Herrn Ott aus, machen sich Gedanken über sein Gebiss und behaupten, Menschen hätten sich nach seinem Zahnarzt erkundigt. Frau Rekers Plakate erfahren nicht diese Häme.

 

Siemens Aber wir sprechen über ihre Falten! Wir haben auch Dinge aufgenommen, die nicht nur schmeichelhaft sind.

 

Es geht nicht um Falten. Es gab Vorfälle in Frau Rekers Wahlkampf, die viel weniger schmeichelhaft waren. Sie hat sich mit dem CDU-Politiker Henk van Benthem im Wahlkampf ablichten lassen, der sich in Porz mit den Stimmen von Rechten zum Bezirksbürgermeister hat wählen lassen ... Sie sagen, Fakten würden aneinandergereiht, aber nicht alle Fakten kommen vor. Bleiben Sie dabei, ihr Buch sei eine »objektive Aneinanderreihung von Fakten«?

 

Siemens Nein, das Buch ist nicht objektiv, weil wir uns an unseren eigenen Erfahrungen im Wahlkampf orientieren und an dem, was in den Medien aufgegriffen wurde. Das war nicht nur die Krähenfuß-Diskussion, sondern etwa auch Rekers öffentlicher Disput mit einem Wahlkampfhelfer der CDU.

 

Sie sagen, Rekers Wahlkampf habe etwas Allgemeingültiges. Was meinen Sie damit?

 

Briefs Eine Frau geht ihren Weg, gegen alle Widerstände. Mit der Idee, dass es um Sachpolitik gehen soll und nicht um Parteipolitik, dass eine Verwaltung kein Spiegelbild des Rates sein muss. Und: Reker sagt, dass sie für die Demokratie angetreten ist. Dahinter verbirgt sich die Aussage, dass sie nicht einsehen will, warum zwei Männer [die SPD-Politiker Jochen Ott und Martin Börschel, Anm. der Redaktion] sich die Stadt aufteilen. Das kann sich überall wiederholen.

 

Siemens Auch das Thema Flüchtlinge ist stark mit Frau Reker verknüpft. Sie war Sozialdezernentin und hat immer wieder betont, wie wichtig ihr ist, das Thema Integration im Amt der Oberbürgermeisterin anzusiedeln. Trotz Fairness-Abkommen wurden Flüchtlinge von der SPD benutzt, um Wahlkampf zu machen. Auch das weist über Köln hinaus, wie man an den Erfolgen der AfD sieht.

 

Briefs In der letzten Woche vor dem Attentat ist das Thema Flüchtlinge in Köln massiv aufgeheizt worden. Das wurde gerade von Herrn Ott forciert. Er betonte, dass Schüler und Behinderte keinen Sport treiben könnten, weil Turnhallen von Flüchtlingen belegt sind. Es ist ein schlimmer Gedanke, dass jemand so etwas vielleicht als Sprungbrett nimmt, um in welcher Weise auch immer aktiv zu werden.

 

Hören wir richtig? Herr Ott trägt eine Mitschuld an dem Attentat?

 

Siemens Er ist mitverantwortlich für die aufgeheizte Stimmung.

 

In ihrem Buch erfährt man wenig über Henriette Reker als Person. Wollten Sie nicht mehr über sie preisgeben?

 

Briefs Das zentrale Thema für sie ist Haltung. Reker sagt: Ich bin für die Demokratie angetreten, nicht für die Partei, ich bin unabhängig und parteilos aus Prinzip. Ich gebe meine Stimme dem, der die besseren Argumente bringt. Und wenn man etwas über die Haltung einer Person erfährt, sagt das doch wahnsinnig viel.

 

Das sind doch Allgemeinplätze. Wer würde denn behaupten, sich dem besseren Argument zu verweigern?

 

Siemens Natürlich niemand, aber es gibt Leute, die diese Tatsache gar nicht formulieren. Man muss es ja auch erst mal aussprechen.

 

Unabhängigkeit war das wichtigste Argument in Rekers Wahlkampf. Aber ist das schon ein Programm? Kritik an Parteien ist populär, aber womit wird sie gerechtfertigt?

 

Briefs Sicher, Parteien vertreten Haltungen, da streiten sich Geisteshaltungen. Das ist gut. Aber man kann durchaus auch außerhalb der Parteien politisch wirksam sein. Und was Reker nicht will, ist Machtpolitik. Sie bevorzugt die skandinavischen Modelle, wo es für große Aufgaben wie den Haushalt Kernkooperation gibt und ansonsten wechselnde Mehrheiten in Sachfragen.

 

Siemens Frau Reker hat erkannt, dass sich die Demokratie in Deutschland weiterentwickeln muss. Dazu gehört Bürgerbeteiligung. Sie ist auf echte Kooperation bedacht, sie will die Leute nicht zum Tanz einladen und dann nur mit ihnen Tee trinken. Es muss von vornherein klar sein, in welchem Rahmen Beteiligung möglich ist, und wo es nicht angebracht ist. 

 

Im Buch heißt es, eine Stärke von Frau Reker sei der direkte Dialog, da entwickele sie Nähe und Humor. Wir haben Sie eher als toughen Typ erlebt, der Abstand hält.

 

Briefs Na ja, sie ist Juristin. Gleichzeitig ist sie Überzeugungstäterin. Sie ist introvertiert, aber gleichzeitig extrovertiert, wenn sie etwas vermitteln möchte. Im Face-to-face-Gespräch ist sie neugierig und blüht auf. 

 

Siemens Sie spielt keine Rollen. Mir hat mal jemand im Wahlkampf gesagt, Frau Reker habe einen queen factor. Sie strahlt auch Distanz aus. Die Leute fangen an, sich den Kragen zu setzen, wenn sie in den Raum kommt. Allerdings hat sie immer wieder gesagt: am besten ohne Rede, ohne Bühne, am besten mitten im Gespräch sein. Veranstalter hatten überlegt, mit Frau Reker Vorbereitungsgespräche zu führen. Aber das wollte sie nie.

 

Frau Rekers Wahlsieg war eigentlich stets sicher, sie hatte ein breites kommunalpolitisches Bündnis aus CDU, Grünen, FDP hinter sich.

 

Siemens Es gab Momente, in denen wir nicht mehr mit Sicherheit hätten sagen können, dass wir gewinnen. Auch weil wir uns fragten, wie die Zusammenarbeit der unterstützenden Parteien weitergehen würde, die sonst immer gegeneinander Wahlkampf gemacht hatten.

 

Briefs Selbst am Tag nach dem Attentat, also am Wahltag, fragten manche Medien, ob Frau Reker das Amt werde ausüben können und überhaupt wählbar sei.

 

Siemens Auch hochrangige Beamte der Stadtverwaltung hatten in Pressekonferenzen solche Zweifel angedeutet. Mit welchem Motiv auch immer ...

 

Spüren Sie jetzt eine Fürsorgepflicht für Frau Reker?

 

Briefs Wir? (lacht) Na, die Fürsorge holt sie sich dann. Das eine ist das Tagesgeschäft, das andere sind die Silvester-Vorfälle und die »Armlänge«-Diskussion. Da war Frau Reker gerade mal fünfzig Tage im Amt. Aber es ist passiert, und natürlich kostet das Energie. Aber jetzt kommt sie ins Gestalten und beginnt, die Verwaltung zu reformieren. Ich würde mir wünschen, dass sie die Zeit findet, für zwei Wochen aus dem Tagesgeschäft herauszutreten, ihre Prioritäten noch mal genau festzulegen und sich dann frisch ans Werk zu machen. Sie ist unter ungünstigsten Bedingungen gestartet.