Wider die Bequemlichkeit

Die junge Regisseurin Pınar Karabulut eröffnet die Außenspielstätte am Offenbachplatz

Die Augen wild, das Lachen frei — Pınar Karabulut ist angekommen. An einem Donnerstagnachmittag in einem Café auf der Venloer Straße, nur ein paar Schritte von der Probebühne des Schauspiels entfernt, erzählt die junge Theaterregisseurin von ihrem Start in die neue Spielzeit. »Momentan ist alles wahnsinnig aufregend«, sagt sie und dehnt dabei die letzten beiden Worte mit der Ausdauer einer Unermüdlichen. Erst vor wenigen Tagen ist Karabulut von ihrer Premiere von Janne Tellers »Krieg« am Dresdener Staatsschauspiel zurückgekehrt, in Köln beginnen schon die Proben für ihre aktuelle Inszenierung: »Karnickel« von Dirk Laucke. Am 29. September wird sie mit dessen Uraufführung die neue Außenspielstätte des Schauspielhauses am Offenbachplatz eröffnen. 

 

Für Karabulut, 29 Jahre alt und eben noch Regieassistentin unter Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann, ist es die erste Spielzeit, in der sie als freie Regisseurin unterwegs sein wird. Energisch und unverblümt klingt sie, wenn sie über das Wie und Warum ihrer Theaterlaufbahn spricht und über verkrustete Konventionen der Alt-Herren-Riege an deutschen Theatern. Am Ende ihrer rasanten und mit zahlreichen Ausrufezeichen versehenen Sätze streicht sie sich die schwarzbraune Lockenpracht aus der Stirn. Dunkle Wolke bedeutet ihr Nachname im Türkischen, Karabulut lacht: Diese ganz und gar deutsche Gewohnheit, exotisch klingende Namen mit Poesie und Bedeutung aufzuladen, als handle es sich um Figuren in einem Karl-May-Taschenbuch — das kennt sie.

 

Zuletzt verhandelt hat Pınar Karabulut diese identitätsstiftende und von Rassismen durchzogene Omnipräsenz der Sprache auf der Bühne. Im November 2014 feierte sie mit »Invasion!«, einem Stück des schwedisch-tunesischen Schriftstellers Jonas Hassen Khemiri, ihr Debüt am Kölner Schauspiel — und katapultierte sich als junge Nachwuchsregisseurin ins Zentrum der Theaterszene. Genau wie die sich ständige wandelnde Figur »Abulkasem« stellte Pınar Karabulut die Grenzen und Kategorisierungszwänge der Sprache auf die Probe und wurde damit prompt zum »Radikal Jung«-Festival nach München eingeladen. In die Stadt, in der Karabulut wenige Jahre zuvor Theaterwissenschaften studiert und erste Regieassistenzen an den Kammerspielen übernommen hatte. 

 

Hochpolitisch sind ihre Stücke seitdem geblieben, angesiedelt irgendwo zwischen schriller Überhöhung und trauriger Ernsthaftigkeit. Das gilt auch für Dirk Lauckes Episodencollage »Furcht und Ekel — Das Privatleben glücklicher Leute«, die Pınar Karabulut in der letzten Spielzeit im Rahmen der Werkstück-Reihe des Schauspiels auf die Bühne brachte. Für ihre grotesk inszenierte Bestandsaufnahme eines allzu deutschen Problems — nämlich dem von Alltagsrassismus und Fremdenhass — wurde die junge Regisseurin mit dem NachSpielPreis des diesjährigen Heidelberger Stückemarktes ausgezeichnet.

 

»Theater ist Dialog«, heißt es in dem Manifest, das diesem Theaterfestival zugrunde liegt. Mit Dirk Laucke hat Karabulut auch für ihr nächstes Stück »Karnickel« einen Autor gewählt, dessen Figuren sich vor allem durch eines auszeichnen: ihre eigene Unfähigkeit zur Kommunikation. Irgendwo in einem Speckgürtel, so schreibt es Laucke, spielt diese Geschichte vom rise and fall des Robert Brendel — für den die Ortsbestimmung schnell zum symptomatischen Abziehbild der eigenen Bequemlichkeit wird. Robert Brendel verliert seinen Job an der Hochschule, seine Frau lässt sich von ihm scheiden und zu seinen Kindern hat er es nie geschafft, eine Beziehung aufzubauen. »Um dagegen anzukämpfen, muss er sich in der nächstgelegenen Kneipe eine Menge Mut antrinken«, erzählt Pınar Karabulut und lacht. Mit »Karnickel« widersetzt sie sich auch dem Theater-Mainstream, in dem Geschichten weiblicher Protagonistinnen unter dem männlichen Blick des Regisseurs verhandelt werden.

 

Die neue Außenspielstätte des Schauspiels, wo »Karnickel« am 29. September uraufgeführt wird, kuratiert Pınar Karabulut in der kommenden Spielzeit auch. Gemeinsam mit drei weiteren ehemaligen Regieassistent*innen plant sie den Raum als Labor zu nutzen, um neue Formate des Theaters zu erproben. »Für mich spiegelt sich unsere Experimentierfreude in dem Baustellenflair wider, den der Offenbachplatz immer noch hat«, erzählt sie und fasst prägnant zusammen, was das Publikum von der neuen Spielstätte erwarten kann: »Ganz sicher eine Menge Frauenpower und Rambazamba.«

 

Mit ihrem Programm vom klassischen Theaterabend bis hin zu unkonventionellen Performativen und popkulturellen Autorenlesungen wollen Pınar Karabulut und ihre MitstreiterInnen dem Schauspiel in Köln einen Raum geben, um neue und häufig auch flüchtige Formate auszuprobieren. »Ich sag es mal so«, erklärt die junge Regisseurin und überlegt für einen kurzen Moment, bevor es aus ihr heraus sprudelt: »Das Schauspiel in Mülheim ist die große Schwester und die kleine, verrückte Schwester ist jetzt am Offenbachplatz und emanzipiert sich — hoffentlich auch mit wilden Partys und Konzerten.«

 

»Karnickel«, A:Dirk Laucke,
R: Pınar Karabulut 29.9.(UA), 6., 14.,
15., 20., 21.10., Schauspiel Köln am -Offenbachplatz, 19.30 Uhr