Selbststilisiertes Zentralgenie

Was ist eigentlich los mit dem aktuellen Album von Aphex Twin, dem Großmeisters der Elektronikszene? Ist »Druqks« ein würdiger Abschied von seinem Label oder am Ende doch nur Pappe? Ein Rückblick auf die bald zehnjährige, immer noch für Irritationen sorgende Werkgeschichte des Künstlers.

Merkwürdige Geschichten waren das, die man im Vorfeld der Veröffentlichung der neuen Aphex-Twin-Platte vernehmen konnte: Er habe nur dem Internet zuvor kommen wollen, er habe nämlich seinen mp3-Player mit lauter unveröffentlichten Stücken im Flugzeug verloren. Deshalb komme »Druqks« heraus. Bevor seine Stücke einfach so im Netz erscheinen, da verkaufe er sie lieber selbst. Soso, dachte man sich, der hat ja auch schon mal weniger copyright-freundliche Statements abgegeben. (Wenn auch die Idee, dass Richard D. James im Flugzeug sitzt – erster Klasse, zwischen all den Geschäftsleuten – und seine eigene Musik hört, eine schöne Vorstellung ist, ein Sinnbild für die conditio humana am Anfang des 21. Jahrhunderts, aus solchen Geschichten schöpft Chris Cunningham wahrscheinlich die Ideen für seine Videoclips.)

Keine Lust mehr

Außerdem hieß es, »Druqks« sei die letzte Platte, die er auf Warp veröffentliche, dem Label, wo bisher alle seine Alben erschienen waren. Er habe den Leuten von Warp gesagt, die Platte mache er noch und damit seien dann alle Ansprüche, die sie an ihm hätten, abgegolten. Einwände gegen Warp hatte er offensichtlich keine, bloß keine Lust mehr. Schließlich war die Platte da, und bevor man sie überhaupt anhören konnte, musste man den Unwillen des Plattenhändlers über sich ergehen lassen: Da ist sie, die blöde Aphex-Twin-Platte, glaubt der Depp wirklich, wir würden nur wegen seinem Alterswerk neue Regale bestellen? Es sind sind vier Platten im 12-Inch-Format, eingepackt in einer riesigen Schachtel, die zwar von der Breite her einem regulären Plattencover entspricht, aber eben 20 Zentimeter länger ist. Ohne Not, denn die Überlänge der Kiste ist nur mit Pappe gefüllt.
Jahrelang hatte man also wenig bis nichts von ihm gehört und nun das. Schon lange vor dem ersten Ton konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei Aphex Twin fed up, als wolle er alle vor den Kopf stoßen. Genauso hört sich »Druqks« auch an: Als wolle Aphex Twin nicht länger der sein, der er ist: das selbststilisierte Zentralgenie der experimentellen elektronischen Musik.

Ausgewählte Ambientwerke

Es war sein erstes Album, das ihn dazu machte: »Selected Ambient Works 1985 – 92« hieß es, und obwohl die Selbstklassifizierung des eigenen Tuns als »Werk« schon die Richtung vorgab, war es vor allem der Jahreszahlen-Zusatz, der das Genie Aphex Twin erschuf: Ambient oder Electronic Listening, diese merkwürdige neue Musik, die vor allem plockerte und zischte, war also gar nicht so neu. Es gab einen Künstler, der im Verborgenen schon seit Jahren an solchen Entwürfen feilte. Und James stattete sein Alter Ego mit allem aus, was es brauchte, um dieses neue Genre mit einer Zentralfigur zu versehen. Er löte schon seit Jahren an Synthesizern herum, ließ er verlauten, wenn ein Stück fertig sei, werde die Maschine umgebaut, damit er den gleichen Sound nicht zwei Mal benutzen könne. Deshalb auch »Selected Works«, er habe nämlich noch hunderte, wenn nicht gar tausende von Tracks in der Schublade.
Auf einmal konnte man sich vorstellen, aus was für einer Ecke dieser Sound denn kam – und mit seinem Album »I Care Because You Do«, auf dessen Cover sein Antlitz in Öl gemalt prangte, gab er der experimentellen elektronischen Musik auch noch ein Gesicht, eins, das mitunter recht böse guckte, aber so ist das ja bei Künstlern manchmal. Und Aphex Twin blieb interessant, denn bald stellte sich heraus, dass die meisten anderen Produzenten dieser Musik sturzlangweilige junge Männer waren, die sich am liebsten über ihre Computer unterhielten.
Aphex Twin blieb interessant, obwohl sich schon recht bald abzeichnete, dass seine Musik eigentlich die immer gleichen Muster reproduzierte. Entweder bestand sie aus Soundscapes oder aus extrem abstrahierten Breakbeats. Rhythmen, die irgendwie vom frühen Jungle inspiriert waren, denen jeder Anflug von Funk ausgetrieben und jede Form von Dancefloor-Funktionalität genommen war, um einfach nur da zu sein. Wie ein Hörmal, das sagt: So geht es auch. Man kann auch Kunst daraus machen.

Satie auf LSD

Mitunter waren das ergreifende Stücke. Stücke die sich anhörten, als bearbeite da jemand seine Kindheitstraumata, als versuche jemand im Nachhinein, noch einmal bestimmte Momente des Glücks und der Unschuld zu regenerieren, nur um festzustellen, dass es nicht geht, dass es das Glück vielleicht niemals gab, dass alles nur Projektionen sind, dass es Kitsch ist – um den Kitsch dann mit metallischen Breakbeats in die Tonne zu kloppen. Aber auch das wurde irgendwann zur Formel. »Drukqs« macht da keinen Unterschied. Die Musik von Aphex Twin kennt drei Zustände: Kitsch, Zerstörung und Geklimper. Meistens beginnt es mit letzterem, und das sich entfaltende akustische Feld wird dann von der einen oder der anderen Seite unter Beschuss genommen, gerne auch von beiden. Es gibt auf ein präpariertes Klavier geklimperte abstrakte Klangmuster, die sich anhören wie Satie auf LSD, dann hört man
wie-auch-immer-Acid-bloß-ganz-kaputt oder die klassischen Breakbeatgassenhauer. Dazwischen gibt es Tracks, die tönen, als hätte der Computer Schluckauf, als würde eine Horde betrunkener Glöckner versuchen, »Stille Nacht, Heilige Nacht« rückwärts zu läuten. Oder Richard D. James’ Eltern singen ihrem Sohn »Happy Birthday« auf den Anrufbeantworter.
Nicht dass gegen diese Formelhaftigkeit etwas einzuwenden wäre, sie verträgt sich nur nicht mit Aphex Twins selbsterfundenem Genie-Status. Als Mozart der elektronischen Musik ist Aphex Twin einmal bezeichnet worden. Doch hört man sich »Drukqs« an, drängt sich einem das Gefühl auf, als habe Richard D. James sein Alter Ego mit dieser Platte auf einen Vernichtungsfeldzug gegen sein eigenes Image geschickt. Ein Feldzug, dem man eine gewisse Verzweiflung nicht absprechen kann.
Denn wer es nötig hat, sich in Interviews damit zu brüsten, er werfe regelmäßig Wasserbomben auf die Raver, die vor dem Londoner Club Ministry Of Sound Schlange stehen, und wer stolz darauf ist, dass seine Freunde eben jene Raver in Tierkostümen erschrecken gehen, der muss in einer einigermaßen aussichtslosen Lage stecken. Vor allem, wenn der gleiche Aphex Twin dann beklagt, nur die frühe Ravemusik sei interessant gewesen, heute könne so etwas niemand mehr produzieren. Vielleicht ist er seiner eigenen Verkunstung vor den Bus gelaufen. Wahrscheinlich spielt er deshalb so lange Happy Hardcore bis der Saal leer ist, wenn er wieder einmal in einem Museum auflegt. Vielleicht macht die konsequente Selbstverkunstung so einsam, dass man vergisst, dass es ohne die stumpfen Raver auch kein Happy Hardcore gegeben hätte.

Die Geister bleiben

Allein – es wird nicht viel nützen. Denn egal, was er seinen HörerInnen und seiner Plattenfirma zumutet, es wird seinen Ruhm mehren. Er kann jahrelang keine Platte veröffentlichen, und es wird als bedeutsames Schweigen interpretiert. Er kann eine Doppel-CD herausbringen, und es ist Zeugnis seiner überschäumenden Kreativität. Er kann ankündigen, er werde nicht copyright-geschützte Stücke veröffentlichen, die jeder kopieren und herumschicken kann, wie er oder sie möchte, und er ist ein Held des Kampfes gegen miese Gesetze. Er kann sagen, er veröffentliche seine Platte, weil er keine Lust darauf habe, dass seine Stücke einfach so im Netz stehen und man denkt sich, fair enough, ist eh blöd, wenn alle immer alles umsonst kriegen, deswegen gibt es auch so viel schlechte Musik. Er kann von Madonna gebeten werden, für sie ein Stück zu produzieren, und es ist der Adelsschlag für sein Tun. Er kann ihr antworten, das mache er gerne, wenn sie davon absehe zu singen und statt dessen grunze wie ein Schwein. Dann hat er glorreich die Kommerzialisierung seines Schaffens in die Flucht geschlagen.
Denn auch, wenn es diese Musik schon seit rund zehn Jahren gibt: So genau definiert sind die Regeln des Genres nicht, dass man bei einem Verstoß des Feldes verwiesen werden könnte. Im Gegenteil, noch ist es so, dass jede Überschreitung der alten neue Regeln schafft. Es scheint, als werde Richard D. James die Geister nicht mehr los, die er einmal rief, als er sich zum verrückten Genie der experimentellen Elektronik stilisierte. Mitleid muss man deswegen keines haben.
»Druqks« ist bereits auf Warp/Zomba erschienen.