Keine Einzelfälle — Salman Zinah und Nesrin Almotlak mit Kindern, Foto: Dörthe Boxberg

Papa ist im Handy

In Köln leben Flüchtlinge seit vielen Monaten in Sammelunterkünften — darunter auch Hochschwangere und allein­reisende Frauen

 

Turnhallen und andere Massenunterkünfte mit bis zu 200 Betten in einem Saal sind in Köln längst keine Notunterkunft mehr, sondern ein Dauerprovisorium. Jede Woche suchen Frauen Hilfe bei Agisra, der Kölner Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Alle klagen über die gleichen Missstände: fehlende Privatspähre, mangelhafte Ernährung, Gefährdung des Kindeswohls, unhygienische Zustände, sexuelle Belästigung. Dies zeigt: Es sind keine Einzelfälle, sondern strukturelle Probleme. Die Frauen haben Atteste von Ärzten, dass diese Unterbringung aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei. Diese Bescheinigungen werden vom Gesundheits- und Wohnungsamt begutachtet und dann priorisiert. Bis zum Ende des Jahres will die Stadt Köln zehn der derzeit 22 beschlagnahmten Turnhallen räumen. Zuletzt ist die Zweifachturnhalle an der Heerstraße in Porz-Zündorf, in der mehr als 300 Menschen untergebracht waren, freigegeben worden. Das klingt vielversprechend, dennoch bleiben Fragen offen: Warum holt man nicht zuerst die besonders Schutzbedürftigen — darunter neben Frauen auch alte, kranke, traumatisierte Menschen und LGBTIQ — aus den Massenunterkünften heraus und löst dann nach und nach die jeweiligen Hallen auf? Warum soll das ehemalige Bonotel in Marienburg für alleinreisende Männer vorgehalten werden? Wie kontrolliert die Stadt die freien Träger der Flüchtlingsunterkünfte?

 


Und wo bleibt das Gewaltschutzkonzept, das die Verwaltung bis Ende Juni entwickeln sollte? Die StadtRevue hat drei Frauen getroffen, die von ihrem derzeitigen Leben berichten. 

 

 

 

 

Nesrin Almotlak, 35 Jahre, 1 Kind (9 Monate), alleinreisend, seit 3 Monaten in der Turnhalle Burgwiesenstraße in Holweide, zuvor in Lippstadt:

 

»Als ich nach Deutschland kam, war ich schwanger. Ich hatte Schwangerschafts-Diabetes und sollte kein Weißmehl und keinen Zucker essen. Meine ärztliche Bescheinigung hat aber niemanden interessiert. Ich bekam das gleiche wie alle, es zählt nicht, ob man schwanger ist oder stillt. Wir leben hier mit mehreren hundert Leuten in einer Turnhalle. Ich habe Rückenschmerzen, weil wir auf Feldbetten ohne Matratze schlafen, auf dem Feldbett neben mir liegt ein fremder Mann. Für meinen Sohn — er ist jetzt neun Monate alt — habe ich ein Gitterbett bekommen, aber ohne Matratze oder Auflage. Das ist viel zu hart. Also halte ich ihn auf dem schmalen Feldbett die ganze Nacht im Arm. Tagsüber kann ich meinen Sohn keine Sekunde aus den Augen lassen, er fängt jetzt an zu krabbeln. Auf dem Boden ist es aber dreckig. Und was soll ich mit ihm machen, wenn ich duschen will oder auf Toilette gehe? Die Neonröhre über uns leuchtet die ganze Nacht. Die Kinder schreien, es gibt ständig Streit, die Leute sind mit ihren Nerven am Ende. Gestern hat jemand einen Spind umgestoßen, der fiel einem kleinen Jungen auf den Kopf. Alle paar Tage telefoniere ich mit meinem Mann und schicke ihm Fotos von unserem Sohn, den er noch nie gesehen hat. Wenn ich meinen Sohn frage, wo ist Papa, zeigt er auf das Handy. Papa ist im Handy.« 

 

 

Salman Zinah, 30 Jahre, drei Kinder (10, 8, 4 Jahre), schwanger im 7. Monat, aus dem Irak, in der Turnhalle Westerwaldstraße in Humboldt/Gremberg:

 

»Unser Schlafsaal ist im Keller, da ist die Luft stickig und heiß. Ich habe Asthma und muss ständig husten. Zwischendurch war ich im Krankenhaus, wegen der Atemnot. Vom Arzt habe ich ein Attest, dass ich nicht in der Turnhalle untergebracht sein darf, aber ich bin trotzdem noch hier. Jetzt habe ich Angst, dass durch den ständigen Husten vorzeitige Wehen ausgelöst werden. Ich frage mich, wie lange das so weitergehen soll. Soll ich mein Kind im Keller bekommen? Das Essen ist leider auch nicht gut. Ich hatte schon manchmal verschimmeltes Weißbrot auf dem Teller. Frisches Gemüse und Obst gibt es fast nie. Das Essen wird in Schichten ausgeteilt, in engen Zeitfenstern, und wenn ich mal zu spät bin, weil irgendwas mit den Kindern ist, bekomme ich nichts mehr. Auch die Post kommt nicht immer bei uns an. Neulich habe ich einen Behördentermin verpasst, weil mir der Brief zu spät ausgeteilt wurde. Dann habe ich Ärger bekommen. Ich bin nur froh, dass ich mit meinem Mann hier bin. Alleinreisende Frauen fühlen sich hier völlig ausgeliefert.« 

 

 

Nihal Towhar, 29 Jahre, 3 Kinder (11, 10 und 3 Jahre), alleinreisend, aus Syrien, Turnhalle Burgwiesenstraße in Holweide, zuvor in Dortmund:

 

»Hier in der Turnhalle gehen Krankheiten um. Durchfall, Erbrechen, Husten, Hautausschläge, Fieber. Zuletzt hatte meine Jüngste das Norovirus. Meine drei Kinder waren früher ausgeglichen und recht ruhig, aber seit wir hier sind, erkenne ich sie kaum wieder. Die Großen weinen viel, die Kleine ist unruhig, quengelt und will nichts essen. Sie haben niemals Ruhe und keinen Platz zum spielen. Mit anzusehen, wie die Kinder unter solchen Umständen leben müssen, ist das Schlimmste für mich. Ein paar Wochen geht das, aber mehrere Monate oder Jahre? Es sind auch Kleinigkeiten, die mich zermürben: Wenn ich meine Menstruation habe, muss ich zu den Männern gehen, die Binden austeilen. Das finde ich beschämend. Für mich wäre es so viel angenehmer, wenn mir eine Frau das überreichen könnte.«