Sitzt auch manchmal am Tisch: Michael Kiwanuka

Mann in der Ecke mit Gitarre

Michael Kiwanuka spielt klassischen Soul, macht aber irgendwas richtig dabei

Diese Musik hat noch jeden kleingekriegt. Erinnert sich hier jemand an Jamie Lidell? »Multiply« hieß sein 2005 veröffentlichtes Solo-Album, das aus dem letzten Popjahrzehnt als Leuchtturm aufragt und uns mit frechem Witz und kindlich anmutender Radikalität in den Hafen des guten Geschmacks lotste. »Multiply« war ein Soul-Album, und Lidell widerstand jeder Heimeligkeit, jeder Traditionsseligkeit. Alles war ausgedacht, alles war selbstgemacht. Lidell hat nie wieder an dieses Album anknüpfen können, veröffentlicht hat er weiterhin fleißig, aber er wurde von Album zu Album berechenbarer.

 

Soul entlässt einen so schnell nicht aus den Verpflichtungen der Tradition. Eigentlich nie. In diesem Genre sind Modernismus und Abstraktion nur unter den Bedingungen des radikalen Bruchs denkbar, so dass die Musik schon nicht mehr als Soul zu identifizieren ist, sondern sich an den Rändern von Dubstep und HipHop ereignet. Das wäre dann schon Avantgarde.

 

Aber was macht Michael Kiwanuka da? Eröffnet sein jüngst erschienenes zweites Album mit dem schon provokativ plakativen Titel »Love & Heart« (Polydor) mit einem zehnminütigen Song, der seine ganze Kraft aus einem instrumentalen Intro bezieht, das wie ein Update der 75er-Pink Floyd klingt: »Shine on you …« Oh, Gott. Michael Kiwanuka nimmt telepathischen Kontakt zu David Gilmour auf. Pink Floyd haben den Ruf, einer der meistgehassten Bands aller Zeiten zu sein (was natürlich nicht stimmt), und Michael Kiwanuka, 29 Jahre alt, geboren in London, Kind zweier Flüchtlinge aus Uganda, Sänger und Gitarrist, Gewinner des »BBC Sound«-Awards 2012 und seitdem aus keiner Soul-Playlist mehr gestrichen worden, kümmert sich nicht darum.

 

»Cold Little Heart« heißt der Albumopener, mit so einem Statement hat noch kein Mainstream-Album in diesem Jahr begonnen. Kiwanuka kniet vor der Tradition nieder. Aber er steht nicht mehr auf. »Cold Little Heart« ist ein einziges Zerfließen. Intros sollen Spannung aufbauen, verheißungsvoll sein, aber Kiwanuka und seine Musiker schmelzen nur so dahin. Was auch immer heutige Hörer im Soul entdecken wollen, vielleicht das Heraufbeschwören einer Zeit, in der die Zukunft noch eine Zukunft war und eigentlich gar nicht einzutreten brauchte, weil die Gegenwart doch so Erfüllendes bereit hielt wie eben Soul, mit »Cold Little Heart« bedient Kiwanuka diese Sehnsüchte — und auch wieder nicht. Es ist einfach zu viel, was er da abliefert. So gut konnte das vor ihm nur Isaac Hayes, aber der stammt ja nun wirklich aus der Vergangenheit mit Zukunft. Weil niemand sich mit Hayes messen sollte, weicht Kiwanuka auf Pink Floyd aus. So kann man’s auch verstehen. Und vielleicht liegt auch alles bloß an Danger Mouse (bürgerlich Brian Burton), dem Produzenten von »Love & Hate«, der in den vergangenen zehn Jahren mit konsequent berechenbar-unberechenbarem, quietschbuntem Ekletizismus durch die Untiefen des Zeitgeistes zu schippern verstand.

 

Aber er versteht sein Handwerk — Danger Mouse. Kiwanukas Hang zur Introspektion, sein Isolationismus — der ewige Wunsch, nur mit der akustischen Gitarre dazusitzen und einfache Songs zu singen, die in der eigenen Seele widerhallen —, überführt der gewitzte Produzent in satte, aber nicht allzu erdige Arrange­ments. Ein kleiner Chor lockt Kiwanuka aus der Nabelschau hervor, aber Kiwanukas Schüchternheit wird nicht kaschiert, die Vorsicht, das Suchende in seiner Stimme bleibt. Im Kern ist es fragile Musik.

 

Das gilt auch für den zweiten Hit, den zweiten Höhepunkt des Albums »Black Man In A White World«, ein Song, der im Jahr 2016 einfach gesungen werden muss, der aber sein Potential zur Agitation nicht voll ausspielt. Kiwanuka singt ihn ohne den zu erwartenden Zorn. Er singt: »I’m in love but I’m still sad/ I’ve found peace but I’m not glad/ All my nights and all my days/ I’ve been trying the wrong way«. Man kann das für erstaunlich unpolitisch halten, man kann aber auch auf die existenzielle Erschütterung achten. Denn wenn »Black Man In A White World« bedeutet »All my nights and all my days I’ve been trying the wrong way«, dann lässt hier jemand tatsächlich jede Hoffnung. Laut Kiwanuka sind seine Hörer übrigens überwiegend jung und weiß.

 

Man muss aber erwähnen, dass Kiwanuka dieser Erschütterung, wenn er diese Interpretation überhaupt akzeptieren würde, kaum nachgeht. » Love & Heart« ist voll von Erlöserlyrik, er ist praktizierender Christ. Überhaupt verzichtet das Album auf Zuspitzung, Dringlichkeit, Nervosität. Selbst wenn die Gitarre abgehackte Akkorde schrammt, alles bleibt in der Schwebe.

 

Kiwanuka, der abseits des Lobs, das er in den großen Medien einfährt, durchaus kritisch betrachtet wird: zu viel Schönklang, musikalisch zu sehr auf sich fixiert, retromanisch bis an die Grenze zur Beliebigkeit, könnte die Bürde der Tradition gemeistert haben. Weil er gegen die Tradition nicht anrennt (wie es Lidell einmal — und nie wieder — gelungen ist), sondern sie unprätentiös hinnimmt. Natürlich ist Charles Bradley der heftigere Typ, der Schmerzensmann, und natürlich sind die Alabama Shakes die dreckigeren und deftigeren Musiker — aber hinter dem nächsten Akkord lauert auch schon das Klischee. Aber es lauert eben nicht auf Kiwanuka, weil der sich schon längst wieder in seine Ecke verzogen haben wird. Er und seine Gitarre. Dann kriegt er diesen leeren Blick und guckt nach Innen und spielt einen Song von Jimi Hendrix, ohne irgendeinen Lick von Jimi nachzuahmen, und wir denken, das ist ja ein großartiger Song, Hendrix ist wohl doch ein besserer Songwriter als Dylan, und wir sagen, Danke, Michael, für diese Erkenntnis. Viel mehr braucht man ja häufig nicht.

 


Konzert: Di 22.11.,

Live Music Hall, 20 Uhr