Hauptsache Flüchtling!

In »Casablanca« entblößt Mohamed Achour das Theater als vermeintlichen Integrationshelfer

Ob er den Bart besser abmachen solle? Fragt Mohamed Achour, als er die Bühne betritt. Ungeniertes Feixen mit dem Publikum. »Ach was«, beruhigt einer aus den vorderen Rängen, »fang mal ruhig an.« Hat der Schauspieler aber natürlich schon längst — und erzählt von seinem ersten Vorsprechen am Kölner Theater. Achour, gerade frisch von der Schauspielschule, will den Hamlet spielen oder besser: »Chamlet«, das klingt so schön arabisch.

 

Doch Intendant und Dramaturg winken ab. Ein Syrer? Als Hamlet? »Erzählen Sie doch mal lieber von Ihrer Flucht.« Als Meistererzähler à la 1001 Nacht setzt Achour, 1980 in München geboren, zu seiner angeblichen Fluchtgeschichte an, die ihn von Damaskus, der schönen Stadt seiner Kindheit, in die nordafrikanische Küstenmetropole Casa­blanca führt.

 

Hausregisseur Rafael Sanchez und der österreichische Autor Eberhard Petschinka haben daraus das Stück entwickelt. Es ist eine Hommage an »Casablanca«, ein Spiel mit Realitäten und eine Abrechnung mit falschen Erwartungen an das Theater als Integrationshelfer. Auf der Bühne wiederum bedient Achour die gierigen Fragen der Theaterleute und stolpert, flieht, hetzt von Damaskus nach Casablanca, weiter nach Frankfurt und schließlich zurück ins syrische Krisengebiet. Mit dem Dia-Projektor — einzige Requisite, weit und breit — wirft er verschwommene Bilder dieser Welten auf die Leinwand. Doch die muten ebenso geheimnisvoll an, wie die Geschichte, die der kleine Achour mit acht Jahren erzählt bekommt und die sein Leben verändern soll.

 

Politisch ist das Stück und irgendwie auch brisant. Vor allem aber ist es eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, von einem der auszog, seine verlorene Mutter zu finden. Oder notfalls sonst irgendetwas. Berauschend ist nicht die cineastische Liebeserklärung und auch nicht die trügerische Last des Voyeurismus, unter dem die Geschichte erst zum Glühen kommt. Berauschend ist Mohamed Achours Fähigkeit, mit wenigen Bewegungen Charaktere aufzuschlagen, als blättere er in einem Buch und wie er vollkommen hinter den Figuren verschwindet.

 

Da ist der hemdsärmelige Kinobesitzer an einer Straßenecke in Damaskus, der sich später im kegelförmigen Licht des Projektors nach der schönen Ingrid Bergmann sehnt. Da ist Tante Amina, die Mutter des kleinen Achour. Da sind Onkel Willi, zahlreiche Taxifahrer und ebenso viele Cousins. Achour spielt sie alle. Umso erstaunter taucht man aus dem Stück auf, wenn beim Applaudieren am Ende plötzlich nur einer nach vorne kommt.

 

»Casablanca«, A: Eberhard Petschinka, Raphael Sanchez, R: Raphael Sanchez, 28.10. (19.30), 15., 16.11. (20 Uhr), Schauspiel Köln am Offenbachplatz, 20 Uhr