Der Schutzraum war für Durch­reisende gedacht. Anwohner sollten im Keller ihren eigenen Bunker einrichten | Foto: Manfred Wegener

Fall Out Kalk

Hinter einer Stahltür im U-Bahnhof Kalk-Post verbirgt sich der einzige erhaltene Atombunker Kölns. Seit kurzem kann man die »voll funktionsfähige Anlage« besichtigen

 

Kann es einen größeren Kontrast geben? Im U-Bahnhof Kalk-Post pulsiert der Alltag. Die ein- und ausfahrenden U-Bahnen sind die Taktgeber, Menschen strömen hinunter zu den Bahngleisen und die Treppen hinauf in die Stadt. Ein dichter Rhythmus, den wir als einzige, große Bewegung wahrnehmen. Aber nur eine Stahltür, nur eine Schlüsseldrehung — und man fällt aus der Zeit.

 

Diese Stahltür befindet sich auf der Zwischenebene der Station gegenüber vom Kiosk. Was sich hinter ihr öffnet, ist der einzige erhalten gebliebene Atombunker Kölns. 1979 wurde er fertiggestellt, es gab eine offizielle Einweihungsfeier — unbekannt war die Anlage nicht. Aber sie ist völlig aus dem Bewusstsein der Stadtgesellschaft verschwunden. Ein Anachronismus, der zugleich auch ein Skandal ist, aber dazu später.

 

Zehn solcher Anlagen waren geplant, jeweils integriert in einen U-Bahnhof. Zwei wurden fertig gestellt, wobei der zweite Bunker, unter dem Rudolfplatz, wieder zurückgebaut wurde. Der Zivilschutzraum Kalk-Post hätte Platz für 2366 Menschen geboten, zwei Wochen wären sie versorgt gewesen.

 

Im Zentralflur, der sich hinter der Stahltür erstreckt, steht Robert Schwienbacher vom Kölner Institut für Festungsarchitektur, mit dem auch die »Dokumentationsstätte Kalter Krieg« assoziiert ist, die ehrenamtlich den Bunker für die Öffentlichkeit wieder hergerichtet hat. Seit September finden monatlich Führungen statt. »Streng genommen ist es kein Bunker«, erzählt Schwienbacher. »Technisch gesehen ist es ein Deckungsgraben. Im atomaren Ernstfall wäre die Feuerwalze darüber hinweggerast, daher der Name. Die Bombe hätte weit weg fallen müssen. Ansonsten hätte diese Anlage die Schockwelle, die sich auch durch die Erde fortpflanzt, gar nicht ausgehalten.« Die Wände sind cremefarben gestrichen, vom Farbton soll eine beruhigende Wirkung ausgehen. Das einzige Zugeständnis an die Insassen. »Das war ein Überlebensraum. Erwarten Sie keinen Komfort.« Es gibt keine Duschen, keine Schlafsäle — die mehrstöckigen Betten wären überall aufgestellt worden —, in der Küche nur ein Herd. Nur ein Herd? »Die Leute hätten Komprimate zu essen bekommen, da müssen Sie nichts aufwärmen.«

 

Vom Zentralflur gehen große Maschinenräume, Pumpen und Filteranlagen ab, der Wasserkreislauf. Ein Mensch produziert pro Tag hundert Watt Heizleistung, der Wasserkreislauf war so raffiniert, dass er die Temperatur im Bunker konstant bei 29 Grad gehalten hätte. Nur nach dem »Ernstfall« nicht, da wären es zeitweise bis zu 40 Grad gewesen. In zwei Zisternen hätten sich 85.000 Liter Wasser befunden: Zweieinhalb Liter für jeden pro Tag. Alles genau berechnet. Die Maschinenräume sehen nach Schwerindustrie aus: Stahl, Röhren, Telefone, die ohne Strom funktionieren, riesige Schränke, in denen sich die Regleranlagen befinden. »Die Anlage ist völlig IT-frei«, sagt Schwienbacher — und das ist ja schon fast wieder futuristisch. Aber sonst? Die Anlage vermittelt Schwerfälligkeit und trockenen Funktionalismus, eine Phantasie der Bürokratie: »Wenn der Ernstfall eintritt, hat man noch zwei Wochen Zeit, damit hat man kalkuliert. In dieser Zeit hätte man den Schutzraum vorbereitet. Hier wurde nichts gelagert, keine Nahrungsmittel, kein Wasser, kein Heizöl. Das musste erst alles herangeschafft werden«, führt Schwienbacher aus. Der dritte Weltkrieg: eine Eskalation in Zeitlupe.

 

Das Skandalöse dieser Anlage ist nicht, dass Pfusch am Bau betrieben wurde. Es liegt vielmehr in einer absurden Annahme: Damit die Anlage ihren Zweck erfüllt, hätte der Krieg so beginnen oder verlaufen müssen, wie sich das die Bürokraten vorgestellt hatten. Zum Beispiel mit zwei Wochen Vorlauf. Der Bunker unter dem Rudolfplatz hätte nur den »Minimalschutz« geboten, die Leute hätten ihr Trinkwasser selbst mitbringen müssen. Im U-Bahnhof Kalk-Post hätte es Schleusen gegeben: Man ging davon aus, dass die Leute schön diszipliniert in Zweierreihen die Treppen hinuntergehen zur, wie es im schönsten Bürokratenjargon heißt, »Vereinzelungsanlage mit Zählwerk«, wo ein Schleusenwart jeden Schutzsuchenden einzeln abgefertigt hätte. Panik? War nicht eingeplant. »Das ist eine Nadelöhrsituation«, meint Schwienbacher. »Denken Sie an Duisburg 2010, an die Loveparade. So wäre das hier auch gelaufen: Die Leute wären vor der Schleuse zerquetscht worden.«

 

Mehr noch: Mit »den Leuten« waren keine Kalker gemeint, der Schutzraum war für Durchreisende gedacht: »Damals gab es Förderung für den privaten Schutzraumbau. Jeder sollte im Keller seinen eigenen Bunker einrichten. Das wurde aber von der Bevölkerung nicht richtig angenommen.« Der Stadtverwaltung war schon klar, dass das Zurückweisen der Ortsansässigen nicht durchführbar gewesen wäre. Wahrscheinlich haben sowieso die wenigsten an ein Funktionieren des Bunkers geglaubt. Die Berechnungen zur Versorgung und Unterbringung stimmen nur auf dem Papier. Robert Schwienbacher rechnet vor: »Wir haben kürzlich am Tag des offenen Denkmals 900 Menschen hier durchgeführt. Die waren nicht zeitgleich in dieser Anlage, monierten aber, die Luft sei schlecht. Dabei lief die Luftanlage. Schon in einer Gruppe von 70 Leuten war zu spüren, dass die Luftqualität nicht gut ist. Und jetzt stellen Sie sich 2366 Menschen vor.«

 

Wir stehen auf dem Zentralflur, der Bodenbelag blättert ab, »zu viel Schalöl im Beton, da bleibt auf Dauer nichts haften«, meint Schwienbacher. Links und rechts führen Treppenhäuser auf die Bahngleise. Der gesamte U-Bahnhof wäre zum Bunker umgewidmet worden, überall Menschen, überall graue, trostlose Mehrstockbetten. Betrieben hätte die Anlage der Katastrophenschutz, zwanzig Mann Besatzung, dazu Bunkerwart und Schleusenwarte. »Die Anlage ist immer noch voll funktionsfähig«, der Satz wirkt surreal. In zwei Wochen könnten wir uns hier wiedersehen, mit Essenskomprimaten und vermutlich in einheitlicher Papierkleidung, denn unsere (verstrahlten) Klamotten hätten wir draußen lassen müssen.

 

80er Jahre: Wiederaufflammen des gar nicht so Kalten Kriegs, Wettrüsten, Nato-Doppelbeschluss, die Mauer in Berlin wird ewig stehen. Bald wird irgendwo in der Ukraine ein Atomkraftwerk in die Luft fliegen. Öko- und Friedensbewegung verbreiten Paranoia, die so paranoid aber gar nicht ist, eine radikale Fraktion nennt sich »Survivalists«, Überleben wird zum Politikum — Von dieser eigenartigen, so hektischen wie gelangweilten Zeit zwischen dem Stillstand des Schreckens und den Ausläufern der 68er-Bewegung vermittelt dieser »Deckungsgraben« unter der Erde Kalks zugleich alles und nichts. An diesem Ort, der vom Institut für Festungsarchitektur in monatelanger Arbeit liebevoll renoviert wurde, endet die Geschichte, hier wird keine Geschichte mehr geschrieben, ihr Ende wäre bürokratisch abgewickelt worden. Vor der cremefarbenen Wand kommen wir alle zum Stillstand.

 

Nach 14 Tagen im Bunker sind alle Vorräte aufgebraucht, die Filter nicht mehr funktionstüchtig, es ist kein Treibstoff mehr da, um die Pumpen zu betätigen. Die Zisternen sind leer. »Und dann«, sagt Schwienbacher, »müssen die Menschen raus. Egal, wie es draußen aussieht. Die einzige existierende Anweisung, die regelt, was danach passiert, lautet: Die Insassen werden mit Bussen abgeholt.« Ob da mal nicht jemand die Rechnung ohne die KVB gemacht hat! Aber der Witz bleibt einem im Hals stecken.

 

Atombunker Köln-Kalk Nächste Führung: So 6.11., 16 Uhr, Dauer ca. 90 Minuten, kostenlos Anmeldung unter: dokk@crifa.de Infos: do-kk.de, crifa.de