Beim Blick ins Mündungsfeuer

Heim & Welt

Ich bin einfach gestrickt. Mein Wahrnehmungsapparat ist bloß ein Standardmodell ohne besondere Features. Aber ich komme zurecht. Allerdings könnten die Filterfunktionen besser sein. Wenn ich irgendwo »Terror«, »Sex« oder »Donald Trump« lese, gaffe ich hin. So wie Wild in die Mündung eines Jagdgewehrs. Glücklicherweise benötige ich nur wenige Sekunden, um mich wieder abzuwenden.

 

Mit meinem Wahrnehmungsapparat ist es so wie bei einem Auto, das man schon lange fährt und dessen Macken man kennt. Man kommt dann auch mit einem kaputten Tachometer zurecht. Nun, ich habe kein Auto mit Macken, dem ich einen Namen geben könnte. Ich habe einen Wahrnehmungsapparat mit Macken, ich nenne ihn »Ich«.

 

»Ich« war neulich fehlerhaft. Vor dem Abrufen meiner E-Mails blieb ich an Trash-News hängen, ich blickte gewissermaßen ins Mündungsfeuer des Jagdgewehrs. Ich las Berichte über sogenannte Horror-Clowns. Sie laufen durch die Gegend und erschrecken unbescholtene Bürger, selbst Kinder. Ich dachte: He, wo ist die News? Clowns sind doch immer Horror. Ich kennen keinen, der Clowns auch nur irgendwie ganz okay findet. Kinder fürchten sich vor Clowns. Jedenfalls, wenn sie sich gesund entwickelt haben.

 

Ich war neulich im Zirkus, ich wurde mitgeschleppt. Befreundete Eltern behaupteten, ihre Kinder würden Zirkus lieben. Die Kinder sind ein bisschen dumm, halt so wie alle Kinder, ansonsten sind sie ganz normal. Als ich hörte, dass sie den Zirkus lieben, blickte ich allerdings anders in ihre schokoladenverschmierten Gesichter. Ich glaube, da ist in der Erziehung etwas kolossal schiefgelaufen. Das habe ich aber nicht gesagt, ich war ja eingeladen worden.  

 

Der Zirkus hat sich gegenüber meinem letzten Besuch vor schätzungsweise drei Erdzeitaltern verändert. Es gibt weniger Tiere, denn Tierschützer haben dagegen protestiert. Ich mag radikale Tierschützer, solange sie mir nicht auf die Bratwurst spucken. Dass Tierschützer den Zirkussen (heißt so, schlagen Sie im Duden nach!) die Tiere verbieten, finde ich richtig. Nachteil: Jetzt gibt es noch mehr Artisten und Clowns. Artisten und Trapezkünstlerinnen sehen aus wie magersüchtige Wachsfiguren, die diabolisch an unsichtbaren Fäden dirigiert werden. Über Pantomimen will ich nicht erst reden, es macht mich aggressiv. Ihretwegen kann ich nicht mehr unbekümmert auf Seifenblasen schauen. Am schlimmsten aber sind Clowns. Es sind immer Horror-Clowns. Sie stolpern und treten sich und reden mit verstellter Stimme. Neulich las ich, dass Clowns in Altenheime kommen, um den Insassen Freude zu bereiten. Wer stoppt diese Häme? Gut gemeint? Bedenken Sie: Auch Robespierre soll es anfangs gut gemeint haben.

 

Ich kam aus dem Zirkus, so wie man aus einem Horror-Film kommt. Einem modernen Horror-Film mit diesem ganzen Mindfuck- und Verschwörungsquatsch. Und die Kinder haben geweint. Die Eltern meinten, die Kinder seien müde, sie müssten ins Bett. Die Kinder waren hellwach! Ich glaube, sie hätten eher zu einem Trauma-Therapeuten gemusst. Möge er nur nicht mit Clowns-Puppen arbeiten!

 

Ich las dann noch viel über Horror-Clowns, immer bevor ich E-Mails abrief. Es habe etwas mit Halloween zu tun, stand da. Halloween ist eine säkulare Form von Allerheiligen. Da zeigt sich wieder: Die Kirche hat viel Unheil über die Menschheit gebracht, aber der Atheismus ebenso. Robespierre hat die Pfaffen vertrieben und es anfangs gut gemeint, heißt es. Dann kam der Horror. Ich habe mir Porträts von ihm angeschaut. Mein Wahrnehmungsapparat mag manchmal Macken haben, aber Robespierre sieht aus wie ein Clown.