Sartana unchained

Unangepasst, dreckig, ohne Moral — Leonhard Koppelmann vertont den Spaghetti-Western Sartana — Noch warm und schon Sand drauf mit Bela B. und Peta Devlin

Der Italowestern sei das Genre der Resignation, sagt man. Er sei der Flintenschuss aus dem Hinterhalt, der die kolonialistische Utopie des weißen Siedlers zur Strecke bringt: »Gehet hin und machet euch das Land untertan!« An der Grenze zur Wildnis und des eigenen Ichs gibt es keine Moral. Das weiß Alberto Cardone, das weiß Sergio Leone und natürlich weiß das auch Sartana, der James Bond des Italowesterns, der auf seinem vierhufigen Kumpel durch die Blütezeit des Filmgenres galoppiert.

 

Fast ein halbes Jahrhundert nach Sartanas letztem großen Coup, hat ihn Regisseur Leonhard Koppelmann am Schauspiel Düsseldorf für sein neuestes Live-Hörspielprojekt wieder auf den Sattel gehieft. In »Sartana — Noch warm und schon Sand drauf« reitet der charismatische Antiheld mit dem niemals verglimmenden Zigarrenschnulli zwischen den Zähnen nach Indian Creek. Was er in diesem menschenfeindlichen Moloch aus Gewalt und besoffener Hoffnung auf Gold zu suchen hat? Er will einen Freund rächen. Doch als Sartana in Indian Creek ankommt, ist ihm schon jemand zuvor gekommen.

 

»Die Idee, einen Spaghetti-Western zu vertonen, entstand bei einem Treffen mit Bela B«, erzählt Leonhard Koppelmann. Schaut man sich die Liste seiner Produktionen in diesem Jahr an, meint man, der Regisseur produziere grandios gute Hörspiele im Vier-Wochen-Rhythmus — zuletzt die Audiofassung von Frank Witzels Roman »Die Erfindung der Roten-Armee-Fraktion«. Für »Sartana« hat er einige der bekanntesten Stimmen des deutschen Popkultur-Kanons um sich versammelt: Es sprechen Oliver Rohrbeck, bekannt als Justus Jonas von »Die Drei ???«, Stefan Kaminsky alias Kermit der Frosch und Joker aus Batman, Peta Devlin von der Hamburger Band Die Braut haut ins Auge und natürlich Bela B., Ärzte-Drummer und Punk-Veteran.

 

Auch der legendäre Dialogbuchpapst und selbsternannte »Meister des Schnodderdeutsch« Rainer Brandt tritt auf, als Erzähler. Von ihm stammt die deutsche Synchronfassung des Filmes von Alberto Cardone aus dem Jahr 1970. Wie kein anderer hat Brandt den Jargon des Italowestern geprägt: Mit ein bisschen Gosse und Unterwelt, jiddisch und ein paar Berlinismen, so erklärte Brandt den Sprachjargon seiner Dialogregie selbst. Er persiflierte Westernrollen von Gianno Garko und Bud Spencer, bis sie zum Schreien komisch waren und sabotierte damit glücklicherweise auch die weiße Ikone des Machismo: Der schweigsame Trapper auf seiner 1-PS-Schleuder.

 

»Bis auf wenige Kürzungen haben wir den Szenenverlauf der Filmspur komplett übernommen«, erzählt Koppelmann. Er habe aber den Figuren Zitate aus fast allen Filmen von Rainer Brandt in den Mund gelegt: »Um die Hommage an ihn noch deutlicher zu machen.« Im Stück selbst diskutieren die Sprecher über die künstlerische Bedeutung des Italowestern: Bela B. feiert den Punk im Italowestern ab, Peta Devlin wittert hinter vollbusigen »Pressluftschuppen-Ladys« den Sexismus im Westernformat und Kaminsky entlarvt zaghaft rassis­tische Motive, die wie Tumble Weed durch die weiten Ebenen
der Prärie rollen.

 

Anfang Dezember, tourt »Sartana« mit seinem Bühnencrossover aus medialen Erzählformen entlang der Bühnen auf der Rheinschiene. Am Silvesterabend sendet WDR 3 (20.04 Uhr) noch einmal das Hörspiel im Langstreckenformat. »So richtig Spaß macht es, wenn das gesamte Material vor einem ausgebreitet liegt«, erklärt Koppelmann, der »Sartana« als »Live-Hörspiel, Rock’n’Roll-Konzert und Cartoon-Projekt« in einem beschreibt. Gemeinsam mit der Band Smokestack Lighnin’ haben Bela B. und Peta Devlin eigens für das Stück Westernssongs komponiert. Stefan Kaminsky liefert mit einem Bauchladen voll knarzender Ledersattel, quietschender Saloon-Türen und speziell angefertiger Klangmaschinen den Soundtrack zum Wilden Westen. Und die Trickfilm-Legende Robert Schlunze (»Kleines Arschloch«) bebildert mit Comic-Zeichnungen das Abenteuer.

 

Blut und verrohte Gewalt gibt es viel zu sehen, schließlich hat der Italowestern die gesellschaftliche Vision des Wilden Westen längst zur Dystopie erkoren. »Sartana zeigt die ungeschminkte Realität einer verrohten Gesellschaft«, erklärt Koppelmann. »Sein Antiheld ist ein übler Halunke, noch übler ist aber die Welt um ihn herum.« Faszinierend ist dabei vor allem die metaphysische Kraft, über die Sartana verfügt: Wie durch Zauberkraft ist er seinen Kontrahenten immer um eine Pferdelänge voraus.

 

Für den Italowestern ist dieses Spiel mit den Realitäten Programm: Entgegen aller Mexican-Standoff-Gesetze agieren die Figuren außerhalb des historischen Raumes. Mit Schnellschusswaffen und Kung-Fu-Tricks strecken sie ihre Kontrahenten nieder so wie Sartana, der den Halunken am Pokertisch mit seiner bleiernen Taschenuhr ein drittes Auge verpasst. Klingt witzig? Ist
es auch. Doch wie sagt Stefan Kaminsky im Stück so schön: »Wer ab sofort das Genre nicht ernst nimmt, soll an seinem eigenen Lachen ersticken.«