Der Abo-Dichter

Ein Jahr nach dem Tod von Rolf Persch erscheint ein Sammelband des Kölner Lyrikers

Der Dichter Rolf Persch war bis zuletzt Geheimtipp eines kleinen exklusiven Zirkels von Kölner Fans. Er hatte einen enormen Sinn für Humor und eine so faszinierende Ausstrahlung, dass man ihn, einmal gesehen, nicht wieder vergaß. Ein Band mit ausgewählten Gedichten, der im Kölner Sprungturm-Verlag erschienen ist, zeigt jetzt die hohe Qualität seiner Texte.

 

Geboren wurde Rolf Persch 1949 in Bonn als ältester Sohn eines Buchdruckers, von dem er den Hang zur Exzentrik erbte. Die rauschhaften 68er Jahre mit ihrer Sehnsucht nach Freiheit, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit steckten ihn an. Er wollte seine Grenzen ausloten und begab sich auf den Drogen-Trip. Als er mit 25 Jahren von einer unheilbaren Leber-Erkrankung erfuhr, die von einer verschmutzten Spritze herrührte, änderte er sein von Beschaffungskriminalität geprägtes Leben und begab sich auf Reisen. Zurück in Deutschland fing er an zu schreiben. Beeinflusst von der Lektüre Ernst Jandls und der Wiener Gruppe, entwickelte er bald seine ganz eigene Sprache. Persch wurde ein philosophischer Dichter, der sich der Brüchigkeit hinter der scheinbaren Lustigkeit seiner Worte bewusst war. In kurzen, oft sprachspielerischen Versen ging er nicht nur mit der Sprache und der Welt, sondern auch mit seiner eigenen Person kritisch zu Werke:
ich bin / mein / hund // ich trete niemanden / wie / ihn

 

In einem Laden in der Südstadt hängte er seine Gedichte ins Schaufenster. So wurden Literaturverleger und Herausgeber auf ihn aufmerksam und er wurde ein gern gesehener Gast auf literarischen Partys. Ähnlich wie der Düsseldorfer Punk-Dichter Thomas Kling, der bei feinen Abendessen der literarischen Hautevolee als Rabauke auftrat, gab Persch bei solchen Gelegenheiten den dichtenden Großstadt-Dandy, nie darum verlegen, seine Gedichte im richtigen Moment lautstark und zuweilen böse auswendig vorzutragen. Er bezeichnete sich selber als Rezitationskünstler und legte ebenso viel Wert auf sein Äußeres wie auf die Art des Vortrags. Manchen seiner Texte hatte er seinen unvergleichlichen Vortragsstil auch eingeschrieben:
iich / schmiere / miir / poomaade / iins / haar. 

 

Andere wiederum sollten schamlos provozieren:
mina / den mund voll / herbert / herbert entspannt / eine hand / in minas haar

 

1988 erschien in der Kölner edition fundamental sein Band »mühsam mit links«, zum astronomischen Preis von 85 DM. Er machte durch diese Publikation auf sich aufmerksam und wurde zu Lesungen eingeladen. Jetzt fanden seine Gedichte zu ihrer endgültigen Form, und das Erzählerische sowie der biografische Aspekt wurden wichtiger. Persch entwickelte einen Stil, der fast gar nichts mehr mit Konkreter Poesie zu tun hatte. Neben der gnadenlosen, oft ironischen Selbsterkundung wird sein Leben als Reisender, die Beziehung zu den Eltern und immer wieder die Angst vor dem eigenen Tod thematisiert. Bei manchem Gedicht bleibt dem Leser das Lachen im Halse stecken:
du lebst jetzt schon so lange / mein gutes, altes mütterlein; drei / männer hast du bis heute begraben. / sollte ich, mir wird ganz bange, der / vierte von dir begrabene sein? / mein gutes, altes mütterlein, daß / du dich erleben mußt / am grabe deines sohnes / will ich dir ersparen; / am besten wird sein, ich bringe dich / um.

 

Gemeinsam mit Thomas Kling trat er 1987 zur Eröffnung der »documenta 8« auf. Aber Rolf Persch fühlte sich im etablierten Literaturbetrieb nie wirklich wohl, fand keinen großen Verlag und blieb ein Außenseiter. Er versuchte, sich auf eigene Faust durchzuschlagen. Seine Bewunderer schlugen ihm Ende der 90er Jahre vor, ihn finanziell zu unterstützen, wenn er ihnen Originale seiner Gedichte lieferte. Das ermöglichte ihm, fortan nur noch vom Schreiben zu leben. Er fand eine neue Wahlheimat in der Eifel, die er durchwanderte und die vor allem in den nachgelassenen Texten »Gehgend« Einzug hielt. Jeweils zum Monatsende schrieb er exklusiv für seine Abonennten ein Gedicht. Auf Wunsch kam Rolf Persch sogar ins Eigenheim seiner Leser und trug es selber vor.

 

Die Literaturwelt hatte ihn fast völlig vergessen, als Ende 2014 ein unheilbarer Leberkrebs festgestellt wurde. Kurz vor dem Ende war Persch, der weise Dichter, abgeklärt und in seinem ganz eigenem Reich. Passanten, die ihn neugierig anschauten, weil er, mit knallgelber Hautfarbe und extrem abgemagert, in einem Café saß, rief er zu: »Was schaut ihr so dumm? Ich habe mich gelb tätowieren lassen für Karneval!« Noch drei Tage vor seinem Tod im März 2015 tippte er mit letzter Kraft sein finales Abo-Gedicht ab und war besorgt, dass es auch recht­zeitig zur Post kam. Vom Totenbett aus verabschiedete Persch sich von seinen Freunden und Jüngern. Er hat zu früh Abschied genommen.