Packt die Tische voll!

Im Advent kommt mehr auf den Tisch als sonst. Nicht Essen, sondern Tischschmuck. Autsch, da zuckt mancher zusammen! Das bedeutet ja meist schludrig zusammengekehrtes Kleingerümpel mit saisonalem Bezug, so dass man die Dessertgabel schon mal aus dem Tannengrün zupfen muss. Allerdings: Nicht weniger lästig sind die traurigen Resultate ironischen Dekorierens. Es wurden schon kopulierende Osterhasen im Advent gesichtet. Hat man fertiggekichert, wird man feststellen, dass hinter beiden Fällen eines steckt: Ratlosigkeit gegenüber dem Feierlichen. Denn uns befremdet das Zeremonielle, es gilt als steif. Doch besitzen unsere ungezwungenen Zusammenkünfte am Tisch gar nicht weniger Reglement, nur dass es unausgesprochen herrscht. Erklären Sie mal Gästen, keine laktosefrei Milch im Haus zu haben oder legen Sie Oldies auf!

 

Das größte Manko des Legeren aber ist, dass neben dem Sinn für das Feierliche auch das Sinnliche verlorengeht. ­Übrigens: Auch das in bürgerlichen Kreisen beliebte Landhaus-Dekor ist mit seinem Bast, Blech und Bastelkram ja nicht festlich, sondern bloß nostalgisch und in seiner Alltäglichkeit betont gewöhnlich.

 

All das Scheitern am Dekor sollte jedoch nicht zum Um­kehrs­chluss leiten, jeglichen Tischschmuck zu verbannen. Solche Kargheit entspringt bloß dem Denken in Effizienzen, einem Kotau vor der Doktrin unserer Epoche. Dann heißt es: Ach, solcher Aufwand wäre doch »nicht nötig« gewesen! Ach, satt werde man doch auch ohne Tischdecke und Bleikristall! Dazu passt, dass die Gefahr ästhetischer Zerrüttung heute gar nicht mehr vom Gelsenkirchener Barock ausgeht, sondern von der Diktatur eines ewiggleichen Produktdesigns, das seine Einfallslosigkeit als klare Linie anpreist.

 

Sicher braucht eine festliche Tafel weder Servietten-Origami noch Rokoko-Römer, aber vielen gelten schon Platzteller, Kerzen oder gar die Untertasse als Tinnef. Dabei weiß jeder, der jemals eine größere Gesellschaft bewirtet hat, dass sich oft erst über Blumen, buntes Glas oder kleine Trouvaillen ein Gesprächsfaden unter den Gästen entspinnt, der zu mehr führt als der Abfrage von Beruf, Wohnort und Familienstand. Wo es gar keinen Tischschmuck gibt, übernimmt irgendwann dann immer das Smartphone die Rolle von Tischdekoration und Blickfang. Trostloser kann ein Tischgespräch kaum sein.