Dingdong! Karton! Teil 2

Pizza im Niesel 

 

Fahrrad-Lieferdienste sind ökologisch und bringen gutes Essen. Aber wie arbeitet es sich dort?

 

Was für die einen »Scheißwetter« ist, ist für die anderen ein gutes Geschäft. An einem Sonntag Anfang November nieselt es leicht, schon an frühem Abend ist es dunkel und die Außentemperatur beträgt vier Grad. Auf der Bonner oder Aachener Straße, auf der Venloer oder Dürener Straße wird es dann eng auf dem Radweg. Die Kuriere von Deliveroo (türkis) und Foodora (pink) drängeln sich dann dort, immer mit einem Kubus auf dem Rücken, in dem sie Pizza, Burger oder Sushi transportieren. »Heute werden wir viel zu tun haben«, sagt Christoph, der nur so heißt, wenn er in der StadtRevue auftaucht. Er steht mit seinem pinken Foodora-Rucksack auf der Aachener Straße und wartet auf Instruktionen. 

 

Seit knapp zwei Jahren sieht man in deutschen Großstädten Fahrradkuriere, die nur Essen ausliefern. Sie bedienen eine Klientel, die sich für fetttriefende Pizza zu schade ist, aber trotzdem zum Essen nicht aus dem Haus möchte. Eine »kuratierte Auswahl« der »angesagtesten als auch neuesten Restaurants und innovativsten Küchen« verspricht Foodora. Deliveroo möchte, Kunden »mit einer Vorliebe für gutes Essen« ermöglichen, »hochwertige Speisen zu bestellen«. Sie wollen Leute ansprechen, die gerne und gut essen. Das scheinen einige zu sein.

 

»Es ist schon krass, wie viele von uns unterwegs sind«, sagt Christoph. Er ist einer von rund 290 Foodora-Fahrern in Köln. Deliveroo hat weitere 70 im Einsatz. So wie viele seiner Kollegen, ist Christoph noch nicht lange dabei. Kölns Marktführer Foodora wächst und sucht Verstärkung für seine pinke Flotte. »Den Job habe ich schnell bekommen. Keine große Sache«, erzählt der Anfangzwanziger vom sogenannten Onboarding. Es gab ein paar Fragen für einen knappen Gesamteindruck des Bewerbers — und schon hatte er einen Arbeitsvertrag und die pinkfarbene Dienstkleidung. Eine Woche später schwang er sich erstmals für Foodora auf dem Sattel. Anderswo ist der Weg zum ersten Gehalt deutlich mühsamer.

 

Hinter dem Pink von Foodora und dem Türkis von Deliveroo stecken zwei der meistbeachteten Neugründungen der Digitalökonomie. Deliveroo wurde 2013 in England gegründet und kam im April 2015 nach Deutschland. Foodora hat eine wechselhafte Vergangenheit: 2014 in Berlin gegründet, im April 2015 von der bekannten Internetinvestoren-Gruppierung Rocket Internet übernommen, die Foodora im September 2015 an Delivery Hero weiterreichte. Delivery Hero wiederum spielt in der höchsten Liga der internationalen Food-Delivery-Services, hält Marken wie Lieferheld oder pizza.de. Mit kleinen Startup-Klitschen haben beide nichts mehr zu tun. Im Hintergrund wird längst am ganz großen Rad gedreht. In Köln streiten sich beide Dienste um einen Kernmarkt: Werbeplakate säumen die Straßen, in der Innenstadt werden Fahrradsättel regelmäßig mit türkisen und pinken Regenschutzhauben verziert. 

 

Auch die Fahrer selbst sind eine trampelnde Litfaßsäule. »Das ist clever gemacht. Uns kennt doch mittlerweile jeder in der Stadt, andauernd werde ich angesprochen«, sagt Christoph. Beschäftigen tut ihn das nicht — anders als etwa die hauseigene App. Diese ist gewissermaßen Christophs Chefin, die ihm ihre Anweisungen immer in kleinen Häppchen reicht. Zunächst nennt sie ihm Namen und Anschrift des Restaurants samt Bestellung. Erst wenn er deren Status auf »abgeholt« setzt, bekommt er die Anschrift des Kunden. Und erst wenn er dort wiederum den Status auf »abgegeben« ändert, dann — tja, dann beginnt das Spielchen von vorne. »Da kommt man sich manchmal schon dumm vor. Selbst zu denken, wird einem komplett abgenommen«, sagt Christoph. Die Strecken, die die App ausspuckt, sind selten länger als zwei Kilometer, gefahren werden sie strikt nach Google Maps, der zweiten Anwendung, die auf seinem Smartphone dauerhaft läuft. Im Schnitt komme er, rechnet Christoph durch, auf zwei Lieferungen pro Stunde. Diesen Schnitt hält er auch heute: Seit zwei Stunden ist er unterwegs und liegt bei vier Bestellungen, ohne sich dabei gehetzt zu haben. Wenn er über eine rote Ampel oder auf dem Fußgängerweg rollt, wirkt es jedenfalls nicht nach der kalkulierten Jagd auf eine Bonusminute. »Uns hat nie jemand gesagt, dass wir uns Stress machen müssen.« Auch diese Anweisung befolgt Christoph.

 

Die Lieferfahrer sind Einzelkämpfer. »Andere Fahrer kenne ich nicht. Ich habe zwar einen Rider Captain, der eine Gruppe von Fahrern betreut, aber auch den kenne ich nicht wirklich«, berichtet Christoph. In Kontakt steht er eigentlich nur mit seinen Dispatchern. »Das sind Typen, die wohl in Berlin am Computer hocken. Denen können wir schreiben, wenn was ist. Die schreiben dann zurück. Verrückt, oder?« Die digitalen Helferlein sind es auch, die die Fahrer stets im Auge behalten, falls diese Gefahr laufen, Touren zu vermasseln. Während ihrer Schichten starren die Fahrer fast unentwegt auf ihre Smartphones. 

 

Einmal in der Woche erhalten die Fahrer über die App auch den Schichtplan. In dem stehen bei Foodora ausschließlich Angestellte. Der Großteil sind Midi- oder Minijober, in Vollzeit arbeiten weniger als zehn Prozent. Mindestens verdienen die Fahrer dabei 8,50 Euro pro Stunde. Deliveroo hingegen beschäftigt nebst Angestellten auch Freelancer, die zu den 7,50 bis 8,50 Euro Stundenlohn an jeder zugestellten Lieferung mit mindestens einem Euro beteiligt werden. Gibt es Trinkgeld, geht das hier wie dort komplett an die Fahrer. »Meiner Erfahrung nach sind das auf fünf Stunden knapp zehn Euro«, sagt Christoph. Bezahlt wird bei Foodora auf der Website, was Kunden nicht dazu einlädt, im Portemonnaie nach Trinkgeld für die Fahrer zu kramen. Und obwohl sie angestellt sind, müssen die Fahrer ihr eigenes Fahrrad und Smartphone samt Datenvolumen  nutzen. Für Verschleiß oder Schäden müssen sie selbst aufkommen. Dazu kommt das hohe Gefahrenpotenzial im von Autos dominierten Großstadtverkehr. »Natürlich ist das der Mindestlohn, aber 8,50 Euro plus Trinkgeld sind für den Job schon wenig«, sagt Foodora-Fahrer Christoph. Die Handyhalterung für seinen Fahrradlenker, die ihm die Arbeit erleichtert, weil er sein Telefon nicht ständig aus der Tasche holen muss, hat er sich trotzdem ebenfalls selbst angeschafft. 

 

Die meisten Fahrer sind dennoch nicht unzufrieden mit ihrem Job — auch Christoph nicht: »Mir macht Radfahren in der Stadt Spaß. Klar, ich sehe das in einigen Punkten auch kritisch. Aber eigentlich finde ich trotzdem, dass das eine gute Sache ist.« Woanders gibt es jedoch schon Proteste gegen die Arbeitsbedingungen. Im Mai haben sich Deliveroo-Fahrer in Berlin zusammengetan, um gegen die Kürzung eines Wochenendbonus zu protestieren. Im August haben in London die Lieferfahrer von Deliveroo gestreikt, nachdem der Lieferdienst ihre Bezahlung von einem festen Stundenlohn auf eine Bezahlung pro Lieferung umstellen wollte. Nach sechs Tagen Arbeitskampf hat Deliveroo schließlich eingelenkt.

 

Fahrradlieferdienste haben ein gutes Image. Fahrräder sind emissionsfrei und damit ökologisch nachhaltig. In der engen Kölner Innenstadt sind sie schnell und flexibel und in der zweiten Reihe müssen die Kuriere  auch nicht parken. Zudem stärken sie den lokalen Handel. »Wir sind happy, dass es das gibt«, sagt etwa Sebastian Georgi, Geschäftsführer der beiden Pizzerien von 485Grad: »Man muss aber ehrlich sagen: Das Produkt ist nicht mehr dasselbe, wenn es eine halbe Stunde durch die Stadt gefahren und geschüttelt wird.« Dementsprechend sei es für 485Grad eine Risikoabwägung gewesen, ob man die Pizza auch bei Foodora anbietet. Es hat sich gelohnt. 485Grad war einer der ersten Foodora-Partner in Köln, mittlerweile einer der umsatzstärksten in Deutschland. Zwischen einem Viertel und einem Drittel des Bestellwerts geht den Gastronomen je nach Anbieter und Partner als Gebühr verloren. Dafür öffnet sich ein neuer Absatzmarkt, der deutlich weniger Ressourcen beansprucht als ein Ladenlokal. »Wie jeder Gastronom möchten auch wir, dass die Leute in unsere Restaurants kommen«, beteuert Georgi dennoch. Die Kooperation sei ein Beigeschäft, das einen einstelligen Prozentsatz vom Gesamtumsatz ausmache. Zu Stoßzeiten, etwa am Sonntagabend, haben die beiden Ladenlokale von 485Grad Vorrang. Über Foodora ist man dann nicht erreichbar.

 

Lokal, ökologisch, lecker und mit digitaler Bequemlichkeit — Lieferdienste sind gut fürs Gewissen einer sich bewusst ernährenden Großstadtklientel. Dabei ist das Geschäftsmodell dahinter nicht sonderlich nachhaltig. Zum einen generieren diese Kurierdienste Daten, die im Besitz von der Unternehmen bleiben. Zum anderen hängt ihr Erfolg davon ab, ob sie weiteres Risikokapital akquirieren können. Tun sie das nicht, müssen sie schließen. Genau das ist Take Eat Easy, einem Essenslieferdienst aus Brüssel, passiert. Im Juli dieses Jahres musste das Unternehmen schließen. »Einige Fahrer von Take Eat Easy haben dieses Vakuum genutzt und eine Genossenschaft gegründet«, erzählt Trebor Scholz, der an der New School in New York über Arbeit in der Digitalökonomie forscht. Mithilfe eines Startup-Programms lernen die Fahrer nun die Grundlagen der Betriebsführung. Das Ziel ist es, Arbeitsbedingungen wie bei Take Eat Easy zu vermeiden, wo die Fahrer in Konkurrenz zueinander treten mussten. Stattdessen versuchen sie, solidarisch und selbstverwaltet miteinander zu arbeiten. Für Trebor Scholz hat dies Modellcharakter: »Das Genossenschaftsmodell eignet sich gut für eine App-basierte Ökonomie.« Gerade im Transportsektor, der durch die Einführung selbstfahrender Autos vor einem weiteren Umbruch steht, könnten Genossenschaften die Fahrer schützen. »Im Zweifel gehören dann die selbstfahrenden Autos den ehemaligen Fahrern.« Denn auch hinter der neuesten App und einem nachhaltigen Fahrrad-Lieferdienst steckt ein altes kapitalistisches -Problem: Die Produktionsmittel gehören nicht denen,
die damit arbeiten.