Unten der Giftmüll, oben der Stau — die marode Leverkusener Autobahnbrücke, Foto: Manfred Wegener 

Mit Karacho durch den Giftmüll

Damit der Autoverkehr wieder fließt, wird die ­Leverkusener Brücke neu gebaut und die Autobahn A1 verbreitert. Doch dafür muss eine Deponie von Bayer geöffnet werden

Der Metallstutzen ragt etwa einen halben Meter aus dem Erdreich. Detlef Stoller riecht an ihm. »Mann, ist das eklig«, sagt er und meint nicht nur den schwachen Geruch aus dem Inneren des 20 Meter hohen grünen Hügels, auf dem er steht. Unter ihm liegt die Altlast Dhünnaue: tausende Tonnen Bauschutt, durchsetzt mit Giftmüll. Stoller, 56 Jahre alt, hatte mit vielen anderen lange darum kämpfen müssen, dass die in den 60er Jahren stillgelegte Deponie gesichert wird. 2003 erst waren die letzten Arbeiten dafür abgeschlossen. Der im Dezember beschlossene Neubau der maroden Leverkusener Autobahnbrücke bedeutet jedoch, dass die Deponie — auf deren südlichem Teil seit der Landesgartenschau 2005 der Neulandpark steht, während sich nördlich an die Dhünnaue das noch aktive Entsorgungszentrum mit Deponie anschließt — geöffnet werden muss. Denn auch die Autobahn A1 soll zwischen Niehl und dem Leverkusener Kreuz verbreitert werden. Dass der Widerstand in Leverkusen dagegen so groß ist, hat mit der Geschichte der Deponie zu tun, meint Stoller. Er war damals wie heute mittendrin.

 

Es ist schwer vorstellbar, wie sorglos die Verantwortlichen des Bayer-Konzerns und der von ihm finanziell abhängigen Stadt Leverkusen mit dem verseuchten Boden umgingen. Auf der Deponie am Rheinufer wurden Anfang der 50er Jahre Wohnhäuser für Kriegsflüchtlinge errichtet, dazu am Rand eine Schule, ein Jugendtreff und ein Kindergarten, den in den 80er Jahren auch Detlef Stollers Tochter besuchte. Als die Siedlung Ende der 80er Jahre sogar erweitert werden sollte, hatten sich Krebserkrankungen bei Erwachsenen und Bronchitis bei den Kindern gehäuft. Ärzte schlugen Alarm, Protest formierte sich. Die Deponie, verseucht mit  Rückständen aus der Chemie-Produktion, darunter Chrom, Cadmium, Blei, Quecksilber und Arsen, galt fortan als »Europas größte bekannte Altlast«. Eine Dokumentation des WDR kritisierte Bayer scharf. Der Konzern lenkte schließlich ein. Die Dhünnaue wurde saniert, die 300 Häuser darauf abgerissen. 1992 zog der letzte Bewohner aus. Doch nun kehrt die Angst zurück.

 

Die A1, die mitten durch die Altlast führt, soll in drei Abschnitten erweitert werden. Als erstes wird die marode Rheinbrücke ersetzt. Sie wurde in den 60er Jahren für eine Belastung von täglich 40.000 Fahrzeugen entworfen — heute sind auf ihr jeden Tag mehr als 120.000 Autos und Laster unterwegs. Die Schäden sind inzwischen so massiv, dass eine Sperranlage für Lkw errichtet wurde. Radarfallen zwingen Autofahrer, das Tempolimit einzuhalten. Pendler schimpfen über Dauerstau, die Industrie rechnet horrende Verluste vor, Anwohner in den umliegenden Vierteln klagen über Lkw in den Wohngebieten. Das Land NRW hat sich beeilt, Pläne für eine neue Brücke vorzulegen. Verkehrs­minister Michael Groschek (SPD) be­schimpfte die Kritiker vorsorglich als »Egoisten« in einer »durchgrünten Gesellschaft«. Im Dezember wurden die Pläne genehmigt. Anfang 2017 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, ob Klagen einen zügigen Start des 740 Millionen Euro teuren Projekts noch verhindern können.

 

Für eine langwierige Bürgerbeteiligung war also wenig Zeit, die Rücksicht auf die Belange der Kommunen begrenzt. Die Alternativen wurden »aufgrund der immensen Dringlichkeit«, so die Stadt Leverkusen in einer Stellungnahme, »nicht mit letzter Akribie« geprüft. In Zukunft könnte eine achtspurige Autobahn durch ihre Innenstadt führen.

 

Vier Jahre nachdem das Ausmaß der Brückenschäden offenbar wurde, steht damit fest, dass zunächst eine neue Brücke neben der alten gebaut wird, welche wiederum im Anschluss abgerissen und durch ein weiteres neues Bauwerk ersetzt wird. Der Verkehr fließt während der Bauarbeiten weiter. Stoller und viele andere, die die Geschichte der Giftmülldeponie kennen, bezweifeln, dass ein Eingriff in die verseuchte Dhünnaue unvermeidbar sei.
Straßen NRW, der Landesbetrieb, der die Baustelle plant, hält eben dies aber für die verträglichste Lösung. Per Gutachter ließ man klären, dass die Baustelle auf der Deponie mit Zelten oder einer Traglufthalle abgeschirmt, die Luft darin überwacht und gefiltert werden könne. LKW transportieren das verseuchte Erdreich luftdicht verschlossen ab, insgesamt 88.000 Kubikmeter, laut Straßen NRW. Aber Kritiker sprechen von einem Vielfachen. Der Großteil des Aushubs sei nur leicht belastet, sagt Straßen NRW. Alles beherrschbar, so das Fazit. Die Bezirksregierung Köln schließt sich als Aufsichtsbehörde dieser Auffassung an und genehmigt die Pläne. Leverkusener Bürgerinitiativen sehen das anders.

 

Die meisten Betroffenen wünschen sich einen Tunnel. Dann würde der Autobahnverkehr aus der Stadt verschwinden und mit ihr, so die Hoffnung, Feinstaub, Lärm und die Gefahr einer Umweltkatastrophe. Die Planer von Straßen NRW haben mehrere Varianten geprüft: Kosten, Bauzeit, Aufwand der Wartung, wegfallende Anschlüsse und Einschränkungen für den Verkehr während des Umbaus sprechen aus ihrer Sicht gegen einen Tunnel. Aber Stoller konnte bei den Planern nie Offenheit für Alternativen erkennen. Er hatte sich für eine »Kombi-Lösung« mit Brücke und Tunnel eingesetzt: Wer auf die A59 oder nach Leverkusen will, fährt von Köln über den Rhein. Wer zum Kreuz Leverkusen möchte, wo sich A3 und A1 treffen, fährt unter dem Rhein hindurch. Diese Lösung führe aber laut Straßen NRW zu mehr Verkehr im Leverkusener Stadtgebiet. Andere Aktivisten wie Erhard Schoofs, der für die Bürgerliste im Leverkusener Stadtrat sitzt, behaupten, Straßen NRW sei voreingenommen gewesen. Auch stand der Verdacht im Raum, Bayer wolle die Deponie-Grundstücke loswerden — und damit die Verantwortung für das Gift. Von Bayer müssen zwar rund 10.000 Quadratmeter erwerben, die Verantwortung für die Deponie ist indes in einem nach der Sanierung der Deponie geschlossenen Vertrag zwischen Stadt, Konzern und Straßen NRW geregelt. Daran werde sich »grundsätzlich nichts ändern«, so Bayer auf Anfrage. Laut Straßen NRW liegt sie beim Chemie-Unternehmen. Doch wer haftet für Schäden während der Bauarbeiten? ­Kritiker befürchten giftige Gase, explosive chemische Verbindungen und Absackungen — Unfälle, die bei Sanierungen von Deponien vorkommen können. Dafür sei Straßen NRW verantwortlich, sagt Timo Stoppacher, ein Unternehmenssprecher. Schließlich gelte die Deponie ohne Eingriff als gesichert. Weniger klar ist, wer für Schäden, die nicht eindeutig zuzuordnen sind, aufkommt: »Passiert nach zehn Jahren etwas, werden sich die Gutachter streiten«, sagt Stoppacher.

 

Gutachter, Planer und Bezirksregierung sind sich nach 150 Probebohrungen aber einig, dass die Risiken beherrschbar seien. Auch die Stabilität sei gewährleistet: Unter den neu angelegten Fahrbahnen wird eine zwei Meter tiefe Schicht entfernt und durch tragfähiges, unbelastetes Material ersetzt. Beim Bau der Brücke in den 60er Jahren gruben Arbeiter allerdings bis auf den Grund der Deponie und tauschten das Erdreich aus. Die Halde war für nicht tragfähig befunden worden. Die nun geplante Erweiterung liegt nur teilweise auf dem ausgetauschten Untergrund. Die Fahrbahnen der A59 seien seit Jahrzehnten stabil, argumentiert dagegen Straßen NRW.

 

Die Zeit drängt. Schließlich sollen den Lkw durch die neue Brücke schon 2020 weite Umwege erspart werden. Und so werden bald die Vorbereitungen beginnen — und zwar an der Dhünnaue.