Gedächtnishilfe

Eine internationale Tagung am Wallraf-Richartz Museum soll mit Hilfe neuer Forschungsergebnisse Licht in die Ankaufspolitik der Museen während der NS-Zeit bringen. Sabine Oelze über »Raubkunst«, »Provenienzforschung« und das verdächtig selektive Erinnerungsvermögen auch der Kölner Museen

Ende 1999 verschickte der damalige Kulturstaatsminister Michael Naumann einen Rundbrief an alle deutschen Museen. Darin forderte er die DirektorInnen auf, die Herkunft der Kunstwerke, die zwischen 1933 und 1945 in ihre Museen kamen, zu beleuchten. Kurz zuvor hatte die Bundesregierung zusammen mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden offiziell erklärt, dass verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut in Deutschland an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werde. Zwei Punkte dieser 50 Jahre nach Kriegsende formulierten Erklärung waren neu: Museen und Archive sollen juristische Argumente wie Verjährung und gutgläubigen Erwerb zurückstellen und aktiv die eigenen Bestände nach Werken mit fragwürdiger Herkunft durchforsten. Bislang hatten sie in einer Art Warteposition ausgeharrt und sich bei Rückgabeforderungen rechtmäßiger Eigentümer oder deren Erben darauf berufen, dass die Ansprüche nach über 30 Jahren längst verjährt waren.
Ein Beispiel für das museale Phlegma ist die Rückgabe des Gemäldes »Die Weintraube« von Louis Marcoussis, das erst im März letzten Jahres aufgrund der Recherchen und des langjährigen Insistierens des privaten Kunstdetektivs Clemens Toussaint an Jen Lissitzky, den Sohn von El Lissitzky, vom Museum Ludwig zurückgegeben wurde. An der Willensschwäche der Museen hat aber auch die Erklärung des Bundes und der Länder nicht viel geändert. Lediglich in sieben großen Ausstellungshäusern – in München, Hamburg, Stuttgart, Dresden, Düsseldorf und im Kölner Wallraf-Richartz Museum (WRM) – wurden wissenschaftliche Stellen zur so genannten »Provenienzforschung« eingerichtet.
Dass ausgerechnet das Wallraf-Richartz Museum eine Pionierrolle in Sachen Vergangenheitsforschung übernimmt, scheint folgerichtig. Denn der ehemalige Direktor, Otto Hans Förster, nutzte während der NS-Zeit die Gunst der Stunde, um preisgünstige Schnäppchen zu machen, zum Beispiel in den besetzten Niederlanden oder in Frankreich. Um seine Kasse aufzubessern, verkaufte er sogar über 600 Werke aus der eigenen Sammlung, um finanzstark in knapp 90 Gemälde moderner Meister wie »Die Badenden« von Auguste Rodin oder ein Selbstbildnis von Paul Cézanne zu investieren. 80 Gemälde wurden 1946 von den Alliierten beschlagnahmt und restituiert – ein doppelter Aderlass für das Museum also, das durch Försters dubiose Verkaufspolitik wichtige Werke verlor und außerdem Gemälde an Frankreich und die Niederlande zurückgeben musste. Doch nach dem zweiten Weltkrieg gelangten noch andere Werke zweifelhafter Herkunft in das Museum. 32 Gemälde der so genannten »Linzer Liste«, die Hitler im In- und Ausland für das von ihm geplante Führermuseum in Linz zusammengeraubt hatte, übergab die Bundesrepublik Anfang der 60er Jahre treuhänderisch an das Kölner Museum, darunter Gemälde von Rubens, Spitzweg und Tintoretto.
Um Klarheit über die eigenen Bestände zu bekommen, untersucht die Kunsthistorikerin Katja Terlau, finanziert von der Oppenheim-Stiftung, seit eineinhalb Jahren am WRM die Herkunft jedes Werks, das zwischen 1933 und 1945 in die Sammlung kam. Dazu gehören mehr als 200 Gemälde, Hunderte von Grafiken und einige Skulpturen. Durchschlagende Erfolge gibt es im Wallraf-Richartz Museum noch nicht zu verbuchen, die Nachforschungen sind nicht gerade einfach, und es kann Jahre dauern, die Besitzverhältnisse eines einzelnen Objekts zu rekonstruieren. Je mehr Zeit verstreicht, desto weniger Zeitzeugen gibt es, die authentisch über die Ankaufsumstände Auskunft geben können.
Außerdem scheint die Verlustangst in den Museen immer noch stärker zu sein als der Rückgabewille. Ulli Seegers vom Art Loss Register glaubt, es mangele nicht allein am Wissen darüber, ob und welche der Kunstwerke während der NS-Zeit aus jüdischem Besitz erworben wurden. Das Art Loss Register, die weltweit größte Datenbank für verschwundene Kunstwerke mit mehr als 100.000 Einträgen (mehrere Tausend stammen von NS-Verfolgten), steht im engen Austausch mit der Commission for Art Recovery beim World Jewish Congress in Washington und bietet eine maximale Erfassung von Verlustdaten. Doch scheinen die Institutionen – wie auch immer motiviert – die Chancen zur Kooperation mit der einzigen international und zudem kostenfrei arbeitenden Datenbank gerne ungenutzt zu lassen. Denn kaum ein deutsches Museum, übrigens auch kein Kölner Museum, hat sich je nach der Liste vermisst gemeldeter Kunstwerke überhaupt erkundigt. Und das trotz mehrfacher Kontaktaufnahmen von Seiten des Art Loss Register. Einige Museen drücken sich sogar immer noch ganz vor Auskünften über ihre Depotbestände.
Aufgeschlossener dagegen zeigen sich englische und amerikanische Museen wie die National Gallery in London, das Metropolitan Museum oder das MoMa in New York, die routinemäßig ihre Bestände und Ankäufe beim Art Loss Register prüfen lassen. Über das eigenbrötlerische Tun der einzelnen Häuser hier zu Lande kann Ulli Seegers nur den Kopf schütteln. »Man kann schnell den Eindruck gewinnen, dass jedes Museum sein eigenes Süppchen kochen will. Ich würde mir wünschen, im Sinne der Werke und auch der Geschädigten, dass man uns kontaktierte.« Die Tagung ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Aber nur, wenn nicht weiterhin um Kompetenzen gerangelt, sondern damit auch eine engere Kooperation in Gang gesetzt wird.
Kolloquium »Museen im Zwielicht – Ankaufspolitik 1933 bis 1945«: 11. + 12.12,. Wallraf-Richartz Museum.