Filmische Versuchsanordnung

Clemens von Wedemeyer zeigt im Kölnischen Kunstverein, dass Leipzig nicht nur Malerhypes hervorbringt

Rosafarbene Einfamilienhäuser im nächtlichen Gewitterblitz: Wie eine Vision leuchtet die Möglichkeit des idyllischen Wohnens am Rande der Stadt auf. Die Desillusion folgt umgehend: die wenigen Einblicke in das Innere der Musterhäuser verheißen kaum Glück und Harmonie. Dort läuft im Fernsehen das Ende von Antonionis berühmtem Film »L’Eclisse« von 1962, in dem hässliche Hochhausviertel und überdimensionierte Satellitenstädte das Gefühlsleben der Menschen mächtig stören.

Utopien von Architekten und Städteplanern haben sich weder in den 60er noch in den 90er Jahren verwirklicht: Clemens von Wedemeyers Film »Silberhöhe« (2003) handelt im weiteren Verlauf von leerstehenden Plattenbauten, menschenleeren Häuserfluchten, verlassenen Parkplätzen, einem trostlosen Kraftwerk, dessen riesige Stromleitungen ähnlich laut sind wie der Wind in den Brachlandgewächsen. Der Bagger ist mit Graffiti besprüht, die halb abgerissenen Wohnzellen legen ihre Wunden offen und das Donnern der Explosion kündet von weiteren Abbruchmaßnahmen. Der Film läuft als Loop; in Silberhöhe, der Großwohnsiedlung in Halle, wo kurz vor der Wende über 40.000 Menschen gelebt haben, gibt es für von Wedemeyer »eigentlich keine Geschichten mehr zu erzählen«.

Das Werk des in Berlin lebenden, 31-jährigen Künstlers wird in seiner ersten großen Einzelausstellung im Kölnischen Kunstverein ausschließlich mit Filmen dokumentiert. Sie sind in 35-mm, 16-mm oder auf Video gedreht, mal sind es aufwändige Produktionen, die mit einem riesigen Stab an Profi-Schauspielern und Technikern umgesetzt wurden, mal dokumentarische Essays. Sie erzählen wahre und fiktive Geschichten, und die Entstehung derselben (»Making Ofs«) gibt es als Zugabe.

Die Technik ist nicht enscheidend

Von Wedemeyers Konzentration auf das bewegte Bild ist bemerkenswert, weil er nicht an einer Filmhochschule, sondern an einer Kunstakademie studiert hat, zuletzt in Leipzig, die man derzeit in erster Linie mit der so hochgehandelten Malerschule in Verbindung bringt. Welche Technik im Kunststudium vermittelt werde, sei nicht entscheidend, meint der zurückhaltende Künstler und Filmtheoretiker, dessen Arbeiten sowohl auf Filmfestivals, im Fernsehen wie im Ausstellungskontext gezeigt werden. Er habe in der Klasse der Fotokünstlerin Astrid Klein nicht das Filmemachen, wohl aber die Analyse des »außerhalb« der Hochschule Produzierten gelernt, sagt Wedemeyer im Gespräch.

Tief im Westen, in Köln und im New Yorker PS 1, der Dependance für Gegenwartskunst des Museum of Modern Art, wo Clemens von Wedemeyer derzeit ebenfalls einen Solo-Auftritt hat, könnte man seine Themen als spezifisch osteuropäische deuten. Doch im Zeitalter der Globalisierung sind solch geografische Zuordnungen obsolet geworden, allenfalls hat der Zusammenbruch der realsozialistischen Staatsysteme den Paradigmenwechsel innerhalb der Gesellschaften offen gelegt. Schrumpfende Städte beispielsweise gibt es nicht nur in Ostdeutschland, Russland und dem Baltikum, sondern auch in England, Italien, Finnland und in den USA.

Filmische Versuchsanordnung mit ausreisewilligen Russen

Wohin das führt? In »Otjesd« (»Weggang«, 2005) geht es um Migration. Angeregt und recherchiert wurde der Film in Moskau, wo von Wedemeyer ausreisewillige Russen vor dem deutschen Konsulat beobachtet hat. Wie eine filmische Versuchsanordnung stellt er eine solche Szene mit russischen Immigranten in einem winterlichen Waldstück in Berlin nach – in einer einzigen, 15 Minuten währenden Kamerafahrt. Der Film, in dem Realität und Fiktion in eigenwilliger Weise aufeinander treffen, erinnert nicht nur in seiner surrealen Beleuchtung an einen Traum: Protagonistin ist eine junge Frau in pinkfarbener Jacke, die mit ihrer zu großen Tasche an verschiedenen behördlichen Sperren abgewiesen wird. Sie muss ihre Tasche – Hab und Gut und Identität –, zurücklassen, um ausreisen zu können. Die Hilflosigkeit angesichts einer undurchschaubaren Bürokratie, das Gefühl von Desorientierung und Verwirrung überträgt sich auf den Zuschauer, auch weil man den fremdsprachigen Dialogen der Wartenden und Beamten nicht folgen kann.

Von Wedemeyers Strategie, »die Dinge aufzulösen und neu zusammen zu setzen, um sie klarer werden zu lassen«, führt zu Fragestellungen, die weit über das Gezeigte hinausgehen. Was passiert, wenn unser Land irgendwann kein Ort mehr ist, an dem es sich zu leben lohnt? Die fiktiven Niemandsländer des Clemens von Wedemeyer erzeugen eine leise Ahnung davon, wie man sich fühlt, wenn sich die Koordinaten verschieben.


Kölnischer Kunstverein in der Brücke, Hahnenstr. 6, Di-So 13-19 Uhr, bis 7.5.