Szenen des Selbstverrats

Das deutsche Kino kommt subtil: Die beiden Filme verfolgen kühl die Selbstdemontage ihrer jungen Protagonisten

Mit »Milchwald«, einer viel gelobten freien Reflexion des Gebrüder-Grimm-Märchens »Hänsel und Gretel«, sind sie zum ersten Mal als Regisseur-Autor-Gespann aufgefallen. Mit den nachfolgenden Regiearbeiten »Schläfer« und »Falscher Bekenner« konnten sich die beiden Absolventen der Filmhochschule München auf Anhieb in der prestigeträchtigen Cannes-Nebenreihe »Un Certain Regard« platzieren. Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg gehören seitdem zu den größten Hoffnungen des jungen deutschen Films, beide Filme wurden nach Frankreich und sogar in die USA verkauft. Umso mehr erstaunt es, dass die Redaktion des »Kleinen Fernsehspiels« im ZDF die Finanzierung von »Falscher Bekenner« ablehnte. Entstehen konnte der Film nur dank eines Bankkredits und weil viele der Beteiligten ihre Gage zurückstellten. Das minimale Budget hat ihm nicht geschadet, eher noch die Aufmerksamkeit fürs Wesentliche geschärft.

Rennwagen im Kinderzimmer

Diffus ist das Licht, die Leinwand ungewohnt verdunkelt. Eine Nachtgestalt irgendwo auf einer kaum befahrenen Straße, ein dampfendes Autowrack samt blutverschmierter Leiche an der Leitplanke. Ein junger Mann nähert sich, betrachtet das unwirkliche Szenario mit zurückhaltender Neugier und nimmt ein Motorteil mit. Warum, werden wir nie erfahren. Dass die Brüchigkeit des Lebens, die Extremsituation des Unfalltods, eine Faszination auf ihn ausübt, davon zeugt einige Szenen später die Einrichtung seines Kinderzimmers, das längst keines mehr ist. Bilder von muskulösen, sexuell aufgeladenen Körpern, Explosionen und Rennwagen an den Wänden begrenzen den Blick des arbeitslosen Jugendlichen – mehr Einsichten verrät der Raum seiner Privatheit nicht.
Der von Constantin von Jascheroff mit aufreizender Ambivalenz und Nuanciertheit verkörperte Teenager Arnim ist ein Meister der Verstellung. Vor seinen kleinbürgerlichen Eltern mimt er den gehorsamen Sohn, absolviert widerspruchslos Bewerbungsgespräche, erledigt Einkäufe. Dann schleicht er sich nachts auf Autobahntoiletten und hat anonymen Schwulensex, oder träumt er nur davon? Was Realität und was Wunschdenken ist, entzieht sich der Eindeutigkeit, bis auf die Bekennerbriefe, die er aus Langeweile, Geltungsdrang oder schlicht Nervenkitzel zu schreiben beginnt. Hier ergreift er endlich die Initiative, die ihm bei der Bewältigung seines Erwachsenenlebens abhanden geht. Der Schritt von der Selbstbezichtigung zum Selbstverrat ist erschreckend klein, eine Laune oder Demütigung reichen aus, um abstruse Gedankenimpulse in die Tat umzusetzen. Bald spielt Arnim tatsächlich Schicksal und nimmt den Tod anderer so lange in Kauf, bis er von außen Grenzen gesetzt bekommt. Ein Abwesender im eigenen Leben, ein entfernter Verwandter von Camus’ »Der Fremde«, der scheinbar grundlos zum Mörder wird, oder hat er das alles nur imaginiert?

Gewissenskonflikt im Detail

Hochhäusler inszeniert seine irritierende Psychostudie mit Auslassungen, Andeutungen und einem Gespür für absurde Alltagssituationen. Hinter jeder Harmlosigkeit verbirgt er ähnlich wie Michael Haneke eine bedrohliche Fallhöhe. Ob im Kreis der Familie, in privaten oder beruflichen Bewährungssituationen lässt er seinen Protagonisten mit seiner Verweigerungsstrategie auflaufen und letztlich an sich selbst scheitern.
Nicht minder subtil, wenn auch in einem gänzlich anderen Milieu, nutzt Benjamin Heisenberg das Phänomen kollektiver Paranoia nach dem 11. September, um Fragen nach Verrat und Schuld aufzuwerfen. Ein junger Biologe gerät beim Antritt einer Unistelle in Konkurrenz mit einem aus Algerien stammenden Wissenschaftler, den der deutsche Verfassungsschutz für einen Schläfer hält. Als eine Frau ins Spiel kommt, die jeder der Männer für sich beansprucht, droht nicht nur ihre Freundschaft zu zerbrechen, sondern auch die Selbstachtung des Deutschen, der unter der Verlockung, den Rivalen loswerden zu können, zum Spitzel und Denunzianten mutiert. Den Gewissenskonflikt seines Helden spielt Heisenberg bis ins letzte Detail aus. Im Gegensatz zu Hochhäusler meidet er das Ungefähre. Nicht zuletzt dank des sparsamen, aber überaus stimmungsvollen Musikeinsatzes findet er einen betörenden Rhythmus und eine intime Bildsprache, die einem bis zum Schluss den Atem raubt. Das bestgespielte und reifste Debüt des letzten Jahres.

Schläfer, D 05, R: Benjamin Heisenberg, D: Bastian Trost, Mehdi Nebbou, Loretta Pflaum, 100 Min. Start: 11.5.
Falscher Bekenner, D 05, R: Christoph Hochhäusler, D: Constantin von Jascheroff, Victoria Trauttmansdorff, Manfred Zapatka, Devid Striesow, 94 Min. Start: 18.5.