Personen ohne Ort

Der Dramatiker Jon Fosse gilt als Deutschlands beliebtester Norweger, dabei schreibt er sehr finstere Stücke

Als vor sechs Jahren Jon Fosses Stück »Der Name« bei den Salzburger Festspielen herauskam, löste das einen Boom sondergleichen aus. Wie Ertrinkende stürzten sich die deutschen Bühnen auf den norwegischen Autor. Allein das Bochumer Schauspielhaus unter Matthias Hartmanns Intendanz stellte drei Dramen in deutscher Erstaufführungen vor.

Wer sich mit Jon Fosse beschäftigt, macht allerdings eine merkwürdige Erfahrung. Bei kaum einem Autor klaffen Lesen und Sehen eines Stücks so sehr auseinander. Bei der Lektüre scheinen seine Figuren sich fast somnambul durch die Wirklichkeit zu bewegen. Zwanghaft beschwören sie ihr Zusammensein, offenbar aus der schieren Angst vor dem Alleinsein.

Auf der Bühne kehrt sich der Eindruck um. Da entpuppen sich die Geschichten plötzlich als alltagssatte Dramen, so simpel und einfach, wie sie das Leben eben so schreibt. In »Die Nacht singt ihre Lieder«, das Ende Mai in der Regie von Olaf Altmann am Kölner Schauspiel aufgeführt wird, lebt ein junges Paar mit ihrem gemeinsamen Kind zusammen. Die Schwiegereltern kommen zu Besuch, das Paar streitet sich. Die Frau wirft ihrem Freund vor, erfolglos Romane zu schreiben und sich immer mehr abzukapseln. Um ihm genau dies zu beweisen, geht sie ohne ihn aus. Nach ihrer Rückkehr kommt es wieder zum Streit. Es stellt sich heraus, dass die Frau nicht wie behauptet mit ihrer Freundin, sondern mit ihrem Lover unterwegs war. Als sie schließlich aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen will, kommt ihr Freund ihr zuvor und erschießt sich. Eigentlich eine völlig beiläufige Geschichte mit allerdings katastrophalem Ende.

Persönlichkeit nicht erwünscht

Was diese Figuren so real und unnahbar zugleich macht, ist, dass sie sozial sind ohne gesellschaftliche Realität. Oder wie Jon Fosse es formuliert hat: »Ich schreibe Bilder dessen, was zwischen Menschen vorgeht, auf einer Ebene, die mit sozialer Dynamik zu tun hat, sie aber nicht verortet.«

Seine Figuren lassen sich zwar einer diffusen Mittelschicht zuordnen, doch sie haben weder Namen noch Beruf, und sie ringen auch nicht um Geld, Status oder Macht. Was Fosse interessiert, könnte man die kleinste Einheit des Sozialen nennen: das, was unmittelbar zwischen (zwei) Menschen passiert. Das Stück »Winter« beschreibt in vier Akten die Annäherungen eines Mannes und einer Frau. Beziehungsellipsen ohne Beziehungsdrama. Indem Fosse den beiden mit der Benennung Mann/ Frau alles Individuelle und Private verweigert, scheint die Begegnung von einer Art geheimnisvollem, allgemeingültigem Sinn durchdrungen. »Vielleicht hat es etwas mit einer bescheidenen Ahnung von Religiosität zu tun. Das Leben ist größer als unsere Vorstellung davon«, sagt Fosse. Genau darin liegt sein aktueller Erfolg: dass er das Soziale mit transzendentem Sinn auflädt.

Das macht den Boom im durchsäkularisierten Deutschland verständlich, auch wenn er ziemlich spät kam. Denn der heute 47-Jährige war 2000 längst keine Entdeckung mehr. Schon als Gymnasiast hatte er zu schreiben begonnen. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaft und veröffentlichte mit zwanzig seinen ersten Roman. Weil er Geld brauchte, übersetzte er Lars Norén, David Harrower, Botho Strauß und Thomas Bernhard ins Norwegische. Inzwischen umfasst sein Ouevre mehr als vierzig Bände, darunter Romane, Gedichte, Essays, Theaterstücke. Fosse hat zahlreiche Preise erhalten.

»Und Du hast Spaß gehabt«

Natürlich wird der Vergleich zu seinem Landsmann Ibsen immer wieder gezogen. Nimmt man sein bisher bestes Stück, »Traum im Herbst«, oder die Novelle »Das ist Alise«, wo eine Familien- bzw. eine Liebesgeschichte in einen Maelstrom aus Vergangenheit und Gegenwart geraten, scheint das berechtigt. Doch Jon Fosse ist kein Dramatiker des großstädtischen Bürgtums. Seinen Stücken ist die Provinz als Landschaft eingeschrieben. Kaum ein Stück, in dem nicht ein Fjord oder Holzhaus vorkommt.

Auch Fosses Sprache lebt von einer höchst künstlichen Verdichtung, die sogar die Interpunktion ausspart. In Hinrich Schmidt-Henkels Übersetzung von »Die Nacht singt ihre Lieder« klingt das so: »Frau: Also bist du im Bett gewesen. Mann: Ja. Und du hast Spaß gehabt. Frau: Ja schon. Mann: Du hast deine Freundin getroffen ja ich meine. Die Frau: Ja Marte ja. Mann: Aber es ist spät geworden. Frau: Du hast gewartet. Mann: Ja wo bist du bloß gewesen. Frau: Ja Nein fang bloß nicht wieder so an.«

Fosses Sprache kommt ohne Metaphern aus. Seine Dialoge sind abgemagert bis auf die Knochen, einfachste Sätze, manchmal bloß Worte. In der Novelle »Das ist Alise« heißt es einmal: »Große Worte verfälschten und verbargen nur, fand er, sie ließen das, was war, nicht sein und leben«.

Eine skelettierte Sprache, die allerdings mit Hilfe einer Vielzahl von Pausen und Textschleifen stark musikalisiert ist. Mit dieser Sprachmusik singt der realistische Mystiker Jon Fosse, der angeblich beim Schreiben gerne Musik von Bach hört, den Lobpreis auf das unbestimmbare Geheimnis menschlicher Beziehungen. Oder wie er selbst in einem Interview sagt: »Was ich mir wünsche, ist, dass mein Text ist, nicht bedeutet.«

»Die Nacht singt ihre Lieder«
von Jon Fosse. R: Olaf Altmann,
25. (P), 26.5. Schlosserei, 20 Uhr.
Weitere Termine im Juni.