Hallo, alte Tante Wohlfahrtsstaat!

Ist Peter Licht nur eine Ausbeulung der Popkultur, das bestgehütete Geheimnis

des deutschen Indie-Pop oder der charmanteste Kapitalismuskritiker seit Goucho Marx?

»Ihr könnt euch nicht verfehlen«, hat der Ansprechpartner von der Plattenfirma mir noch mit auf den Weg gegeben. Gemeint hat er natürlich: In den Laden geht niemand unter 60 und erst recht kein Mensch, der sich auch nur im Ansatz für die aktuellen Ausbeulungen der Popkultur interessiert. Peter Licht geht trotzdem hin. Wenn er mal in der Nähe ist. Heute ist er in der Nähe, verspätet sich allerdings ein wenig. Somit habe ich Zeit, das Café Wahlen am Hohenzollernring auf mich wirken zu lassen. Ein Parallel-Universum, in dem der Bohnenkaffee noch »von Hand gemacht wird«. Wie man mir versichert.

Für Kölner Gastronomieverhältnisse ist der Raum gigantisch groß, gigantisch bürgerlich und nur mäßig ausgeleuchtet. Von vorn und von einer Seite fällt ein wenig Tageslicht rein. Der Halbschatten lädt zum Tagtraum ein. Vor allem die Beschallung: Keine Musik! Kein elektronischer Tranquilizer, keine Best-Of-80s-CD, kein Jazz, keine Klassik. Stattdessen ein fein abgestimmter Mix aus dem Klappern vorsichtig abgestellter Kaffeetassen, über das Porzellan kratzender Kuchengabeln und dezenter Stimmen. Stimmen von Menschen, deren Renten noch deutlich über dem Sozialhilfesatz liegen.

»Hallo Sozialkönig! Dies ist der Tag,
an dem es ans Sterben geht. Hallo
alte Tante Wohlfahrtsstaat! Dies ist
der Tag, an dem du zur Hölle fährst.«


Zeilen aus »Hallo« von Lichts aktuellem Album »12 Lieder vom Ende des Kapitalismus«. Ein Song nahezu ohne perkussive Elemente, getragen von einer Akustik-Gitarre, von Echos, Hall, Schwermut. Ein Song, der mit wenigen, plakativen Sätzen Abschied nimmt: vom deutschen Sozialstaat, der die Menschen ein halbes Jahrhundert abgesichert hat gegen Lebensrisiken wie Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit.

Als ich meine Augen wieder aufmache, steht er vor mir: Schmaler Körper, schmales Gesicht. Blond. Brille. So um die 30. Das als Bildbeschreibung – denn fotografieren lässt er sich nicht. Er gibt auch keine biografischen Details preis. Für die Öffentlichkeit ist Peter Licht der Musiker (bzw. Autor) Peter Licht. Für die allermeisten vor allem der Typ, der »Sonnendeck« geschrieben hat. Ein lässiges Elektro-Pop-Kleinod, das sich Anfang des Jahrtausends von der Indie-Hymne zum Fast-schon-Mainstream-Hit gemausert hat. Und dessen Video auf MTVIVA dauer-rotierte, auch wenn nicht mehr als ein Bürostuhl zu sehen war. Filmen lässt sich Peter Licht natürlich auch nicht.

Wegen »Sonnendeck« hat ihm 2001 eine große Plattenfirma ein Debüt-Album spendiert. In der Hoffnung, einen Künstler unter Vertrag zu nehmen, der zum Neue-Neue-Deutsche-Welle-Held taugt. Hat nicht geklappt. Was nicht wirklich verwundert, hört man sich die sperrig-leisen Song-Miniaturen des Debüt-Albums »14 Lieder« an. Auch das Nachfolge-Album »Stratosphärenlieder« (2003) ist konsequent am Massenpublikum vorbeiproduziert: zu fragil, zu lakonisch, zu skurril.

»Wer sich schneller entspannt ist
besser als jemand der sich nicht
so schnell entspannt der aber immer
noch besser ist als jemand der
sich überhaupt nicht entspannt
und eigentlich ja schon tot ist...«
(»Wettentspannen«)


Das neue Album klingt anders. Unentspannter – vor allem aber: organischer, durcharrangierter, pathetischer. Auch poppiger, rockiger, housiger. Die Form folgt der Funktion: »Ich packe auf der Platte so große Themen an, da wollte ich auch für die Musik die maximale Größe.« Schließlich geht es um nicht weniger als »Das absolute Glück« und um »unsere Zeit«. Vor allem aber geht es um den schon im Albumtitel beschworenen Kapitalismus. Nicht dass Peter Licht tatsächlich als postmoderner Protestsänger antritt, um mittels Agit-Pop die sozialen Verhältnisse im Zeichen von Turbokapitalismus und Globalisierung zu brandmarken. Es geht ihm darum nachzuspüren, wie unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, wie das Tauschgesetz das komplette Leben durchdringt: Liebe, Kindererziehung, Sex –
gibst du mir was hiervon, gebe ich dir was davon. Lass uns einen Deal machen. Im melancholisch gefärbten Titelsong beschreibt er die Zeit nach dem Ende aller Deals:

»Weißt du noch wir fuhren mit
dem Sonnenwagen über das Firmament.
Und wir pflückten das Zeug aus
den Regalen aus den Läden und wir
waren komplett. Weißt du noch wir
regelten unsre Dinge übers Geld.«
(»Das Lied vom Ende des Kapitalismus«)


Statt kämpferischer Parolen serviert Peter Licht Wortketten, die das Politische im Alltäglichen beschreiben, das Absurde im Konkreten und dabei gänzlich ironiefrei bleiben. »Ich meine das alles todernst«, beschwört er mich. Auf die Frage, ob er unter den Verhältnisse leidet, antwortet er nach kurzem Zögern: »Ja, natürlich.«

»Dann werden wir eben siegen.
Wir werden siegen. Wir werden
siegen. Wir werden siegen.«
(»Wir werden siegen«)


Die Songtexte des neuen Albums wie die meisten der beiden älteren Platten befinden sich auch in einem Taschenbuch von Peter Licht. Zusammen mit Zeichnungen, Gedichten, kurzen Geschichten, Tagebucheintragungen. Nicht alles, was man da im Einzelnen lesen kann, ist große Literatur. Zusammen aber bietet es einen sehr persönlichen Blick auf eine Welt, deren sozialer und kultureller Zusammenhalt außer Kraft gesetzt zu seinen scheint. Darüber hinaus haben die renommierten Münchner Kammerspiele basierend auf der Musik und den Texten der aktuellen Platte eine Art musikalische Revue inszeniert, die bereits im Februar Premiere hatte. Das ist dann wieder das Schöne am Kapitalismus: Er hindert einen nicht dran, die Kritik an ihm mehrfach zu verwerten.

Tonträger: Peter Licht, »Lieder vom Ende des Kapitalismus« (Motor Music).

Buch: Peter Licht, »Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus«, Bluembar Verlag, München 2006,
120 Seiten, 14 € .