Geld setzen, Kaffee trinken, Kette rauchen

In Köln boomen die Wettbüros – trotz des kritischen Gerichts­urteils aus Karlsruhe. Doch was

passiert Samstag für Samstag in den unzähligen Läden in Ehrenfeld, Nippes und am Eigelstein?

Ein Selbstversuch von Martin Klein.

Samstag, 14:20 Uhr. AC89 ist die Nummer des Spiels, das über alles entscheiden soll: über den Abstieg des 1. FC Köln und über meine Abendgestaltung. Dass ich auf Köln setze, ist absurd. Wahrscheinlich meine irrationalste Entscheidung seit Tagen, aber ich kann nicht anders. Sportwetten folgen nur selten rationalen Erwägungen. Denn die Quoten sind umso höher, je unwahrscheinlicher der Tipp ist. Ein Kölner Sieg gegen Frankfurt multipliziert meinen Einsatz mit 2,60. Gewissermaßen als »Bank« setze ich noch auf einen Erfolg der Bayern beim MSV Duisburg. Denn dass die Zebras siegen, halte ich für ausgeschlossen, und lasse mich auch von der sagenhaften Quote von 9,0 nicht locken. Der notorische Bayern-Sieg wird auch von den Buchmachern erwartet und nur mit einer lausigen Quote von 1,40 bewertet. Weil mir das zu wenig ist, entscheide ich mich für eine Wette mit Handicap: Gewinnt Bayern mit zwei Toren Differenz, dann gibt’s so immerhin eine Quote von 2,10. Multipliziert man diese Quote mit der Kölner Quote, also 2,10 x 2,60, dann bekomme ich für meine zehn Euro Einsatz 54,60 Euro! Das reicht für ein Candle Light Dinner mit mir allein.

Ich habe mich in ein Wettbüro begeben, um im Selbstversuch eine fremde Welt gleich um die Ecke kennenzulernen. Immer mehr solcher Lokale haben in letzter Zeit aufgemacht – Köln sei ein sehr gutes Pflaster für Wettbüros, sagt Michael Friedrich, der es wissen muss, denn er hat eins. Am Eigelstein, wo sich gleich ein halbes Dutzend Wettbüros tummeln. Oder besser: Wettvermittlungen, wie es korrekt heißt, wenn im Mittelpunkt die Fußballwetten stehen. Wettbüros dürfen nur dann Wettbüros heißen, wenn sie sich auf Pferdewetten konzentrieren. Die meisten Fußballwetten werden ins Ausland vermittelt, weil sie hier verboten sind. Es sei denn, man besitzt eine staatliche Lizenz und damit eine Monopolstellung so wie Oddset, oder man arbeitet wie Betandwin noch mit alten DDR-Lizenzen. Sportwetten sind in jeder Hinsicht eine komplexe und komplizierte Angelegenheit, daran ändert auch der aktuelle Spruch des Bundesverfassungsgerichts wenig. In Karlsruhe wurde entschieden, dass der Gesetzgeber spätestens bis zum 31. Dezember 2007 den Bereich der Sportwetten neu zu regeln hat. Dieser könne dabei entweder am staatlichen Wettmonopol festhalten, wenn er dieses konsequent am Ziel der Bekämpfung von Wettsucht ausrichtet, oder er müsse den Sportwettenmarkt libe­ralisieren. Während der Übergangszeit dürfe aber die Veranstaltung von Sportwetten durch private Anbieter weiterhin verboten und unterbunden werden.

14:51 Uhr. Nach Abgabe des Wettscheins neh­me ich an einem der mit Taschenrechnern und Kugelschreibern ausgestatteten Tische Platz und verfolge die Live-Übertragungen aus den Stadien. Dass gerade der Eigelstein in Köln eine erste Adresse für Sportwetten ist, lässt sich mit dem Publikum erklären: Hier wohnen seit Jahrzehnten viele Einwanderer, die aus Ländern kommen, in denen das Spielen um Geld immer schon beliebt war. So entsteht Samstag für Samstag in den Wettbüros Jugoslawien neu, wenn sich Serben, Kroaten, Bosnier, Slowenen versammeln und gebannt auf den Monitoren die Spiele verfolgen. Auch Türken, Italiener und Griechen sind da, auch Deutsche, aber als Minderheit. »Deutsche verbringen in der Regel ihr Wochenende mit der Familie«, weiß Friedrich, der sich seit zwanzig Jahren mit Wetten befasst. Eine bewusst vorsichtige Umschreibung, da sich die Buchmacher in Deutschland in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Friedrich vermittelt seine Wetten an die International Betting Association, die ihren Sitz auf Gibraltar hat. Wie es nach dem Karlsruher Urteil weitergeht, weiß er nicht. »Gut möglich, dass die Ordnungsämter die Wettlokale jetzt zumachen«, interpretiert er den Spruch des Bundesverfassungsgerichts.

15:32 Uhr. Irgendwo ist bereits nach 120 Sekunden ein Tor gefallen. In Köln – 1:0 für den 1. FC! Es läuft ganz hervorragend für mich und ich hätte jetzt gerne ein Bier, aber es gibt keins. In den Getränkeautomaten gibt’s ausschließlich alkoholfreie Getränke, und so wird Kaffee getrunken und Kette geraucht. Mein junger türkischstämmiger Tischnachbar trinkt bereits die dritte Cola und wirkt hochkonzentriert. Als richtiger Draufsteller, so heißen die Wetter in der Szene, würde er niemals eine Wette bei Oddset platzieren, die Quoten seien ja lächerlich. Weil Oddset einen Teil der Gewinne abführen muss für ge­meinnützige Zwecke, beispielsweise um den Breitensport zu fördern. Dieses Engagement aber rechtfertige noch kein staatliches Monopol, urteilten die Verfassungsrichter. Auch bei privaten Anbietern könnten schließlich Gewinne abgeschöpft werden.

15:46 Uhr. Frankfurt hat in Köln ausgeglichen. Wenig später verwandelt Duisburg einen Elfer gegen die Bayern und geht in Führung, dann wird noch eine Rote Karte gegen meinen FC gezückt. Es sieht ganz düs­ter aus, für den FC und für mein Abend­essen. Doch noch kann ich wenigstens in eigener Sache Schadensbegrenzung betreiben: Nach der Halbzeitpause werde ich mit frischem Geld bei den Live-Wetten einsteigen. Bin ich schon suchtgefährdet? Spannender ist die Frage, wie der Gesetzgeber es künftig schaffen will, wie von den Richtern gefordert, die Gefährdung durch Spielsucht zu bekämpfen, während er sie gleichzeitig bedient. Vielleicht mit Warnhinweisen auf den Spielscheinen: »Zocken kann Nerven und Vermögen ruinieren«?

16:30 Uhr. Anpfiff zur zweiten Halbzeit, es wird wieder voll im Wettbüro. Der Fall Hoyzer war ein Glücksfall für die Branche: Die Wettskandale haben viele eher neugierig gemacht auf eine Welt, in der sich offensichtlich schnell viel Geld machen lässt. Der durchschnittliche Wetter verfolgt das Ziel, aus fünf Euro Einsatz 1000 zu machen. Der Gewinn ist pro Schein auf 25.000 Euro begrenzt, ein- und ausgezahlt wird bar. Je näher der Abpfiff rückt, desto hektischer wird mit Spiel- und Geldscheinen zu den Kassen gehetzt. Und wem auch das nicht zu plötzlichem Reichtum verhilft, dem bleiben immer noch die Hundewetten in Wathamstow.

17:01 Uhr. Ich habe zwischenzeitlich noch Geld auf Schalke gesetzt, doch kaum wende ich der Kasse den Rücken zu, kassieren die Königsblauen den Ausgleich. So gehe ich nicht nach Hause! Inzwischen führen die Bay­ern 2:1 an der Wedau, setze ich doch da noch mal ein rosa Scheinchen ein. Ich empfinde Ekel, nun alle Hoffnungen auf Magaths Truppe ruhen zu sehen.

17:15 Uhr. Abpfiff. Bayerns dritter Treffer beschert mir einen Gewinn von 13 Euro. Bei dreißig Euro Einsatz insgesamt. Wenigstens nicht auf ganzer Linie verloren. Mein Tischnachbar hat die vierte Cola ausgetrunken, sortiert noch immer konzentriert seine Tippscheine und murmelt dann leise: »Ich hab’ mich gefickt, ich hab’ mich wieder voll gefickt.« Er meint das nicht böse, er hält das einfach ganz wertfrei für sich fest.

Ob ich noch einmal einen Samstag in einem Wettbüro verbringen werde? Es liegt nicht allein in meiner Hand. »Wir warten nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Entscheidung des Landes ab, damit es in Nordrhein-Westfalen zu einer einheitlichen Regelung kommt«, sagt Robert Kilp, Leiter des Kölner Ordnungsamts. Das kann bedeuten, dass ich mein Geld demnächst wieder anders vernichten muss. 

TIPP
Mit Wettbüros und anderen Haupt- und Nebensachen des Fußballs in Köln beschäftigt sich ein soeben erschienenes Buch des Autors:
Martin Klein: Köln. Wo Fußball gelebt wird.
Emons Verlag, Köln 2006, 160 S., 7,80 €.