Splitter vom Bewusstsein Gottes

Hans-Dieter Rieveler hat in der Mülheimer Stadthalle die Esoterik-Tage besucht – eine Gratwanderung zwischen Übersinnlichkeit und Konkurrenz

 

Wer eine Sternschnuppe am Himmel erspäht, hat einen Wunsch frei. Doch leider zeigen sich die Glücksbringer nur selten und meist nur für eine Sekunde. Wer auf Nummer sicher gehen will, geht zu den »Esoterik-Tagen«, die zweimal jährlich in Köln stattfinden. Ein bunter Markt mit übersinnlichen Angeboten – achtzig Aussteller und über hundert Vorträge – präsentiert sich an diesem Märzwochenende im leicht schäbigen Ambiente der Mülheimer Stadthalle: Es riecht streng nach Räucherkerzen, man hört das Klimpern von Klangschalen und das Raunen von Wahrsagerinnen hinter Trennwänden.

Die meisten Besucher sind in der zweiten Lebenshälfte, bunte Eso-Klamotten sind kaum zu sehen, Frauen deutlich in der Überzahl. Da dürfte es Marianne Zamani-Kieffer mit ihrer Zielgruppe schwer haben. »Junge Männer fanden nach kurzer Zeit Arbeit, eine nette Frau, eine schöne Wohnung, und kamen von Alkohol, Drogen und anderen Süchten los« wirbt sie auf einem handgeschriebenen Plakat. Eine Wunscherfüllung kostet bei ihr 50 Euro. Heilsteine, Magnete oder Amulette sind günstiger zu haben. Wenn das »keltische Zeremonienkreuz« für 15 Euro wie versprochen »den Geldfluss anregt«, hat sich die Investition schnell amortisiert. In der gleichen Preisklasse gibt es auch besseren Sex und klaren Verstand. Ebenso vielfältig sind die Anwendungsgebiete von Bachblüten- und Lichtwesenessenzen. Neugierige haben die Qual der Wahl: Tarot, Handlesen, Kristallschädel oder doch lieber ein Runen-Orakel? Auch wer wissen möchte, wie es Oma Hilde im Jenseits ergeht oder was Kater Felix uns mit seinem Miauen sagen will, kann es hier erfahren.

Haben Engel Flügel?

Die unerschöpfliche Auswahl spiegelt sich im Vortragsprogramm wider. Heiler, Seher und Medien werben dabei für ihre Produkte und Dienstleistungen: von althergebrachten Heilkünsten wie Schamanismus, »Heilen durch Runen« oder »vedische Astrologie und Karmamanagement« bis hin zu neueren Mixturen wie »Channeling«, d.h. der Mensch wird zum Kanal für »höhere« Energien. Ein aktueller Trend ist nur schwer auszumachen. Da inzwischen angeblich mehr Menschen an die Existenz von Engeln als an Gott glauben, gehe ich erstmal zum Vortrag »Engel sprechen zu dir«.

Ob Engel Flügel haben, wird Ursula Specht gefragt. »Ich weiß, dass sie welche haben, habe sie aber selbst noch nie gesehen«, antwortet die Expertin für Engelkontakte, Reiki, Rutengehen, Kinesiologie und Heilkristalle. »Viele Leute sehen im Dunkeln Lichtpünktchen, das sind die Flügelspitzen.« Jeder Mensch könne Kontakt mit Engeln aufnehmen, ermuntert uns Specht, »wir müssen nur entspannt sein und bereit dafür«. Engel seien »Splitter vom Bewusstsein Gottes. Alles was sie fühlen ist Liebe. Es sind rein geistige – niemals inkarnierte – geschlechtslose Wesen, aber sie zeigen sich uns in weiblicher oder männlicher Energie, weil wir das so kennen.« Die Lichtwesen haben verschiedene Aufgabenbereiche. Die Erzengel etwa seien mit den Stabsstellen für Sonderaufgaben in Unternehmen vergleichbar, erklärt die frühere Unternehmensberaterin. Schutzengel sind da, wenn es brenzlig wird, andere Engel helfen beim Heilen von Krankheiten.

Botschaften aus dem Jenseits wie Zeitungshoroskop

Ähnlich wie die Engel erscheinen uns die Geister der Verstorbenen durchsichtig, außerdem brächten sie Kühle mit, erklärt Marita Lautenschläger, die im mit rund 200 Zuschauern voll besetzten großen Vortragssaal »Das Tor zum Jenseits« öffnet. Zahllose Besucher melden sich zu Wort, um kostenlos Fragen zu ihren Verstorbenen loszuwerden. Eine Frau sagt, sie habe ihren Vater um Verzeihung gebeten und fragt, ob dies im Jenseits angekommen sei. »Ja«, sagt das Medium, »er sagt, sie seien beide Dickköpfe gewesen.« »Das kann nicht sein«, meint die Fragestellerin, »ich war ja noch ein Baby.« Mit Lautenschlägers Erklärung, gerade Babys seien oft Sturköpfe, gibt sie sich zufrieden und bedankt sich artig. Die Botschaften aus dem Jenseits sind in etwa so zutreffend wie ein Zeitungshoroskop: »Du musst lernen, auch mal nein zu sagen« oder »Du solltest mit bestimmten Menschen nicht mehr zusammen sein«. Die Wirbelsäulenbeschwerden eines Besuchers kann sie auf die Schnelle jedoch nicht beseitigen und empfiehlt: »Kommen Sie morgen zu meinem Vortrag zum Thema Heilen«. Kritik kann das sonst so joviale Medium gar nicht ertragen. Als ein Jugendlicher murrend den Saal verlässt, mutmaßt Lautenschläger: »Meine Mitbewerber schicken Leute um zu stören.«

»Jesus war auch ständig auf der Flucht«

Einen souveräneren Eindruck macht der Geistheiler Edmund Hoffmann: »Klatschen Sie nicht! Behalten Sie die positive Energie, ich habe genug davon.« Als er bemerkt, dass jemand »von der Zeitung« mitschreibt, erkundigt er sich, ob er wohl »ein Schmerzensgeld« zu erwarten habe. Das verwundert mich, hat Hoffmann doch seine Popularität letztlich den Medien, vor allem seinen Fernsehauftritten bei »Fliege«, zu verdanken. »Krankheit ist absoluter Müll«, und zuviel Denken sei schlecht, erklärt der Heiler, doch die kosmische Energie meine es gut mit uns. Eine Frau aus dem Publikum heilt er von ihren Kopfschmerzen. Dazu muss sie die Augen schließen und sich fortwährend einreden: »Geist herrscht über Materie ... die absolute ewige Energie heilt ... danke für die Heilung.« Bei einem anderen Vortrag wirbt Hoffmann für seine Umkehrosmosegeräte. Kalk und zahllose andere Stoffe seien oft in viel zu hohen Mengen im Trinkwasser enthalten, behauptet er. Der Körper könne diese nicht verarbeiten und werde krank. »Auch Alzheimer kommt davon.«

Wie ein Star wird der als »einer der bekanntesten Heiler Europas« angekündigte Ewald Janssen bei seinem »Sondervortrag« für zehn Euro extra empfangen. Unentwegt werde seine Branche von Medien, Ärzten und der Kirche kritisiert, klagt er. »Jesus war auch ständig auf der Flucht. Man schlug ihn ans Kreuz, nur weil er mehr konnte als die anderen. Das ist bei uns Heilern dasselbe.« Weil er sich in Deutschland verfolgt fühlt, hat er seine Praxis hinter die niederländischen Grenze verlegt. Jede Woche behandelt Janssen nach eigenen Angaben etwa 250 Patienten, vor Ort und per Telefon, darunter »Krebspatienten am laufenden Meter.« Als immer mehr Besucher sich beschweren, dass sein Vortrag nur aus Rechtfertigungen bestehe, behauptet der Heiler: »Keiner von Ihnen ist krank. Es geht Ihnen gut. Ich will jetzt hier nicht therapieren.« Genau das aber hatten viele offenbar erwartet, der Saal leert sich zusehends, einige fordern ihr Geld zurück. »Es geht wieder nur ums Geld«, sagt Janssen leicht pikiert. Eine Frau gibt beim Hinausgehen den Vorwurf an ihn zurück: »Geld sammeln und sonst nichts!« »In der Zeit hätte ich schon wieder zwei Leute behandeln können«, seufzt der Heiler. Meine Zeit auf der Esoterik-Messe ist damit auch vorbei. Ich warte doch lieber auf eine Sternschnuppe.



Der Kommentar zum Thema steht in der aktuellen StadtRevue - seit dem 27. April im Handel!