Betreten erwünscht

Mit »Under Construction« wagte die European Kunsthalle im März einen 31-tägigen Veranstaltungsmarathon. Eine Bilanz

Baustellen brettern sich schon lange nicht mehr ein. Man lässt sich heute gerne beim Arbeiten zusehen: Der zeitgenössische Bauzaun hat Gucklöcher, Großprojekte schon mal einen aufgestelzten Container mit Panoramablick. Das Kölner Loch, die Baugrube hinter einem Gitter am Neumarkt, war öffentlich sichtbares Versagen einer Stadt, die mit dem Abriss der alten Josef-Haubrich-Kunsthalle schneller war als mit dem Baubeginn eines neuen Museumskomplexes. Die Kunstszene hat dagegengehalten und 2005 die »European Kunsthalle« etabliert, vorläufig als Projekt und Label ohne eigenes Haus.

Seit fast einem Jahr werkelt Gründungsdirektor Nicolaus Schafhausen an einer Machbarkeitsstudie, Vanessa Joan Müller ist Vize-Direktorin vor Ort. Die Kölner Szene, die sich immer noch nicht so recht mit der proklamierten Gründungsphase angefreundet hat und sich vorgestern schon Ausstellungen gewünscht hätte, um gestern Architekturmodelle und Standorte zu sichten, war an 31 Abenden im März zur Begehung einer virtuellen Baustelle eingeladen.

Gespräche ohne Gerüst

Wie eine Blaupause lag das zehnseitige Programm von ›Under Construction‹ aus: »Jetzt gibt es zwar noch kein konkretes Gebäude, dennoch ist die European Kunsthalle bereits »Under Construction«, das heißt im Bau«, formulierte das Duo Schafhausen/Müller. Insofern war die Veranstaltungsreihe »Under Construction« das Versprechen der täglichen, punktgenauen Anlieferung von Baumaterial, aus dem man das Bild einer Kunsthalle immer wieder neu errichten könne. Das Modell sollte sprechend beschworen werden, im Austausch der Pragmatiker, Utopisten, Theoretiker und Forscher. Ortlos fand der Marathon in Etappen an täglich wechselnden Plätzen statt, zu denen neben Kunstinstitutionen auch das Kap Forum, das Cafe Central, Düsseldorfer Kunstorte, die Universität und das Kölner Kulturamt gehörten. So gelang es, tatsächlich neue Zuhörer zu finden, insgesamt kamen mehr als dreitausend.

Doch trotz großer Abende – und der häufig nicht minder aufschlussreichen Flops – hatten auch regelmäßige Besucher das Gefühl, irgendwie außen vor geblieben zu sein. Aus den Gesprächen wurde kein Gerüst. Man weiß jetzt, dass Künstler überwiegend die Ortlosigkeit bevorzugen, eine Struktur, wie sie die immer wieder genannte »Artangel«-Organisation in London bedient, dass Kunsthallendirektoren tendenziell zum festen Haus raten und die meisten Kuratoren am allerliebsten über ihre eigenen Projekte sprechen. Dass sich am kalten Kamin der Disko-Lounge des Crown-Plaza trefflich über Politik streiten lässt (Bart de Baere und Charles Esche) und dass die Diagramme zu den Verflechtungen zwischen Londoner Kunstinstitutionen und Großunternehmungen auch dann nicht zu überzeugenden Argumenten gerinnen, wenn der Kulturtheoretiker Anthony Davies sie auf die Leinwand im Vortragssaal der KHM projiziert. Dass vier Kunstkritiker auf einem Podium durchaus offen Einblick in die Zwänge der täglichen Arbeit und die Konkurrenz innerhalb der Feuilletons Auskunft geben, aber ein rhetorisch geschulter Documenta-Leiter nicht unbedingt zu irgendeinem Punkt finden muss, auch wenn seine Dias eine amüsante Nähe von Museumsshops und Autohändlern in Miami dokumentieren.

Fassaden um ein Loch

Dass die meisten Referenten nur kamen, um wieder abzureisen, ist eines dieser Argumente, die man in der Sprache des Boulevards als »mit den Füßen abstimmen« übersetzt. Ob die Geladenen aus anderen Bundesländern anreisten oder aus dem Ausland eingeflogen wurden – kaum einer wollte länger als einen Nachmittag in Köln bleiben. Allein Barbara Steiner, die Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, interessierte sich für den nachfolgenden Abend mit Irit Rogoff. Das ist, wenn man das an sich ausgezeichnete Programm betrachtet, keine besonders überzeugende Aussage für den Standort. Gleichzeitig gelang es den wechselnden Gesprächsleitern nicht, die einzelnen Statements, Vorträge, Diskussionsergebnisse auch nur ansatzweise zu verknüpfen. Das wäre schon deshalb schwer gewesen, weil außer den Mitarbeiterinnen der European Kunsthalle niemand mehr als die Hälfte der Abende anwesend war.

Diese Unverbundenheit erinnert an die Statementreihe auf der Homepage der European Kunsthalle. Dort formulieren prominente Künstler, Kritiker, Kuratoren »Fragen des Tages« und beantworteten sie auch gleich. Doch argumentiert man um eine leere Mitte, dem Missverständnis folgend, dass die Dokumentation glatt durchlaufender Diskussionsbeiträge irgendwann zum Inhalt eines Austausches würde. Falsch wäre es, das Bild des Potemkinschen Dorfes zu bemühen, es wird ja tatsächlich geschrieben und nachgedacht, doch stellen alle Beteiligten mit großem Fleiß ihre Fassaden und Buden in weitem Kreis um »das Loch« auf. Vielleicht, damit es mitsamt seiner doch schon fast verjährten Ansprüche doch noch verschwindet? Die European Kunsthalle kann sich vorzügliche Arbeit attestieren, ordentliche Organisation, hervorragende Vernetzung und ein kluges Konzept – und sich schon deshalb leisten, weiterhin Abstand zu halten. Während man die halbe Kunstwelt einlädt, sich zum neuen Haus, seiner Lage, Aufgaben und Möglichkeiten zu äußern, wirkt es nicht so, als wolle dort jemals jemand einziehen.

Im kommenden Frühjahr soll die Gründungsphase mit einer Ausstellung abschließen. Dann sollen auch eine Dokumentation der Veranstaltungsreihe und die Studie vorliegen, und hoffentlich findet das Gebäude endlich zu einer Form: Kulturdezernent Georg Quander hat der European Kunsthalle zum Ende von »Under Construction« das Interesse der Stadt an ihrer Konzeption signalisiert. Pünktlich zu Beginn Anfang März war die Baugrube am Neumarkt übrigens mit einer Betonplatte verdeckelt.

Alle Informationen zu Aktivitäten,
Gründungsgeschichte und Das Loch e.V. unter www.das-loch.net und www.eukunsthalle.com