Nazis mochten Naturheilmittel

Wissenschaftlerin kritisiert Kölner Medikamentenhersteller Madaus wegen dessen Forschungen im Dritten Reich

Entgegen der um ein positives Image kämpfenden Pharmaindustrie hat Madaus einen guten Namen, der sich mit dem Begriff Natur zu einem positiven Gleichklang verbindet«, erklärte 1994 das ehemalige Aufsichtsratsmitglied Udo Madaus zum 75-jährigen Firmenjubiläum des Naturarzneimittelherstellers. »Es gibt jedoch Misstöne, die in der Firmenchronik ausgeblendet werden«, meint jetzt Andrea Kamphuis, Redaktionsleiterin des Wissenschaftsmagazins Skeptiker in Anspielung auf Madaus-Forschungen im Dritten Reich.

1943 testete ein Arzt im Konzentrationslager Buchenwald an fünf Häftlingen, denen mit einem Phosphor-Kautschuk-Gemisch Brandwunden beigebracht worden waren, die Wirksamkeit des Arzneimittels Echinacin (Sonnenhut) – angeregt durch erfolreiche Experimente mit Sonnenhutextrakten an Tieren in Laboratorien der Firma Dr. Madaus & Co. in Radebeul bei Dresden. Für die Menschenversuche sei Madaus nicht verantwortlich, so Kamphuis, »aber wenn Firmenmitbegründer Hans Madaus die SS nicht auf die Tierversuche aufmerksam gemacht hätte, hätte es diese Versuche nicht gegeben«.

Im zweiten Fall geht es um das Schweigrohr, eine in Brasilien heimische Pflanze, die einige Indianer einsetzen, um Feinde unfruchtbar zu machen. Gerhard Madaus, ein zweiter Firmengründer, und sein Mitarbeiter Friedrich Koch erprobten Pflanzensäfte aus dem Schweigrohr an Tieren. An diesen Versuchen zeigte sich der Reichsführer SS Heinrich Himmler interessiert, ließen sich doch mit Produkten aus dieser Pflanze eventuell Menschen ohne ihr Wissen sterilisieren. Himmler schrieb im März 1942 an den SS-Obergruppenführer Oswald Pohl, er solle Madaus mitteilen, die Untersuchungen sollten fortgesetzt, aber nicht mehr veröffentlicht werden; und es bestünde auch die Möglichkeit zu Versuchen an verbrecherischen Personen. Im September 1942 berichtete Pohl, er habe sich persönlich davon überzeugt, dass die Angelegenheit vorankomme; er habe auch mit Madaus vereinbart, möglichst bald die Versuche »in unsere Konzentrationslager« zu verlagern. Doch solch eine Vereinbarung bestritt Friedrich Koch im Nürnberger Ärzteprozess. Letztlich war das Vorhaben über Gedankenspiele nicht hinaus gekommen. Denn die tropische Pflanze war in Deutschland schwer zu kultivieren, und weitere Tierversuche, die die SS bei Madaus in Auftrag gegeben hatte, verzögerten sich. »Ob diese Verzögerung durch Sabotage zustande kam, wie Koch im Ärzteprozess behauptete, bleibt allerdings unklar«, meint Kamphuis.

Es gab Kontakte zwischen den Nazis und Madaus. Doch strittig ist, wie aktiv die Firma selbst gewesen ist. Der Madaus-Vorstand sieht zurzeit keinen Anlass, sich mit dieser Vergangenheit zu befassen. Die heutige Madaus AG sei juristisch gesehen nicht zuständig, denn die Firma Dr. Madaus & Co. wurde nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet. Rechtsnachfolgerin war die VEB Arzneimittelwerke Dresden. Den Wiederaufbau in Köln begannen die Brüder Friedemund und Hans Madaus 1947. »Und es hat direkt nach dem Krieg zwei Prozesse gegeben, in denen weder der Firma noch ihren Mitarbeitern eine Mittäterschaft oder eine Mitwisserschaft nachgewiesen werden konnte«, ergänzt Carl Schneider, langjähriger Mitarbeiter der Firma. Da sei zum einen der Nürnberger Ärzteprozess gewesen; zum anderen hatte Madaus in den Jahren 1949 und 1950 am Landgericht Köln gegen die in Köln herausgegebene kommunistische Zeitung Volksstimme geklagt, die – wie jetzt Andrea Kamphuis – behauptet hatte, es gäbe konkrete Vereinbarungen. Im Urteil untersagte das Gericht der Zeitung, entsprechende Vermutungen zu äußern.

Madaus versuchte im Sommer diesen Jahres auf juristischem Wege, das Erscheinen von Andrea Kamphuis’ Artikels »Sonnenhut in Buchenwald« im Skeptiker zu verhindern. »Wir haben überreagiert«, ist heute aus dem Madaus-Vorstand zu hören, doch gegen solch eine Überschrift, die dem Leser eine Mitschuld suggeriert, wollte sich die Firma wehren. Schon Gerüchte über eine Kooperation mit Nazis können ihrem guten Ruf schnell schaden. Doch letztlich blieb Madaus gelassen, stellte keinen Antrag auf einstweilige Verfügung, und der Artikel ist erschienen. Andrea Kamphuis hat sich über die Reaktionen der Firma gewundert: »Ich bin bei meinen Recherchen auf nichts gestoßen, was auf ein juristisch fassbares, schuldhaftes Verhalten von Madaus-Mitarbeitern schließen lässt.« Sie sehe aber ausreichend Gründe, sich mit den damaligen Geschehnissen auseinander zu setzen, und kritisiert, dass die Firma wenig Interesse an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der beiden Projekte zeige.


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