Wie im Film

Es war unvermeidbar, dass der erste Kinofilm, der Ereignisse des 11. September 2001 nachstellt, umstritten sein würde, aber der britische Regisseur Paul Greengrass macht es schwierig, Kritik zu üben. Denn »Flug 93« ist filmisch brillant. Die Beherrschung der formalen Mittel beeindruckt. Seine bereits im Nordirland-Drama »Bloody Sunday« und im Actionthriller »Die Bourne Verschwörung« erprobte Kombination aus beweglicher Handkamera und schnellem Schnitt führt der ehemalige BBC-Dokumentarfilmer zu neuer eleganter Meisterschaft. Die dokumentarische Anmutung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier sorgfältig inszeniert wurde. Flüssig erzählt Greengrass von jenem entführten United-Airlines-Flug, der von den Passagieren zum Absturz gebracht wurde, bevor das Capitol in Washington erreicht werden konnte. Geschickt vermeidet Greengrass, einzelne zu Helden zu stilisieren, auf bekannte Hollywoodgesichter hat er daher auch bewusst verzichtet. Das Andenken an die Toten soll nicht in Klassen geteilt werden. Denn niemand weiß, was genau an Bord von United 93 passiert ist, wer welche Rolle gespielt hat im Widerstand gegen die Hijacker.

Langsame Reaktion am Pranger

Aber gerade diese Qualitäten des Films machen ihn angreifbar: Man wird als Zuschauer so direkt und unmittelbar in das Geschehen hineingeworfen, dass gesicherte Tatsachen, wahrscheinliche Vorfälle und reine Erfindungen sich untrennbar zu einer Erzählung vermischen. Nie gestattet »Flug 93« den Schritt zurück, die Möglichkeit eines analytischeren Zugriffs, einer Reflexion über Fakt und Fiktion.
Gerade sein Realismus macht die Frage nach dem Sinn von »Flug 93« dringlich. In Amerika konzentrierte sich die Diskussion darauf, ob es nicht zu früh sei für einen solchen Film, und ob es moralisch gerechtfertigt sei, mit den Toten Geld zu verdienen – als ob das Nachrichtensender, Zeitungen und diverse Buchautoren nicht schon längst getan hätten. Aber wofür braucht man eine möglichst genaue Nachstellung der Ereignisse? Was kann man daraus lernen? Greengrass spricht in seinem Treatment zum Film nebulös davon, man könne im Film die »DNA unserer Zeit« entdecken. Die Schrifttafeln am Ende von »Flug 93« legen eher nahe, dass es darum geht, die langsamen Reaktionen von Flugsicherheit und Militär anzuprangern. Doch das wirkt wie eine nachgeschobene Begründung. Letztlich bekommt man bei »Flug 93« das etwas mulmige Gefühl, dass die Verfilmung der Geschichte sich aus sich selbst heraus rechtfertigt: Einer der häufigsten Kommentare nach dem 11. September war schließlich, dass die Ereignisse wirkten, als habe sie sich ein Drehbuchautor aus Hollywood ausgedacht.

Flug 93 (United 93) USA 06,
R: Paul Greengrass, D: Lewis Alsamari,
J.J. Johnson, Trish Gates, 111 Min.
Start: 1.6.