Medien jagen Lienen

Der Trainer Ewald Lienen ist manchen Reportern zu arrogant – und dann verliert der FC auch noch

Baustelle Müngersdorfer Stadion, Ende November 2002: Es ist kalt, im Mittelfeldduell der 2. Liga schleppt sich der FC gegen Babelsberg 03 vor 5.000 Zuschauern zu einem öden 1:1...
Schon gut, ist nur eine Vision. Aber eine, die jeden FC-Fan aufheulen lässt. Hören wir gleich wieder auf damit, denn Freunde des 1. FC Köln zu ärgern, ist zur Zeit langweilig. Weil so furchtbar einfach. Doch entbehrt es nicht einer gewissen Komik, dass der FC ausgerechnet im Windschatten des Stadionneubaus und der geplanten Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft sportlich am Krückstock geht. Auch wenn darüber kaum jemand in Köln lachen kann. Schon gar nicht der Trainer. Ewald Lienen zeigte zuletzt wieder jene Verhaltensmuster, die ihm schon bei seinen ersten Trainerstationen in Duisburg und Rostock zum Verhängnis wurden: Er fühlt sich verfolgt. Von Schiedsrichtern, falschen Erwartungen und ... den Medien. Letzteres vielleicht sogar zu Recht.

Spätestens, seit die Kölner Medienvertreter – wie es so ihre ganz spezielle Art ist (Berger, Olsen, Neururer, Köstner lassen grüßen) – den Trainer zum Alleinschuldigen gemacht haben, beklagt sich Lienen: »Mit Kritik kann ich leben, aber was die Presse in den letzten Wochen ganz bewusst für Lügen über mich und die Mannschaft verbreitet hat, ist ganz einfach nicht zu tolerieren.« Tatsächlich taten die Berichterstatter zuletzt alles, um Lienen zu schwächen. Schrieben von »taktischen Fehlern« des Trainers, von »offensichtlichen Ungleichbehandlungen« der Spieler und von »einer kölschen Front im Spielerkreis« gegen Lienen.

Lienen musste damit rechnen, dass ihm beim ersten Misserfolg der mediale Wind ins Gesicht blasen würde. Wie in Duisburg und Rostock hatte er auch Kölner Journalisten zu oft unter die Nase gerieben, was er vom Niveau der deutschen Fußballberichterstattung halte: »Ihr denkt nur ergebnisorientiert«, hatte er den Kommentatoren in seiner manchmal oberlehrerhaften Art vorgeworfen, und: »Euch fehlt das Fachwissen, um meine Arbeit objektiv beurteilen zu können.« Der Streit gipfelte nach der Niederlage in Kaiserslautern, als Lienen Negativkommentare mit einem Interviewboykott gegen Bild, Express, Kölnische Rundschau und Kölner Stadt-Anzeiger konterte.
Sowas nervt, zumal Lienens Arbeit ja keinesfalls fehlerfrei ist. Allein die Neuzugänge der letzten beiden Jahre konnten bis auf wenige Ausnahmen (Kreuz, Balitsch) nicht überzeugen. Die hektischen Spielerwechsel, mit denen er auf die sportliche Krise reagierte, sprachen auch nicht eben für Trainergröße weisweilerscher Couleur. Doch Lienen als »unfähigen Dilettanten« hinzustellen, der »von Menschenführung keinerlei Ahnung hat«, wie von der Presse vor dem Auswärtsspiel in Rostock versucht, das haben selbst die sonst so schnell aufwiegelbaren Fans des FC nicht mitgemacht. Nicht vergessend, dass erst Lienen die Mannschaft aus der 2. Liga zurück ins Oberhaus geführt und endlich jenen unerträglichen »Wir sind was Besseres«-Selbstüberschätzern im Verein das Maul gestopft hat, reagierten sie ganz anders, als erwartet.

Nach der Niederlage in Rostock stimmten die Fans nicht etwa in die Hetze der Presse ein, sondern übten in beeindruckender Manier den Schulterschluss mit dem Trainer. »Geht Lienen, gehen wir auch«, »Lienen – die einzige Hoffnung für den FC«, so und ähnlich prangte es von unzähligen Plakaten im Stadion, als sich samstags drauf der FC Bayern seine Punkte in Müngersdorf abholte. Diese – auch vom Vereinsvorstand unerwartete – Reaktion mag zumindest Lienens damals bevorstehende Entlassung aufgeschoben haben. Aus jenem sprudelte angesichts dieser Unterstützung die Genugtuung: »Das zeigt, wie eng wir hier auch in der Krise alle zusammenstehen.« Der brave Kapitän Dirk Lottner, den einige Pressevertreter zuvor als den Anführer der »kölschen Front gegen Lienen« ausgemacht hatten, stammelte entzückt: »Diese Fans sind unglaublich. Wir müssen jetzt mehr als 100 Prozent geben, um das Vertrauen zurück zu geben.«

Naja, 100 Prozent täten es vielleicht auch. Zumindest würden sich die Fans schon freuen, wenn aus dem Haufen verunsicherter scheinbarer Dilettanten recht bald wieder jene beherzte Mannschaft würde, die von vielen Experten schon voreilig mit der legendären Mönchengladbacher Fohlen-Elf der 70er Jahre verglichen wurden. Ein erneuter Abstieg aber träfe mitten ins Herz des FC. Weil ein zartes Pflänzchen namens »langfristiges Konzept« zerstört würde. Das erste, das nach 15 Jahren Brandrodung auf FC-Boden wieder keimen konnte. Und weil die zweifelsohne talentierte Mannschaft vielleicht nur noch dieses eine Lehrjahr braucht, um danach eine richtig Gute zu werden.