»Kippenberger glaubte nicht an Bescheidenheit«

Gisela Capitain, Kölner Galeristin und Wegbegleiterin Martin Kippenbergers, im Gespräch über Mythos und Wirklichkeit (s.a. Text zu Ausstellung und Film)

StadtRevue: Kippenberger wird bis heute immer wieder für Köln reklamiert: Als d i e Inkarnation der Glanzzeit der Kölner Kunstszene, als d e r Exponent der rheinländischen Bereitschaft zum Exzess. Welches Verhältnis hatte Kippenberger wirklich zu Köln?

Gisela Capitain: Kippenberger kam 1982 im Vorfeld des Umzugs der Galerie Max Hetzler von Stuttgart nach Köln. Max Hetzler hat seine Galerie dann im Herbst 1983 eröffnet, Köln galt damals als ein internationales Zentrum für Gegenwartskunst und den sich immer mehr entwickelnden Kunstmarkt. Kippenberger war sowohl an
der Auseinandersetzung mit der Kunstszene Kölns (die wichtigsten Galerien dafür waren die von Michael Werner, Rudolf Zwirner, Monika Sprüth und Paul Maenz) als auch an der Entwicklung des Marktes interessiert. Wo auch immer er auftauchte, er stand stets sofort im Mittelpunkt des Geschehens, weil er sich ganz einfach überall lauthals einmischte.

Was waren die nächsten Schritte seiner strategischen »Heimatfindung«?

Das Modell, von Michael Werner mit seinen Künstlern erarbeitet, wurde übernommen: Die Künstler formierten sich als Gruppe, und jeder verfolgte auf dieser Basis seine eigene Karriere. Die Auftritte als Gruppe – zusammen mit Werner Büttner, Albert Oehlen, Markus Oehlen, manchmal auch mit Georg Herold, Günther Förg oder Hubert Kiecol – lieferten die Grundlage für seine extreme Präsenz. Kippenbergers Bühne war vor allem das sogenannte Bermudadreieck: die Buchhandlung Walther König – vorrangig! –, die Galerie Michael Werner und das Café Broadway. Hier residierte er, hier hatte er jeden Tag seinen Jour Fixe, hier konnte man ihn erreichen. Relativ frühzeitig erschien der erste Text von Jutta Koether über ihn in der Spex, was bedeutete, das er auch relativ schnell an die Szene rund um die Spex angebunden war. Später kam dann noch das Chelsea als zentrale Anlaufstelle hinzu – mit einem ähnlichen Deal, wie er ihn auch in Berlin in der Paris Bar ausgehandelt hatte: Arbeiten gegen Unterkunft bzw. Essen und Trinken. All das definierte die günstigen Bedingungen für seinen Aufenthalt in Köln.

Wie ehrgeizig war er, neben dem zur Schau gestellten Laissez faire eines dekadent-exzessiven Lebensstils?

Hinter seiner öffentlichen Selbstdarstellung stand das Bemühen um die öffentliche Anerkennung seiner Arbeit. Seine Mittel waren bekanntlich laut und provozierend. Kippenberger glaubte einfach nicht an Bescheidenheit als erfolgreiche Methode im Kunstbetrieb. Umso enttäuschter war er, wenn er sich trotz seiner Eigenwerbung nicht verstanden fühlte. Eine seiner zentralen Arbeiten, die Installation »The Happy End of Franz Kafka’s ›Amerika‹« von 1994, die auch im Zentrum der Düsseldorfer Ausstellung steht, war begleitet von dem Verlangen, international als einflussreicher Künstler respektiert zu werden. Als sich dies nicht sofort abzeichnete, war er sehr deprimiert. Für ihn gab es immer wieder dieses Dilemma seiner gegensätzlichen Haltung: zum einen das sehr konzentrierte, zurückgezogene Arbeiten und zum anderen sein provokantes öffentliches Auftreten.

Der Gedanke des Unabhängigseins bis hin zum Asozialen, das Bedürfnis, sich abzugrenzen, implizieren eine Gesellschaftskritik. Kann man sagen, Kippenberger war ein politischer Mensch?

Politisch im strengeren Sinne, dass er eine dezidiert linke, liberale oder konservative Haltung formuliert hätte – nein. Aber er war natürlich extrem gesellschaftskritisch. Er selbst kam aus einem bürgerlich-konservativen Haus und hatte daher allem »Bürgerlichen« gegenüber eine kritische und ambivalente, aber sicherlich keine konsequente politische Haltung. Die Diskrepanz zwischen dem banalen, täglichen, aber »wahren« Leben und den überhöhten Idealisierungen in der Kunstwelt – dafür hatte er ein besonders gutes Sensorium. Ein Beispiel dafür in seiner Arbeit sind die vielen trivialen Meldungen und Berichte aus der Regenbogenpresse oder dem Express, die er in den frühen 80er Jahren immer wieder mehr oder weniger direkt in seine Bilder einfließen ließ, um das herkömmliche Wertesystem in der Bildenden Kunst zu unterminieren. Es ging ihm auch darum, die Rolle, die der Künstler in der realen Gesellschaft spielt und spielen kann, auszuloten.

Hinter der Person Kippenbergers gibt es ein immenses Werk. Faszinierend ist das lustvolle Spiel mit den Titeln, das die Werke noch einmal einer ironischen Brechung unterzieht. Waren diese Titel und der gesamte Schaffensprozess so spontan und humorig, wie sie erscheinen?

Wohl beides. Es gab eine große schöpferische Spontaneität, dem lagen aber auch die Ergebnisse eines langen reflektierenden Prozesses und eines klaren Durchdenkens und professionellen Vorbereitens zugrunde. Information und Kommunikation sind immer zentrale Themen für Kippenberger gewesen. In seiner Berliner Zeit hat er sich zum Beispiel intensiv mit dem auseinander gesetzt, was in dieser Stadt zwischen den beiden Weltkriegen stattgefunden hat. Dada hat ihn besonders interessiert, Picabia und Tristan Tzara waren für ihn faszinierende Künstlerfiguren. Hier wurzelt auch die Technik der Collage, des sich Überlappens, Kommentierens und Irritierens in seinen Werken. Auch sein Meisterwerk, die »Kafka«-Installation, behandelt im wesentlichen kommunikative Prozesse: Es geht darum, wie man die Welt begreift und sich in ihr behauptet, es geht um die Macht von Kommunikation, um das Werben von Anerkennung. Das Verdrehen, Verschieben und Versetzen von Bild- und Sprachebenen zieht sich durch sein gesamtes Werk. Daraus entwickelten sich für ihn immer wieder neue Herausforderungen, neue Risiken in der Produktion. Denn eines wollte Kippenberger auf keinen Fall: sich mit sich selbst langweilen.