Die Vergangenheit der Zukunft

Das Gesamtwerk von Can liegt geschlossen vor

Wenn einer am Tresen was sagt, was die anderen nur abnicken können – Widerspruch zwecklos –, dann ist das ein Tresennicker. Und vor zehn Jahren ging der so: Can sind die einflussreichste Band aus Köln, ohne sie gäbe es nicht den Electric Sound of Cologne, der weltweit abgefeiert wird.
Der Konsens war beeindruckend, doch er beruhte auf einer falschen Projektion. Tatsächlich kam die Musik aus Köln, die damals Furore machte – von Minimal Techno bis zum Elektronik-Freestyle à la Mouse On Mars –, ohne Bezüge und Verweise auf die 60er und 70er Jahre aus. Dass das Quartett, bestehend aus Holger Czukay, Michael Karoli, Jaki Liebezeit und Irmin Schmidt, vor zehn Jahren noch mal so richtig gehypt wurde (was sympathischerweise die ehemaligen Bandmitglieder nicht zur Reunion motivieren konnte), scheint ein Irrläufer der Popkultur gewesen zu sein.

Keine Hierarchien

Wenn es einen Popzyklus gibt, in dem Can wieder dringend gebraucht werden, dann ist es der aktuelle. Spoon, ihre Plattenfirma, schließt Ende Juni die Wiederveröffentlichung der klanglich auf Hochglanz geputzten Originalalben ab, damit liegt das Gesamtwerk geschlossen vor und gibt den Blick auf ein überwältigendes Panorama frei. Ihre Arbeitsweise – strikt kollektiv, Hierarchien zwischen Lead- und Rhythmusinstrumenten auflösend, keine Strophe/Refrain-Strukturen, stattdessen äußerst verdichtete Tracks – wirkt wie ein Gegengift zu den zahllosen Rockbands, die seit dem bemerkenswerten Debüt der Strokes um den eingängigsten Drei-Akkord-Song wetteifern. Bei all dem Spaß, den man mit den White Stripes, Franz Ferdinand oder den Hives gehabt hat – so einfältig und selbstgefällig wie in den letzten fünf Jahren war Indie- und Underground-Rock schon lange nicht mehr.

Kein Undergroundmainstream

Wer Can-Alben wie »Future Days« (1973) oder »Flow Motion« (1976) hört, entdeckt, dass diese Musik mit jeder Faser anders ist als der heutige Undergroundmainstream. Jeder emotionale Zustand – egal ob Aggressivität oder laszive Verträumtheit – wird von Can durch komplexe Rhythmus-Harmonie-Verstrebungen transportiert. Zwischen 1968 und 1976 ist die Band ihrer Zeit immer einen entscheidenden Schritt voraus. Wo andere in instrumentalen Freakouts nach neuem Bewusstsein suchen, bündeln sie die Dissonanzen zu krummen Rhythmen, die dennoch höllisch abgehen. Schließlich beginnt ein rasanter, zum Glück nur kurzer Niedergang. Es spricht für die Band, dass sie sich recht schnell, um 1980, auflöst.
Wer vor zehn Jahren zu jung war für die kölschen Tresen oder einfach nicht mitnicken wollte, kann jetzt in die Vorgeschichte der noch unbekannten Bands einsteigen, die – mit nur ein wenig Glück – in zwei Jahren mächtig angesagt sein werden.

Tonträger (Empfehlungen):
Delay/1968, Monster Movie, Tago Mago,
Ege Bamyasi, Future Days,
Soon over Babaluma, Flow Motion,
alle: Spoon Records/Warner Music.