Vorsprung durch Terror

Der Realität immer um ein Blutbad voraus: Die neueste Generation von Horrorfilmen ist brutalstmöglich und sehr erfolgreich

Der Horrorfilm hat viele schöne Töchter; sie heißen Splatter, Gore, Slasher ... Namen, die ihren Charakter und ihr Temperament ziemlich eindeutig beschreiben. Die jüngste Geburt des Horrorfilms trägt einen doppeldeutigen Namen, der sich zum einen auf seinen Effekt und zum anderen auf seine Bezugsquellen zurückführen lassen kann: Terrorfilm. Unter dieser Bezeichnung laufen die Remakes von »The Hills Have Eyes« und »Texas Chansaw Massacre«, aber auch »Hostel«, »Saw« oder »Wolf Creek«. Filme, die eine neue Qualität der Qualen gesucht – und gefunden haben.

Rückbesinnung auf die 70er Jahre

Nachdem ein nur noch ironischer Eklektizismus das Genre ins neue Jahrtausend retten konnte, hat nach der »Scream«-Welle eine Rückbesinnung auf die Vorbilder aus den 70er Jahren stattgefunden, und zwar die brutalstmögliche. Diese neuen Horrorfilme, die Sehgewohnheiten um Anblicke erweitern, die man eigentlich gar nicht haben möchte, kommen allerdings nicht aus der Subkultur, sondern sind im Mainstream angesiedelt, im Verleih der Majors fürs große Publikum.

Im aktuellen Beispiel »Wolf Creek« brechen ein paar junge Touristen ins australische Outback auf, wo sie in einer atemberaubend schönen Landschaft verschwinden werden. Doch es erklingen weder die ätherischen Panflöten George Zamphirs, die 1975 das Verschwinden der jungen Elfen in Peter Weirs »Picknick am Valentinstag« begleitet haben, noch bleibt hier das Verschwinden ungeklärt. Im Gegenteil, man sieht das Verschwinden der Körper sehr detailliert. Auch in Eli Roths »Hostel« sind es junge Reisende, die von ihrer Reise nicht zurückkehren sollen. Sie werden nicht in den dünn besiedelten Weiten Australiens unter einer gleißenden Sonnen grausam verscheiden, sondern in einem dunklen Keller in Bratislava.

Die Wirklichkeit ist blutig, scheußlich und gefährlich

Es ist ein altes und bewährtes Topos des Horrorfilms, wie eine besorgte Mutter die Kinder zu warnen, bloß nicht zu weit hinaus zu gehen in den Wald und in die Welt. In »The Hills Have Eyes« verreisen die Eltern zwar mit den Kindern im Wohnwagengespann, doch ihr konservatives Wertesystem kann dem brutalen Angriff der nuklear kontaminierten Killer-Mutanten nur wenig entgegensetzen.

Wes Craven, Regisseur des Originals und Produzent des Remakes von »The Hills Have Eyes« verteidigt seinen 28-jährigen Regisseur Alexandre Aja und dessen Gewaltorgie. Wirklichkeit und Wahrheit, so der Altmeister, seien blutig, scheußlich und gefährlich, und so sei der Horrorfilm immer viel näher an der Wirklichkeit und der Wahrheit, als jedes andere fiktionale Genre.

Tatsächlich sind seit 9/11 die realen Bilder, die Fernsehen und Internet regelmäßig zeigen, von unerträglicher Grausamkeit: Menschen, die aus dem World Trade Center »live« in den Tod springen, Abu Ghraib, enthauptete Geiseln in unbekannten Verstecken. Die Welt sei ein gefährlicherer Ort geworden, der Kampf gegen den Terror habe nur noch mehr Terror hervorgerufen, erklärt »Hostel«-Regisseur Eli Roth in jedem Interview. Ob im Flugzeug, auf belebten Plätzen, an Traumstränden – die Idyllen seien bedroht, die nächste Detonation, das nächste Blutbad eine Frage der Zeit und des Ortes. Und der Feind sei nicht einmal käuflich, eine neue erschreckende Erfahrung für Amerikaner, die auch Roths gefolterte Protagonisten machen müssen, deren Dollars sie in Bratislava nicht retten können.

Horrorfilme als Angstventil

Der 33-jährige Akademikersohn Roth landete mit »Hostel« auf Platz 1 der US-Kinocharts. Dieser Erfolg sei auch als eine Reaktion junger Amerikaner auf die politische Situation zu erklären. Die Amerikaner hätten massive Ängste, seit ihr Präsident einen Krieg führe, den er nicht gewinnen könne. »Bush hat alles in die Scheiße geritten, und die Leute wollen einfach ihre Angst und ihren Unmut herausschreien, und Horrorfilme sind dafür ein ideales Ventil«, sagt Roth, der freilich keine intellektuelle Auseinandersetzung anstrebt, sondern eine somatische Reaktion: »Ich freue mich, wenn die Leute bei meinen Filmen kotzen.« Dafür arbeiten er und seine Kollegen des »Splat-Packs« gern mit den simplen Regeln des Schnickschnackschnuck-Spiels: Augen treffen auf Schere, Finger auf Kettensägen, Zehen auf Zangen ...

Ein Horrorfilm muss etwas noch nie Gesehenes zeigen, um zu funktionieren. Sobald er nicht mehr schocken kann, sondern nur zeigt, was wir bereits kennen, ist er erledigt. Da ganz offensichtlich die Brutalität der echten Alltagsbilder zunimmt, inzwischen zeigt auch die Tagesschau bei Bombenangriffen getötete Babys, müssen sich die Horror-Regisseure viel Mühe geben, den visuellen Vorsprung vor der Wirklichkeit zu halten. Sollte der vermeintliche Krieg gegen den Terror also noch mehr Terror und Tote hervorbringen, die wir zu sehen bekommen werden, müssen die Terrorfilm-Regisseure wieder an der Schraube drehen und sich noch ein paar neue smarte Begegnungen von Materie und Organen einfallen lassen. Kein Problem, behauptet Eli Roth, und kündigt bereits an, dass »Hostel 2« »sehr, sehr blutig werde«.

Wolf Creek (dto) AUS 04,
R: Greg McLean, D: John Jarratt, Nathan Phillips, Cassandra Magrath, 99 Min. Start:13.7.