Gesetz der Begierde

Pedro Almodóvar setzt mit »Volver« den Frauen und seiner ländlichen Heimat ein Denkmal

Ein heißer Wind fegt über den Friedhof des kleinen spanischen Dorfes und vermischt die Rufe der Grabsteine putzenden Frauen. Mit Bürste und Schwamm stemmen sie sich gegen die Kräfte der Natur, die ihnen ihre Ehegatten, Väter und Großväter noch nach deren Ableben zur Plage machen. Allein die Witwen wissen, welche Schandtaten die Toten begangen haben und welche Verfehlungen mit einer Prise Gift gesühnt wurden. In dieser Region von La Mancha sterben die Männer vor den Frauen, weil sie es nicht besser verdient haben, zumindest bei Pedro Almodóar sind die schwarzen Witwen nur der verlängerte Arm einer poetischen Gerechtigkeit.

Ehemann in der Tiefkühltruhe

Nach seinem letzten Film »La mala educatión« widmet sich Almodóvar mit »Volver« nun wieder den Frauen und setzt ihnen und seiner ländlichen Heimat ein Denkmal. Vor Jahren ist Raimunda (Penélope Cruz) aus ihrem kleinen Dorf nach Madrid geflohen und hat vor allem schlechte Erinnerungen an ihre Kindheit zurückgelassen. Als sich ihr Ehemann Paco (Antonio de la Torre) seiner Stieftochter dann in eindeutiger Absicht nähert, holt die Vergangenheit Raimunda wieder ein. Blind vor Begierde stürzt Paco ins von der Tochter entgegengestreckte Küchenmesser – und tut seiner Frau damit den größten Gefallen seines nichtsnutzigen Lebens. Kaum hat Raimunda ihren toten Gemahl in der Tiefkühltruhe einer leer stehenden Kneipe deponiert, wird sie von einem Filmteam als Wirtin angeheuert und beginnt, ihr Leben auf eigene Faust zu meistern. Das Geschäft läuft so gut, dass Raimunda nicht einmal dazu kommt, Paco zu begraben oder der Beerdigung ihrer Tante beizuwohnen. Deren Tod hat gleichwohl einen nicht weniger bedeutsamen Effekt: Raimundas Schwester Sole (Lola Dueñas) erscheint der Geist ihrer verstorbenen Mutter (Carmen Maura), die sich mit ihren Töchtern wieder versöhnen will.

Ins Deutsche übersetzt heißt Almodóvars neuer Film »zurückkehren«, und man darf den Titel wohl programmatisch verstehen. »Volver« ist für das zum Regiestar gereifte Enfant terrible eine Rückkehr nach La Mancha, zum Wunderglauben als Antrieb der Erzählung und natürlich zu seinem Lieblingsgenre, dem Melodram. Wie gewohnt setzt Almodóvar dabei auf einen komplizenhaften Voyeurismus, wenn er seine Hauptdarstellerin ungeniert beim Pinkeln beobachtet oder ihr beim Spülen in den Ausschnitt schielt. Später wird er Penélope Cruz dafür filmisch mit Komplimenten überschütten: In einer Szene vergleicht Almodóvar sie mit Anna Magnani, in einer anderen legt er ihr die betörende Singstimme Estrella Morentes in den Mund. Dabei hätte seine Hauptdarstellerin diese etwas aufdringliche Fürsprache nicht einmal nötig. Hübsch war Cruz ja schon immer, doch Amodóvar kitzelt aus ihr jene Spielfreude hervor, die ihr in Hollywood manchmal verloren gegangen schien.

Auferstehung des alten Hollywood

Überhaupt ist »Volver« weniger ein Autoren- als ein Schauspielerinnenfilm. Verglichen mit seinen beiden letzten Filmen »La mala educatión« und »Sprich mit ihr« ist Almodóvar zu einer geradezu demütigen Einfachheit zurückgekehrt, ohne freilich ganz auf seine Obsessionen zu verzichten. Ein ums andere Mal führen die Lust am Kitsch und die Liebe zum Trash-Fernsehen die Geschichte auf Nebengleise. Doch spätestens wenn sich Almodóvar seines wunderbaren Ensembles erinnert, nimmt die Erzählung wieder Fahrt auf. Dass mit Carmen Maura auch die Protagonistin aus seinem internationalen Durchbruch »Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs« mit von der Partie ist, erinnert noch einmal an den Weg, den der Regisseur seit seinen Anfangstagen gegangen ist. Von der hysterischen Komödie zum Melodram, vom Vorbild Frank Tashlin zu Douglas Sirk und schließlich zu den kühnen Konstruktionen Alfred Hitchcocks. Auf diese Weise beschwören alle Filme Almodóvars eine Rückkehr aus dem Reich der Toten: die Auferstehung des alten Hollywood im Geist einer unbändigen Spiel- und Lebenslust.

Volver (dto) SP 06, R: Pedro Almodóvar,
D: Penélope Cruz, Carmen Maura,
Chus Lampreave, 120 Min. Start: 3.8.
Preview (OmU): 28.7., 21 Uhr, Off Broadway.